NAHOSTKRIEG
"Die Rolle der Uno ist beschämend"
In der vierten Woche des Krieges im Libanon diskutiert die Uno immer noch ohne Ergebnis über eine Resolution für einen Waffenstillstand. Der frühere Uno-Chef Butros Butros Ghali fordert die schnelle Stationierung einer Friedenstruppe.
SPIEGEL ONLINE: Mit Wut und Empörung reagieren Demonstranten in der arabischen Welt auf die Unfähigkeit der Uno, den militärischen Schlagabtausch zwischen der libanesischen Hisbollah-Miliz und der israelischen Armee zu stoppen. Verliert die Weltorganisation jetzt vollends ihre Glaubwürdigkeit?
Der Jurist Ghali, 83, wirkte in mehreren ägyptischen Regierungen mit und war von 1992 bis 1996 Generalsekretär der Vereinten Nationen Ghali: Ihre bisherige Rolle in diesem Konflikt ist tatsächlich beschämend. Die Effizienz der Uno hat stark nachgelassen. Dennoch:Völlig am Ende ist sie nicht.
SPIEGEL-ONLINE: Nicht mal nach dem Bombenangriff auf das südlibanesische Kana sah sich die Uno im Stande, einen Waffenstillstand durchzusetzen.
Ghali: Mit den Vereinten Nationen geht es bereits seit Ende des Kalten Krieges bergab. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks verabschiedet die Uno nur noch, was die USA vorher akzeptiert haben. Es ist fast so wie im Imperium Romanum, als alles von Rom festgelegt wurde. Das Blutbad von Kana zeigt, wie sehr Washington über gravierende Bedenken und Meinungen hinweg Resolutionen verhindern kann.
SPIEGEL ONLINE: Libanons Premier Fuad Siniora hofft dennoch auf die Weltorganisation. Beirut will, dass Uno-Blauhelme längs der Grenze zu Israel postiert werden. Geben Sie diesem Plan eine Chance?
Ghali: Ein Uno-Mandat wäre wichtig, Symbole haben noch immer ihren Wert. Um Zeit zu gewinnen und Menschenleben zu schonen, müssten diese Uno-Truppen jedoch möglichst schnell an die Grenze geschickt werden. Die Gefahr besteht darin, dass der Entscheidungsprozess in New York womöglich länger dauert, als es die unhaltbaren Zustände im Libanon zulassen. Doch im Sicherheitsrat wird manövriert und taktiert, das braucht nun mal viel Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Hoffnung, dass die Friedenstruppe, an der sich auch die Europäer beteiligen sollen, trotzdem rechtzeitig steht?
Ghali: Ich bezweifle, dass die Europäische Union überhaupt bereit und in der Lage ist, schnellstens Friedenssoldaten aufzustellen. Wenn sie das nicht tut, müssten sich die libanesische Regierung und Israel unverzüglich an die Nato wenden, damit das westliche Verteidigungsbündnis eingreift. Nato-Einsätze lassen sich schneller bewerkstelligen.
SPIEGEL ONLINE: Die Nato gilt vor allem im arabischen Raum als Instrument Amerikas. Beirut würde wohl kaum zustimmen.
Ghali: Wichtig ist, dass den Kombattanten an der Grenze endlich Einhalt geboten wird, notfalls auch von anderen Kräften als der Uno. Deren Soldaten waren schon auf dem Sinai nicht mehr dabei - dort sorgt seit Unterzeichnung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages eine internationale Truppe für Ruhe, und zwar erfolgreich.
SPIEGEL ONLINE: Welche Länder sollten die Eingreifkräfte für Nahost zusammenstellen?
Ghali: Vor allem solche, die von beiden Seiten akzeptiert werden. Ich könnte mir vorstellen, dass französische, schwedische, lateinamerikanische und auch deutsche Friedensbewahrer weder auf das Veto der Libanesen noch auf das der Israelis stoßen. SPIEGEL ONLINE: Die Unifil-Truppen, die bisher im Süd-Libanon stationiert waren, haben zu keinem Zeitpunkt Grenzverletzungen und schon gar nicht Waffengänge verhindern können.
Ghali: Diese Soldaten hatten auch nicht den Auftrag, im Konfliktfall energisch einzugreifen. Jede Truppe, die künftig im Süden stationiert wird, muss jedoch die Erlaubnis haben, ihren Auftrag notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Beobachtern nur Blauhelme auf den Kopf zu setzen, das bringt gar nichts.
SPIEGEL ONLINE: Es bleibt der Eindruck, dass die Uno zahnlos geworden ist. Nicht nur in Nahost, auch in der sudanesischen Katastrophenprovinz Darfur oder im führungslosen Somalia wird sie vermisst. Wozu sind die Vereinten Nationen noch da?
Ghali: Ich bin nicht ganz so pessimistisch. In ein paar Jahren wird das erstarkende Europa eine größere Rolle in der Uno spielen, auch ein selbstbewussteres Russland oder Indien. Ich bin außerdem zuversichtlich, dass die Amerikaner in absehbarer Zukunft einen Präsidenten ins Amt heben, der in den Vereinten Nationen eine Organisation sieht, die gleichzeitig dem Weltfrieden und den Langzeitinteressen der Vereinigten Staaten dienen kann.
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