Also erst mal vielen Dank für die ganzen interessanten Diskussionen in vernünftigem Ton hier die letzten Wochen, zu denen ich auch mal einige Gedanken beitragen möchte.
1) Änderungen im Management M.E. ein sehr „krasser“ Vorgang, dass in nur einer Woche CEO, COO und CTO gleichzeitig gehen, das habe ich in >25 Jahren Börse auch noch nicht erlebt. Das hat mir auch richtig Angst gemacht vor den Q-Zahlen, insofern war ich sogar etwas erleichtert, dass es nicht den Super-Gau bei den Zahlen gegeben hat.
Wenn ich es negativ beurteilen will, dann läuft im Hintergrund etwas grundlegend falsch und denen bricht gerade die ganze Senior Management Erfahrung weg. Wenn ich es positiv sehen möchte, dann gab es hier vllt Druck von Seiten der Investoren aufgrund der Kursentwicklung. Dazu spart man jetzt erst mal Personalkosten (aus dem Jahresbericht: „The parent company’s expenses pertain mainly to payroll costs for parts of the senior management team and costs for external consultants related to central Group functions“) und die Ankündigung eines neuen/guten/erfolgreichen CEOs könnte ein guter Trigger für den Kurs sein.
2) Abokosten Interessante Diskussion, ob Readly die Abokosten erhöhen kann & soll. Mein Blick darauf: Ich habe ganz selten so eine Diskrepanz erlebt zwischen dem was ich zahle und dem was ich dafür an Produkt erhalte. Mit meinen 5 Zugängen zahle ich quasi 2 Euro pro Person pro Monat, dafür würde ich noch nicht einmal eine halbe „Euro am Sonntag“ im Kiosk bekommen. Oder anders ausgedrückt: ich lese ca. für 50-70 Euro pro Monat Gegenwert (wenn ich die Zeitschriften/Zeitungen ansonsten im Kiosk kaufen würde) und zahle dafür 2 Euro.
Von der Strategie her leuchtet mir das ein: man bindet so viele Nutzer wie möglich an die Plattform bis diese so loyal und so angetan sind von dem Produkt, dass sie auch bei einer Preiserhöhung nicht gleich wieder verschwinden. Wann diese Erhöhung kommt bzw. sinnvoll ist, das müssen die Marktexperten bei denen entscheiden. Bei einer 2- oder sogar 5 Euro Erhöhung bleibe ich definitiv, aber mir ist bewusst, dass andere das anders einschätzen. Die Amazon Aktie hat gestern zweistellig zugelegt u.a. deshalb weil sie die jährlichen Prime-Kosten erhöht haben.
Nur mal zwei Gedanken dazu: sollte Readly das Abo um 2 Euro p.M. erhöhen, reden wir von einem 20%igen Umsatzanstieg (abzüglich der möglichen Kündigungen), sollte Readly zB planen, dass man nur für die vier Zusatz-Zugänge 2 Euro pro Monat einführt, redet man von bis zu 80% Umsatzanstieg (wenn keine Kündigungen und wenn jeder vier Zugänge verteilt hat). Das zeigt mir nur, welches Potenzial vorhanden ist.
3) Zahlen, Bewertung & M&A
Dass die operativen Zahlen noch sehr düster aussehen, keine Frage. Dass man erst 2025 EBITDA positiv sein will, ist auch nicht die beste Werbung für die Aktie, auch wenn das gerade in den US bei vielen Wachstumsunternehmen bewährte Strategie ist („growth first“).
Readly weist für das vierte Quartal Marketingkosten von 39,6 Mio SEK aus (S. 28 im Jahresbericht) bei einem adjustierten operativen Ergebnis (ohne Toutabo) von -45,8 Mio SEK. Klar ist, wenn ein junges Wachstumsunternehmen seine Marketaktivitäten einstellt, dann sieht’s sehr düster aus. Aber sollte es richtig hart auf hart kommen, wäre bei einer (vorläufigen) Einstellung der Marketingaktivitäen der break-even quasi erreicht – erst recht wenn man gleichzeitig die Abopreise erhöhen würde.
Bei der Bewertung der Aktie tue ich mich extrem schwer und weiß nicht, welchen Ansatz man wählen sollte. Momentan wird jeder zahlende Kunde von Readly mit knapp 100 Euro bewertet (weniger als ein Jahresumsatz pro Kunde), da sind die vier zusätzlichen Zugänge nicht berücksichtigt. Spotify liegt bei 30 Mrd Euro MK und 180 Mio „premium subscribers“ bei knapp 170 Euro Bewertung pro user. Aber ist das ein guter Bewertungsansatz? Hier von einem diskontierten 10er KGV bei dem capex light und hochskalierbarem Geschäftsmodell bei +25% Wachstum zu sprechen, ist mE relativ sinnbefreit.
Da hier immer wieder von einer möglichen Übernahme gesprochen wird: mir fällt es schwer vorzustellen, wer da Interesse haben könnte. Verlage fallen aus wegen der Konkurrenz untereinander, die Amazons dieser Welt brauchen kein Readly, die haben die Kunden schon. Also wer bleibt? Eine Spotify um das Geschäftsmodell auf Print auszuweiten und Verbindung mit Podcast/Lesebüchern herzustellen? Private Equity?
4) Produkterweiterungen Hier spinne ich mal ein wenig rum, aber mE würde es noch so viele Dinge geben, mit denen Readly richtigen Mehrwert leisten könnte und die sich ggfs monetarisieren lassen könnten: bisher weiß doch kaum ein Verleger, welche Artikel gelesen werden. Vllt kann die App eines Tages erfassen wieviele Minuten jeder User auf den einzelnen Artikel verbringt, so dass die Verleger den Content anpassen können? Individuelle Werbung für den User zugeschnitten; zB wer das Handwerker Magazin abonniert, bekommt eine Hornbach Werbung eingespielt? Statistiken für Werbetreibende, welche Magazine wann gelesen werden? Direkter Link von der Werbung im PDF auf die Seite des Werbetreibenden?
Im Call spricht der CFO zum Schluss von „many new product features in the near future” oder so ähnlich. Darf man also gespannt sein, was da noch kommt in nächster Zeit. Potenzial ist mE eine Menge vorhanden, ob Readly das aber verwirklich kann bei der angeschlagenen Lage, das darf/muss man anzweilfen.
5) Trigger für die Aktie Ein neuer erfahrener CEO wird sicherlich helfen, ansonsten fällt es mir schwer, kurzfristige Trigger zu sehen. Neue Analysten-Coverage bei der MK eher mal unwahrscheinlich, neue Magazine haben in der Vergangenheit auch wenig gebracht (Rolling Stone, Sports Illustrated). Eure Ansicht dazu? |