Vorsicht! von Miriam Kraus
Liebe Leserin, lieber Leser,
Vorsicht ist die Einstellung die das Leben sicher macht, aber selten glücklich. (Samuel Johnson)
Glücklich? Wie lange?
Heute ist jeder glücklich! Angie und die anderen Häuptlinge haben etwas geschafft: sie haben erfolgreich die Banken erpresst. (gut, ich gebe zu, das hat schon was lustiges an sich...allerdings auch nur für den Moment). Und die Märkte feiern....ja was eigentlich? Den EFSF? Das wäre blauäugig. Den Griechen-Haircut? Das wäre eine seltsame Reaktion. Dass die Häuptlinge es geschafft haben, etwas zu beschließen, was schon seit Tagen fest stand? Ich vermute, dass es genau das ist. Und wenn ich mit meiner Vermutung richtig liegen sollte, dann waren die Erwartungen im Vorfeld entweder richtig gering oder die Hoffnungen darauf, dass dieses "17 Eurostaaten treffen endlich mal eine gemeinsame und gar nicht mal leichte Entscheidung" nur der Beginn einer ganzen Reihe solcher Entscheidungen, sehr groß.
Wie auch immer, ich will ja niemandem die Freude verderben, aber die Sorgen, welche ich gestern schon mit Ihnen geteilt hatte, die habe ich auch heute noch. Und so frage ich mich, wie lange das Glück wohl diesmal anhält...und möchte meine Sorgen von gestern noch einmal konkretisieren.
Fangen wir bei Griechenland an.
Es wird jetzt also einen 50%-Haircut geben. Doch was bedeutet das eigentlich?!
Nun, die Griechen haben derzeit
im Total rund 350 Milliarden Euro an Schulden ausstehen. Davon gehören 70 Milliarden der Troika - dies wird raus gerechnet. Von den verbleibenden 280 Milliarden Euro an Schulden, hält die EZB rund 75 Milliarden Euro. Auch die EZB, wie die Troika, ist nicht am Haircut beteiligt.
So bleiben knapp 200 Milliarden Euro, welche Banken, Versicherungen und Pensionsfonds den Griechen geliehen haben.
50% Haircut bedeutet also, dass die Banken auf rund 100 Milliarden Euro verzichten müssen. Das deckt sich auch mit den Aussagen der Europäischen Bankenaufsicht, die davon ausgeht, dass die europäischen Banken rund 106 Milliarden Euro an frischem Kapital brauchen.Aber lassen wir die Banken kurz beiseite.
Also, den Griechen werden 100 Milliarden Euro ihrer Schulden erlassen. Sie sehen es schon:
gemessen an der tatsächlichen Gesamtsumme der ausstehenden Schulden, bedeutet das keineswegs, dass den Griechen die Hälfte ihrer Schulden (50% Haircut) erlassen wird, sondern lediglich circa 28,6%.Und nun bedenken Sie zudem:
das griechische Bruttoinlandsprodukt beträgt rund 230 Milliarden Euro (Stand 31.12.2010, mittlerweile dürfte es aber weiter gesunken sein). Das heißt, die verbleibenden Schulden übersteigen das BIP nach wie vor. Oder um es in den üblichen Prozentzahlen auszudrücken: die Staatschulden senken sich auch nach dem Haircut nur auf 109% vom BIP.
Toll! Sie verstehen jetzt sicher, weshalb ich anzweifle, dass der Haircut für die Griechen der große Wurf werden wird, bzw. dass es den Griechen jetzt wesentlich besser gehen wird, oder, dass sie überhaupt die prekäre Lage besser in den Griffe kriegen werden.
Abgesehen davon macht mir auch noch der Umstand zu schaffen, dass auch die griechischen Pensionsfonds (die rund 35 Milliarden Euro in Griechen-Anleihen halten) rund 50% abschreiben werden müssen. Ich bin ja mal gespannt, wie die griechische Bevölkerung darauf reagieren wird...oder sagen wir mal so: in der griechischen Regierung möchte ich auch weiterhin nicht sitzen.
Gehen wir über zu den Banken
Luxemburgs Häuptling Juncker, der glücklicherweise nie etwas für sich behalten kann, hat es schon bestätigt: wie ich gestern schon vermutet hatte, gab's absolut
keine Freiwilligkeit seitens der Banken bei den Haircut-Gesprächen. Stattdessen haben die Häuptlinge die Banken erpresst. Und zwar damit: Wenn ein freiwilliges Entgegenkommen der Banken nicht möglich gewesen wäre, dann hätten wir nicht gezögert, auf das Szenario einer kompletten Insolvenz Griechenlands zuzusteuern", so Juncker.
Na dann, mir soll's ja recht sein (ich find's ja auch lustig)....allerdings mache ich mir trotzdem um die Zukunft Sorgen.
Denn bislang gibt es
noch keine Pläne darüber, wie die Banken die 106 Milliarden an frischem Kapital aufbringen sollen. Sicher, so manches Institut wie die Deutsche Bank oder die RBS haben ihre Griechen-Bond sowieso schon auf den Marktwert abgeschrieben (vernünftig!) und der Refinanzierungsbedarf der deutschen Banken ist mit 5,2 Milliarden Euro (gemäß EBA) auch machbar.
ABER: wie sollen die griechischen Banken ihre 30 Milliarden aufbringen, die spanischen Banken ihre 26,2 Milliarden Euro?
Tja, wie ich gestern schon schrieb, der Weg zum Staat, der in letzter Instanz offen stünde und von allen Beteiligten eher nicht gewollt wird, vergrößert die Risiken der Staaten.
Damit bleibt nur
der andere Weg, den ich gestern ebenfalls schon beschrieben hatte: Investitionen zurückfahren und die Kreditvergabe drosseln. Das wird, wie ich schon sagte, das europäische Wirtschaftswachstum wohl ein paar (hoffentlich nur) Zehntel-Prozent kosten. (Übrigens: seit heute ist auch das Centre for Economics & Business Research dieser Meinung). |