Das Spiel
Die Süddeutsche Sportzeitung berichtete am 17. Juni 1909:
„Breslau (Pfingstsonntag). In Breslau hat der Fußball verhältnismäßig wenig Anhänger. Immerhin umstanden lange vor Beginn des Spiels mindestens 1500 Zuschauer den Platz. Das ist für Breslau eine Rekordzahl und ein Beweis von dem ungewöhnlichen Interesse, das man dem Kampf um die deutsche Fußballmeisterschaft entgegenbrachte.
Wie im Vorjahre, so waren auch diesmal die Berliner und der Süddeutsche Meister die Gegner. Viktoria tritt nun seit drei Jahren zu diesem Wettkampf an: 1907 kämpfte sie in Mannheim gegen den Freiburger FC und verlor 1:3, 1908 gewann sie in Berlin gegen die Stuttgarter Kickers mit 3:0, und diesmal kamen die Berliner nach Breslau, um gegen den Karlsruher FC Phönix anzutreten. Phönix ist in dieser Saison zum ersten Mal die Ehre zugefallen, den Verband süddeutscher Fußball-Vereine bei diesem Spiel zu vertreten. Die Karlsruher entbehrten also gegenüber den Berlinern die für solche entscheidenden Spiele nicht unwichtige Erfahrung. Aber eine Mannschaft, die die Süddeutsche Meisterschaft gegen so vorzügliche Mannschaften wie die Stuttgarter Kickers (dem vorjährigen Meister), den Pforzheimer FC (Meister von 1906) und den Karlsruher FV (Meister von 1900-1905) erkämpfte, dann gegen West- und Mitteldeutschland überlegen siegte, die aus der klassischen deutschen Fußballstätte Karlsruhe hervorgegangen ist, eine solche Mannschaft muss über ein eminentes Können verfügen, und sie durfte deshalb selbst dem stolzen deutschen Meister von 1908 mit großen Siegeschancen entgegentreten. Trotz der zwanzigstündigen Bahnfahrt, die ein weiterer Nachteil für die Karlsruher war. Aber auch Berlin war siegesgewiss. Einesteils, weil man die Leistungen der süddeutschen Mannschaften in der Reichshauptstadt Berlin noch nicht ganz schätzen kann, andernteils, weil auch Viktoria über ihre Gegner mit hohen Torzahlen gesiegt hatte.
Bald gibt der Bundesvorsitzende Hinze das Zeichen zum Beginn des mit Spannung erwarteten Kampfes und, noch ehe die Karlsruher angestoßen haben, ist die Berliner Stürmerreihe in Bewegung. Das ist regelwidrig, deshalb erfolgt Neuanstoß. Man sieht es schon: Die Berliner sind fix und kampfesmutig, sie haben auch gleich den ball und bedrängen nun die etwas befangenen Karlsruher. Zwei Vorstöße der Karlsruher bringen jedes Mal einen Eckball, und dann erzielt auch Berlin einen solchen. In der 16. Minute erhält Berlin einen Freistoß von der Seitenlinie aus, in der Nähe der Eckfahne. Noch ehe man die gefährliche Situation überblickt hat, saust der Ball klirrend an die Innenwand des Torgitters. Worpitzsky, Viktorias Mittelstürmer, hat in prachtvoller Manier eingeköpft. Berlin führt mit 1:0. Der Kampf geht weiter, wird abgeklärter, da beide Mannschaften sich nun zusammengefunden haben. Hin und her wandert der Ball. Bald wird er hoch im Bogen durch die sicheren Stöße der Verteidigung weiterbefördert, dann bringen ihn die Karlsruher Flügelstürmer, ihn in wunderbarem Lauf vor sich hertreibend, vor; im nächsten Augenblick prallt das Leder von den Köpfen der beiden Mittelläufer und gleich nachher dribbelt ein Berliner Stürmer vor dem Karlsruher Tor herum. Ein abwechselndes, fesselndes Bild, begleitet vom lauten Beifall der begeisterten Zuschauer. In der 30. Minute hält ein Verteidiger Viktorias einen Angriff der Karlsruher mit der Hand auf. Freistoß für Phönix! Etwa 20 Meter vor dem Berliner Tor. – Der Ball kommt aus dem heftigen Gedränge zurück, und im nächsten Augenblick schießt Beier haarscharf in die linke Torecke. Karlsruhe hat den gefährlichen Vorsprung des Gegners wieder aufgeholt. Die Angriffe von „Phönix“ werden heftiger und wiederholen sich rasch. Vier Minuten später holt der Berliner Torwächter zum zweitenmal den Ball aus der linken Torecke. Es war ein flacher Schuss von Noe, welch letzterer infolge prächtigen Zusammenspiels der Stürmerreihe den Ball erhalten hatte und dann unwiderstehlich vors Tor drängte. Karlsruhe führt mit 2:1. Und drängt weiter. Zwei Eckbälle erzwingen die Phönixstürmer noch, dann ist die erste Spielhälfte vorbei.
Nach Wiederbeginn greift „Phönix“ mit großer Energie an, und zwei Eckbälle resultieren aus diesem Drängen. Die Phönixleute gehen voll aus sich heraus; ein beherzter Angriff folgt dem anderen, und in der 10. Minute saust der Ball zum dritten male in das Viktoriator. Leibold hatte, nach famosen Zusammenspiel der Stürmerreihe, scharf geschossen. Nun merkt man, was die Karlsruher können. Zahn Minuten später erfolgt nach einem wohldurchdachten Angriff das vierte Tor für Phönix durch einen gut platzierten Schuss von Noe. Aber „Viktoria“ fühlt sich noch nicht geschlagen, und da beide Mannschaften energisch spielen, wird der Kampf manchmal mit Anspannung aller Kräfte geführt.
Der Wächter im Phönixtor beseitigt brenzlige Situationen, und auch sein Gegner spielt kaltblütig und gewandt. Sieben Minuten vor Schluss erzielt Röpnack nach heftigem Gedränge vor dem Phönixtor den zweiten Treffer für Berlin. Auf beiden Seiten folgt noch je ein Eckball, dann ist der hartnäckige Kampf vorbei. Der Karlsruher FC Phönix Deutscher Meister! Das Publikum jubelt, dem Spielführer der Karlsruher wird ein Riesenlorbeerkranz überreicht. Hipp, Hipp Hurra! durchschallt es tausendstimmig die Luft und im Triumph passieren die glückstrahlenden Sieger die begeisterte Menge. Hohes sportliches Können, Selbstzucht und nachahmenswerte Energie haben ihre äußere Anerkennung gefunden.
Ein Vergleich der beiden Mannschaften ergibt die unbedingte Überlegenheit des FC Phönix in Bezug auf sein spielerisches Können. Die Karlsruher zeigten ein großartiges Zusammenspiel, vollendete Ballbehandlung und oft große Schusssicherheit. Was waren das für flotte Angriffe von der Stürmerreihe, an deren Flügel Oberle und Wegele für Tempo sorgten und in deren Mitte Noe, Leibold und Reiser den Zug nach dem Tore tatkräftig unterstützten. Schießen können alle fünf Stürmer, so dass die Torzahl auch etwas höher hätte sein können. Dann die Läuferreihe mit ihrem Mittelspieler Beier, der der durch sein glänzendes Kopfspiel manchen gegnerischen Angriff schon im Entstehen zerstörte und dann auch gut berechnete Bälle an seine Stürmer vorgab. Auch Schweinshaut und Heger waren unermüdlich auf ihren Posten, und wenn etwas zurückkam, so gaben Karth und Neumeier es in sicherer Weise vor, ebenso wie Michaelis, der mit anerkennenswerter Ruhe und Entschlossenheit spielte. Neben dieser spielerischen Überlegenheit beobachtete man bei „Phönix“ auch eine gewisse Taktik, die den Karlsruhern wohl mit zum Sieg verholfen hat, wenn sie auch die Mannschaft am „Aussichherausgehen“ behinderte. Tatsache ist, dass die Phönixmannschaft während des gesamten Spieles nur winzige Augenblicke ihr ganzes Können entfaltete. Gewitzigt durch die Erfahrungen der Stuttgarter Kickers, die im Vorjahre gegen Viktoria ein wunderbares Spiel zeigten, aber – verloren, war den Karlsruhern diesem gefährlichen Gegner gegenüber ein sicherer Sieg lieber, als eine höhere Torzahl, die sie zweifellos erreicht hätten, wenn sie mehr aus sich herausgegangen wären.
Viktoria war in diesem Spiel wieder mehr denn je ein gefährlicher Gegner, der jeden unbewachten Augenblick zur Erzielung eines siegbringenden Tores ausnützen kann. Wenn die Berliner vor das Tor des Gegners kamen, dann sah es kritisch aus, denn die Viktoriastürmer spielten mit seltener Entschlossenheit und Röpnack und Worpitzky waren zwei hochbefähigte Torschützen und Balltechniker. Der beste Mann Vikotias war der Mittelläufer Knesebeck, der durch sein großartiges Spiel manche Gefahr beseitigte. Hunder war ebenfalls sehr gut. Man darf nicht sagen, dass er wie noch einige andere versagt habe, sondern muss einmal einsehen, dass immer darauf ankommt, welcher Gegner vor einem steht. Es war jedem Eingeweihten klar, dass das gediegene und gründliche Können der Karlsruher für die Viktorialeute (die an wirklich harte Kämpfe eben nicht gewöhnt waren) ein unüberwindliches Hindernis sein musste. Wenn das die Viktoriamannschaft einsieht, dann kann sie aus der ehrenvollen Niederlage Gewinn ziehen.“
Jubel in Karlsruhe
Nach der Partie meldete die Mannschaft das Spielergebnis nicht nur den wartenden Kameraden vom FC Phönix, sondern auch per Telegramm an den Stadtrat der Stadt Karlsruhe.
Die Meisterfeier in Karlsruhe
In Karlsruhe wurde die Mannschaft mit triuphierendem Jubel von einer "ungeheueren Menge" am Bahnhof empfangen. Von dort fuhren die Spieler in Droschken durch die Stadt bis zum Lokal „Löwenrachen“ in der Kaiserpassage, dicht gefolgt von jubelnden Karlsruhern. Begeisterte Kinder setzten sich sogar auf die hintere Querstange der Kutsche, um ihren Helden bis zum Löwenrachen zu folgen.
Am 5. Juni folgte die offizielle Siegesfeier im Varieté-Theater Colosseum in der Waldstraße. |
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