Dazu ein paar Antworten: 1. "Gibt es für die Ausweitung [von 30.000] auf 44.000 [Probanden] eine Erklärung?" a.) Offiziell: Mehr Diversität unter den Probanden. Da ist zum einen die von der FDA geforderte "Minderheitenquote", mit der sich amerikanische Pharmastudien traditionell schwer tun. BT/Pfizer erfüllen die Latino-Quote locker - dafür sorgen Brasilien und Argentinien (anders jedoch Moderna, die nur in den USA testen). Bei Schwarzen und auch "native Americans" sah es jedoch im September diesbezüglich schlecht aus. Da sollte dann noch mal gezielter nachgelegt werden (u.a. Einbeziehung der Navajo Nation in die Studie, mit expliziter Genehmigung durch die "Stammesältesten").
https://edition.cnn.com/2020/09/13/health/...avirus-sunday/index.html
Daneben wurden mehrere Risikogruppen, z.B. HIV-Positive, in die Studie aufgenommen. Schließlich erfolgte Erweiterung auf Jugendliche (ab 16 Jahre). b.) Geographische Erweiterung: Zusätzlich zu USA, ARG, BRA kamen D, SA und TUR als Studienländer dazu. Südafrika dient offenbar der Erhöhung der Schwarzen- , vielleicht auch der Inder-Quote, wobei die bislang angekündigten 800 südafrikanischen Probanden allein es diesbezüglich kaum richten werden. Deutschland hat das PEI als Genehmigungs- und Überwachungsbehörde ins Boot geholt, und fungiert als Einstieg in den EMA-Genehmigungsprozess - die Strategie ist offensichtlich aufgegangen. Türkei ist natürlich ein bißchen Reverenz U. Sahins an sein Geburtsland. Andererseits kein ganz kleiner Markt - früher Fuß in der Tür mag sich dort mittelfristig durchaus auszahlen. Ein paar weitere, durchaus bevölkerungsreiche Länder haben auch noch Schlange gestanden (ein Vögelchen zwitscherte mir von Botschaftern, die BioNTech am Telefon händeringend darum baten, ihr Land in Phase 3 noch zu berücksichtigen) - aber irgendwann hat es BioNTech/ Pfizer offenbar gereicht mit der geographischen Diversifizierung. c.) Kapazität vom Markt nehmen: Natürlich nicht laut kommuniziert, aber wohl schon ein Gedanke. In den USA laufen derzeit vier Phase-3 Studien (BT/Pfizer, Moderna, AZ, J&J) mit je bis zu 30.000 Teilnehmern; weitere Konkurrenten (NovaVax etc.) scharren mit den Hufen. Da wird die lokale Durchführungskapazität (Unis, Studienzentren) schon zum Engpass. Pfizer hatte hier von Anfang an den besten Durchgriff, weil bei der Menge von Phase 3 Studien, die das Unternehmen jährlich durchführt, eigentlich kein lokaler Partner Nein sagen will. Wiewohl ein Studienzentrum theoretisch für mehrere Unternehmen gleichzeitig arbeiten kann, fehlen dazu oft die Kapazitäten, und Pfizer mag auch signalisiert haben, man würde Konzentration auf die eigene Studie schätzen. Einer der hier in den letzten Tagen geposteten Artikel erwähnte ein Studienzentrum in Ohio, das erst mal den J&J-Studienauftrag zurückgestellt hat, um Pfizers Phase 3-Erweiterung abzuarbeiten. Finde den Artikel gerade nicht wieder, dafür aber ein Beispiel dafür, wie Pfizer ein wichtiges lokales Zentrum (University Hospitals, Cleveland) ab Mitte September auf stand-by hält und damit für Konkurrenzstudien blockt.
https://www.uhhospitals.org/for-clinicians/...-in-the-face-of-covid19
Auf die Art wird möglicherweise auch sichergestellt, dass von der knappen Ressource "schwarze Probanden" möglichst viel bei Pfizer, und möglichst wenig bei der Konkurrenz landet - siehe folgendes Beispiel aus Memphis/TN, wo Pfizer seit Mitte September nur noch schwarze Probanden sucht, und damit nebenbei den dortigen Test eines Konkurrenten um mehrere Wochen verzögert
https://www.wmcactionnews5.com/2020/09/16/...accine-deployment-plans/
2. "Im Gegensatz zur Phase 3 Studie bei AstraZeneca wurden beim biontech Impfstoff noch keine groben Nebenwirkungen oder Erkrankungen, die mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden können, bekannt gegeben. Stimmt das so?" Jein. Es gab Einzelfälle von Grad 4-Fieber (über 40°C) - nach FDA-Richtlinien eine schwere Nebenwirkung. Da das Fieber jedoch nach einem Tag wieder abklang, wurde es nicht als Grund gesehen, die Studie temporär oder permanent zu unterbrechen. 3. "Für die Zulassung eines Impfstoffes sind mindestens 7.000 Probanden (50% davon geimpft) vorgesehen". Nein. Bei der EMA gibt es Präzedenzfälle (Ebola-Impfstoff von J&J), die auf Basis von nur gut 5.000 Probanden zugelassen wurden. Grundsätzlich fliessen in die Zulassungsentscheidungen diverse Anforderungen ein, u.a. in Tierversuchen getestete Stoffwechselauswirkungen (Leber, Niere etc.), oder eine Bewertung des Herstellungsprozesses einschließlich Qualitätsmanagement und Störfallsicherheit. Dies und anderes wird unabhängig von klinischen Versuchen getestet/ dokumentiert, und kann im "rolling review" schon regulatorisch geprüft werden, während die klinischen Studien selbst noch laufen. Die klinischen Studien, insbesondere Phase 3, sollen folgendes liefern:
a.) Einen Wirksamkeitsnachweis: Hier haben sich die maßgeblichen Regulatoren weltweit auf mindestens 50% Wirksamkeit geeinigt, die statistisch, d.h. durch Vergleich der Infektionsraten zwischen Geimpften und der Plazebo-Gruppe, ermittelt wird. BT/ Pfizer ziehen diesbezüglich Zwischenbilanz, sobald 32, 64 (weitere Prüfpunkte bitte anderswo nachlesen), etc. Studienteilnehmer an Corona erkrankt sind. Dann wird für das externe Überwachungskommittee die Studie "entblindet", und es prüft, ob sich signifikante Unterschiede in den Infektionsraten zwischen Impf- und Plazebo-Gruppe ergeben haben. Falls ja, wird der Wirksamkeitstest abgebrochen, d.h., von nun an erhalten alle Probanden den Impfstoff. Falls nein, geht es weiter zum nächsten Prüfpunkt. Wann die Prüfpunkte erreicht werden, hängt von zwei Faktoren ab: a.) der Infektionsdynamik in der Testregion - je höher diese, desto schneller. 32 Fälle auf 30.000 Probanden entsprechen einer Inzidenz von 106/100.000. Bei der aktuellen deutschen 7-Tage-Inzidenz von gut 25 muss da also etwa ein Monat gewartet werden. In Argentinien (aktuelle 7-Tage-Inzidenz ca. 195) reichen 3-4 Tage. b.) der Impfwirkung: Die vorgenannten Zeiten gelten für 0% Impfwirkung, d.h. Impf- und Plazebogruppe infizieren sich gleichstark. Bei 100% Wirksamkeit infiziert sich nur die Kontrollgruppe, und die Zeit verdoppeln sich. Bei allem dazwischen liegt auch der Prüfzeitpunkt dazwischen.
Ich hatte da vor einigen Tagen mal etwas mit US- und argentinischer Inzidenz, und den dort jeweils Mitte September in die Beobachtungsphase eingetretenen Probanden rummodelliert. Das Ergebnis war, dass jedes Zwischenergebnis vor dem 17.10. mit hoher Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass der Impfstoff nicht wirkt. Ende Oktober sollte auf jeden Fall der erste Prüfpunkt erreicht sein - je später, desto besser, denn später bedeutet höhere Impfwirkung. Die Abschätzung war scheinbar etwas zu optimistisch, was die Dauer der Validierung angeht: Ich hatte 4 Tage unterstellt, US-Artikel gehen da eher von einer Woche (plus statistische Auswertung und Meldeweg) aus. Andererseits ist insbesondere die argentinische Inzidenz, in geringerem Maße auch die US-Inzidenz seit meiner letzten Abschätzung gestiegen. In Argentinien allein ist derzeit unter den 2.250 Plazebo-Patienten mit über 6,2 Infektionen/ Tag zu rechnen - da wird selbst bei 100% Impfeffektivität schon 5-6 Tage nach Beginn der Beobachtungsphase (7 Tage nach Zweit-, 28 Tage nach Erstimpfung) der erste Prüfpunkt erreicht. [Um die oben gestellte Frage zu beantworten: 4.500 argentinische Probanden dürften augenblicklich für den Wirksamkeitsnachweis locker reichen.]
b.) Eine Risikoabschätzung: Wie häufig sind welche Nebenwirkungen und Komplikationen? Diesbezüglich ist grundsätzlich 2 Jahre Nachbeobachtung aller Geimpften vorgesehen, erst danach darf endgültige Genehmigung erteilt werden. Allerdings kommt schon vorher eine vorläufige Genehmigung in Betracht. Die Meßlatten mögen da unterschiedlich liegen. Die FDA fordert im Median 2 Monate Nachbeobachtung aller Probanden (wobei mir unklar ist, wie weit sich dies auf die US- oder die weltweiten Probanden bezieht). Von der EMA sind da noch keine Vorgaben bekannt. 4. "Wäre es ethisch vertretbar, wenn die Wirksamkeit nach Auswertung der ersten 7.000, 8.000 oder 12.000 Probandendaten belegt wäre, diesen Impfstoff nicht die Notfallgenehmigung zu erteilen?" Vorab: Notfallgenehmigung ist noch mal ein ganz anderer Schuh. Wie der Name schon sagt, bezieht sie sich auf einen Notfall, und üblicherweise auf spezifische Zielgruppen (Standard-Fall: US-Marines im Tropeneinsatz). Wie weit in den USA solch Notfall vorliegt, sollen die Amis diskutieren. Für Deutschland sehe ich ihn derzeit (noch) nicht. Tschechien (Freitag 8.600 Neuinfektionen, über 800 Neuinfektion/ Million Einwohner!) ist jedoch ein anderer Fall. Dort scheint Notfallzulassung (nach EU-Recht auf nationaler Ebene zulässig) gerade ernsthaft erwogen zu werden (oder verstehe ich die Ankündigung des Gesundheitsministers von letzter Woche, man würde auf eigene Rechnung, außerhalb der EU-Beschaffung, schon im Dezember Impfstoffe für bis zu 1,5 Millionen Einwohner verfügbar machen, falsch?):
https://brnodaily.com/2020/10/05/news/...oses-of-coronavirus-vaccine/
Deine ethische Frage ist berechtigt. Die Entscheidung obliegt letztlich den Regulatoren (idealerweise unabhängig von politischem Druck), wobei hier neben dem Impfnutzen auch Impfrisiken in die Bewertung einfliessen sollten. Bei letzteren macht es schon Sinn, die typischerweise geforderten 2 Monate Nachbeobachtung abzuwarten. 5. "Wie lange braucht wohl die EMA zur Auswertung von 1.000 Probandendaten?" Das sollte schnell gehen. Wie lange braucht man für einen Blick auf eine statistische Auswertung? Das Thema sind nicht 1.000, 10.000 oder 44.000 Probanden. Das Thema sind die zwei (oder zwanzig), bei denen schwere Nebenwirkungen und/ oder Komplikationen aufgetreten sind. Die schauen sich die Regulatoren genauer an. Macht die FDA gerade bei AZ, einschließlich Abforderung von Daten zu vorangegangen Studien auf der selben Plattform (Schimpansen-Adenovirus) - sollte uns eine Idee geben, wie lang solch Prüfung dauern kann.
Der Vorteil des "rolling review" liegt zunächst darin, dass ein Haufen Zeugs, das nichts mit der Phase 3 zu tun hat, aber ebenfalls zulassungsrelevant ist, schon im Vorwege abgeprüft wird und bei Bedarf erläutert/ ergänzt werden kann. Daneben können die Regulatoren nach der "Entblindung" (vorher nicht!) sich schon mal Einzelfälle ansehen, die sie für problematisch halten, auch wenn für andere Probanden die Nachbeobachtung noch läuft.
Ich hoffe, dies hat Dir (und anderen) geholfen. |