Interview
Von Marion Trimborn | 29.03.2022, 07:00 Uhr NOZ
Der Oberstleutnant a.D. ist der Meinung, dass Putin keinen Konflikt mit der Nato will, weil er wisse, dass das viel zu gefährlich sei. Deshalb seien die baltischen Staaten auch nicht in Gefahr. Für einen Frieden müsse der Westen dem russischen Präsidenten nun entgegenkommen.
Herr Scholz, im Ukraine-Krieg hat Russland nach eigenen Angaben nun auch Hyperschallraketen eingesetzt – ist das ein Wendepunkt im Krieg?
Wenn ich das einmal sagen darf: Solche Informationen sind unwichtig. Das ist nur wichtig für die Stammtisch-Unterhaltung. Denn eines ist klar: Ein Krieg ist heute kein Duell mehr, bei dem es darum geht, wer die bessere Waffe hat und wer schneller schießt. Sondern entscheidend ist, dass man fragt, welche Absicht dahintersteckt und welche Fähigkeiten man besitzt.
Wann kommt aus Ihrer Sicht als Planungsstabsoffizier der militärische Enthauptungsschlag gegen die ukrainische Hauptstadt Kiew, mit der Putin angeblich eine rasche Entscheidung herbeiführen will?
Ein solcher Schlag steht nicht bevor. Die ukrainische Armee ist unterlegen und was macht Sie? Sie geht dorthin, wo sie geschützt ist, in die Städte. In diese Städte wie Kiew kann man nicht reinbomben oder mit Panzern und Artillerie hineinschießen, ohne auch große Verluste unter der Bevölkerung anzurichten. Den Russen bleibt nur, die ukrainische Armee in den Städten festzunageln und wirkungslos zu machen, bis der ukrainische Präsident kompromissbereit ist.
Das heißt, Sie glauben nicht, dass Russland bis zu einem militärischen Sieg kämpft?
Genau, es wird keine militärische Lösung geben. Irgendwann ist genug gestorben, genug geblutet, genug gehasst und genug kaputt. Und dann werden beide Seiten verhandeln bis zu einem Kompromiss. Diesen Kompromiss werden wir in einem Monat, in einem Vierteljahr oder in einem halben Jahr haben. Die Russen hätten die Ukraine schon längst vollständig besetzen können, wenn sie wollten, weil sie absolut überlegen sind.
Zur Person
Ulrich Scholz ist Oberstleutnant a.D. und hat 35 Jahre militärische Erfahrung. Der Berufsoffizier hat eine US-amerikanische Generalstabsausbildung und war Planungsstabsoffizier in NATO-Hauptquartieren. Scholz hat vielfältige Erfahrungen als Einsatzpilot der F4 Phantom, war Fluglehrer für das Kampfflugzeug Tornado sowie Kommandeur und Leiter des Ausbildungsmanagements aller fliegenden Systeme in der Luftwaffe. Inzwischen arbeitet Scholz als Berater und Dozent in Angelegenheiten der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Warum tun sie es dann nicht?
Weil russische Truppen dann im Westen den NATO-Truppen in Polen und Rumänien direkt gegenüberstehen würden. Das ist nicht im Interesse Russlands. An dieser Grenze sollen neutrale ukrainische Truppen stationiert sein, keine russischen. Russland hat ein anderes, eigentliches Ziel.
Welches Ziel denn?
Präsident Putin will, dass die Ukraine nicht in die NATO kommt, sondern dass die Ukraine neutral bleibt. Bei den Verhandlungen vor dem Krieg hatte der Westen die NATO-Mitgliedschaft als nicht verhandelbar erklärt. Das ließ Putin nur noch die militärische Option. Wie es aussieht, wird ein Kompromiss genau darauf hinauslaufen. Bis auf Weiteres keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Den hätten wir auch schon vor dem Krieg haben können.
Also hat die Nato aus Ihrer Sicht Schuld an dem Krieg?
Niemand hat Schuld. Wir erleben hier, wie so oft in der Geschichte, die Unfähigkeit zur Empathie als Kriegsauslöser. Im Westen hat man die russische Wahrnehmung der NATO Osterweiterung als geostrategische Strangulierung ignoriert. Es wäre klug gewesen, von Beginn an einen prominenten und neutralen Moderator etwa von der UNO einzuschalten wie zum Beispiel Kofi Annan. Dann hätte man eine Lösung gefunden – ohne Krieg |