Helfer werfen Israel massive Behinderungen vor (spiegel)
Die Versorgungslage im Südlibanon wird immer dramatischer: Zwar genehmigte Israel eigenen Angaben zufolge 22 Hilfskonvois in das Kriegsgebiet, Hilfsorganisationen klagen jedoch über bewusste Behinderungen. Die Hafenstadt Tyrus ist komplett abgeschnitten.
Tyrus/Beirut/Genf - Sie war ohnehin nur ein Provisorium - und dennoch lebenswichtig. Die Behelfsbrücke über den Fluss Litani war der letzte noch verbliebene intakte Landweg, auf dem Hilfsgüter die Menschen in der südlibanesischen Stadt Tyrus erreichen konnten. Gestern hatten israelische Kampfjets die Route zerstört - seitdem hat sich die hat sich die Versorgungslage in der Krisenregion dramatisch zugespitzt.
REUTERS "Tyrus ist abgeschnitten": Nach der Zerstörung einer wichtigen Brücke tragen Helfer Versorgungsgüter per Hand über den Fluss Litani "Tyrus ist gegenwärtig abgeschnitten", sagte Uno-Sprecher Robin Lodge heute. Die Uno-Blauhelmmission Unifil prüfe derzeit, wie die Brücke wieder aufgebaut werden könne, verlange dafür von Israel aber Sicherheitsgarantien. "Solche Sicherheiten kommen bislang aber nicht." Im Gegenteil: Augenzeugen in Tyrus berichteten, israelische Flugzeuge würfen Flugblätter über der Stadt ab, in denen die Bevölkerung vor Fahrten in den Süden gewarnt würde. Jedes Fahrzeug scheint zum Abschuss freigegeben.
"Das Gebiet südlich des Litani-Flusses ist leider ein Sperrgebiet", sagte Vincent Houver von der Internationalen Organisation für Migration in Beirut. Auch das Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) spricht von einer Blockade über Teile des Grenzgebiets, die Israel verhängt habe. Nach den Worten von IKRK-Sprecher Richard Huguenin erhalten Hilfsorganisationen derzeit keine Genehmigung für die Verteilung von Lebensmitteln und medizinischen Versorgungsgütern im südlichen Libanon. So hätten die Militärbehörden entgegen früheren Zusagen keine Sicherheitsgarantien abgegeben, sagte Huguenin. Schon seit zwei Tagen seien deshalb keine Hilfstransporte mehr möglich gewesen.
Hilfsorganisationen suchen derzeit nach neuen Routen, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Das Uno-Welternährungsprogramm erklärte heute, nach der Zerstörung der wichtigen Brücke über den Litani sei die Versorgung der libanesischen Bevölkerung in Tyrus womöglich nur noch über den Seehafen der Stadt möglich.
Doch auch hier gibt es Probleme. Denn auch auf dem Seeweg war es dem IKRK zufolge nicht mehr möglich, die südlibanesische Bevölkerung zu versorgen. Ein griechisches Schiff mit Hilfsgütern des Roten Kreuzes habe keine Genehmigung erhalten, den Hafen von Tyrus anzusteuern. Es sei schließlich nach Sidon nördlich des Litani-Flusses umgeleitet worden.
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Israel hat mehrfach angekündigt, das rund 30 Kilometer breite Gebiet südlich dieses Flusses bis zur israelischen Grenze zur Pufferzone auszuweiten. Die dortige Bevölkerung wurde zur Ausreise aufgerufen. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes befinden sich aber immer noch rund 100.000 Menschen in diesem Gebiet - etwa 27.000 in Tyrus, 33.000 in den verstreuten Dörfern und 40.000 Palästinenser in vier Flüchtlingslagern. Sie müssten dringend mit Hilfsgütern versorgt werden, betonte IKRK-Sprecher Huguenin.
Auch die Hilfsorganisation Care warf Israel vor, die Versorgung der Zivilbevölkerung im Libanon zu behindern. Durch den Beschuss und die starke Beschädigung der nördlichen Verbindungsstraße von Syrien nach Beirut durch die israelische Armee Ende vergangener Woche sei eine entscheidende Versorgungsmöglichkeit "bewusst massiv beeinträchtigt worden", kritisierte der Geschäftsführer von Care Deutschland, Wolfgang Jamann, heute in Bonn.
Hoffnung machten heute Nachrichten aus Berlin: Nach Angaben der israelischen Botschaft genehmigte Israel 22 Konvois mit Hilfslieferungen für Südlibanon. Sprecher Amit Gilad teilte mit, wegen der militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der Hisbollah sowie aus Sorge um die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen müssten die humanitären Aktivitäten mit Israel koordiniert werden. Jede Anfrage werde einzeln geprüft und entsprechend der Sicherheitslage beantwortet. "Heute wurden die Routen von neun Konvois der Uno und 13 Konvois des Internationalen Roten Kreuzes in den Südlibanon besprochen und genehmigt", hieß es in der Erklärung.
900.000 Menschen auf der Flucht
Nach Uno-Schätzungen sind seit Beginn des Krieges am 12. Juli 900.000 Menschen im Libanon auf der Flucht. Rund 550.000 davon hätten Zuflucht bei Gastfamilien in Beirut und im Norden des Landes gefunden. Weitere 130.000 seien in Notunterkünften untergekommen. Das Welternährungsprogramm hat eigenen Angaben zufolge bislang 404 Tonnen Nahrungsmittel in den Libanon gebracht. Damit könnten 105.000 Menschen eine Woche lang versorgt werden. "Das ist schon was, aber es ist nicht genug", sagte eine Sprecherin des Programms in Genf.
Die finanzielle Rückendeckung für die Uno-Missionen lässt nach heutigen Angaben offenbar zu wünschen übrig: Von den erbetenen 150 Millionen Dollar (117 Millionen Euro) seien bislang lediglich 41 Millionen Dollar zusammengekommen, teilte das Uno-Büro für die Koordination der humanitären Hilfe mit.
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3719 Beiträge, Neuester: Heute, 20.08 Uhr von Michael Schnarch Hinzu kommt, dass nach Angaben von Helfern ein drohender Energiemangel die Funktionsfähigkeiten von Kraftwerken, Wasserpumpstationen und Krankenhäusern gefährdet. Libanon erwartet die Ankunft zweier Tankschiffe mit 87.000 Tonnen mit Treibstoff und Diesel. Die Reedereien verlangen von Israels für die weitere Fahrt aber Sicherheitsgarantien. "Wenn es in den nächsten Tagen keine Treibstofflieferungen gibt, wird die Hälfte der Krankenhäuser bis Ende der Woche ihren Betrieb einstellen müssen", sagte Ala Alwan von der Weltgesundheitsorganisation.
Bei seiner Beirut-Visite versicherte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) heute dem libanesischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri, sich für eine Verbesserung der Lage der libanesischen Flüchtlinge einzusetzen.
Schwere Kämpfe im Südlibanon
Ungeachtet der dramatischen humanitären Situation gingen die Kämpfe mit unverminderter Härte weiter. Israelische Kampfflugzeuge flogen Angriffe auf Ziele im westlichen Bekaa-Tal. Die Gegend um Yuhmor und Suhmor sei erstmals seit dem Beginn des bewaffneten Konflikts am 12. Juli bombardiert worden, wie die Polizei sagte. In der Region um Tyrus schlugen mehr als 200 Geschosse ein.
Bei einem Angriff auf die Ortschaft Ghasijeh wurden nach Angaben von Rettungskräften und Krankenhausmitarbeitern 14 Menschen getötet und 23 weitere verletzt. Bei israelischen Luftangriffen auf eine Ortschaft nahe der südlibanesischen Hafenstadt Sidon kamen sechs Menschen ums Leben, weitere 28 wurden verletzt, wie die Polizei mitteilte. Im Grenzgebiet lieferten sich schiitische Freischärler und israelische Soldaten weiterhin Gefechte: Dabei wurden in der Nähe der Hisbollah-Hochburg Bint Dschbeil zwei israelische Soldaten getötet. Israelische Bodentruppen rückten weiter vor; die Bodenkämpfe sollten ausgeweitet werden, wie das Militärradio berichtete.
Seit Beginn der Kämpfe am 12. Juli sind 103 Israelis ums Leben gekommen, davon 65 Soldaten. Nach israelischen Angaben sind etwa 450 Hisbollah- Milizionäre getötet worden. Auf libanesischer Seite starben nach Schätzungen der Regierung rund 1000 Menschen.
Im Norden Israels schlugen heute erneut Dutzende von der Hisbollah abgefeuerte Katjuscha-Raketen ein. In Maalot wurde ein Haus direkt getroffen, es entstand schwerer Sachschaden. Es gab jedoch keine Berichte über Verletzte. Die israelische Regierung will rund 20.000 Bürgern aus dem Norden Notunterkünfte in anderen Landesteilen zur Verfügung stellen.
phw/reuters/dpa/AP
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