24.2.2016. Basislager. Während er Stift und Block ganz langsam, als täte die Schwerkraft ihre Wirkung in Zeitlupe, auf seine im Schneidersitz gekreuzten Beine herabsinken liess, richtete sich sein Blick gegen den azurblauen Himmel, wo, als Punkte in V-Formation erkennbar, die Streifengänse ihre Überquerung des höchsten Bergmassivs der Erde antraten, nachdem sie sich, von Aufwinden angetrieben, kreisförmig in die Höhe geschraubt hatten. Dieses faszinierende Naturschauspiel, die atemberaubende Landschaft und die meditative Stille dieses Ortes hatten den Expeditionsleiter in andere Sphären getragen, fernab von Zeit und Raum. Seine müden Glieder, gezeichnet durch die grossen Strapazen der letzten Wochen, waren in diesem Moment federleicht, seine Gedanken waren im Nichts verschwunden und seine Sinne nahmen lediglich die Punkte am Firmament war, die ganz lautlos und unbeirrt dem Himalaya entgegenstrebten. Ein Feuerschwänzchen mit seinem bunten Gefieder hatte sich zu ihm gesellt und blickte neugierig auf die aufgeschlagene Seite seines Tagebuchs, als wollte es erkunden, welchen Sinn diese handgeschriebenen Aufzeichnungen ergaben: »Vor exakt 5 Monaten, am 23.9.2015, starteten wir unsere Expedition in Domba, Provinz Qinghai, mit dem Ziel der Erklimmung des Mount Everests. Nach einem langen Marsch durch das chinesische Hinterland erreichten wir genau zu Silvester 2015 die chinesische Mauer. Hier machten wir 3 Tage lang Rast, denn immerhin mussten wir das Neue Jahr ausgiebig feiern. Gleich darauf setzten wir unsere Reise mit der Überwindung der chinesischen Mauer fort, wobei uns China (Mini-Börsen-Crash) dabei so sehr unterstützte, dass wir richtiggehend mit einem Sprung ins Neue Jahr starteten. 3 Wochen lang wanderten wir entlang der Mauer und genossen hier neben der wunderschönen Landschaft die Sicherheit vor unliebsamen Kräften (früher diente sie dem chinesischen Kaiserreich als Schutz vor nomadischen Reitervölkern, uns dient sie heute als Abwehr vor den Goldman-Sachs-Brüdern). Bereits im 7. Jh. v. Chr. wurde mit der Errichtung dieses monumentalen Bauwerks begonnen und es schien uns, als ob dieses hohe Alter und die unvorstellbare Dimension der Mauer (die Längenzahl in Kilometern entspricht in etwa der Höhe des Mount Everests in Metern) eine riesige Anziehungskraft auf uns und damit unsere Route ausübten, die es uns schwer machte, aus dem Wirkungsbereich dieses jahrtausendealten Monuments herauszukommen. Doch in der letzten Jännerwoche empfingen wir eine ausserordentliche Energie, deren Herkunft uns zunächst unerklärlich war, sich jedoch kurze Zeit später als jene vom Kailash ausgehende, dem heiligen Berg der Tibeter, herausstellte, sodass wir uns von der Mauer lösen konnten und bereits am Montag an den zahlreichen dort auf Knieen den Berg umrundenden Pilgern, den "gangs rin po che" passierten und in das Tibetische Hochland eindrangen. Hier kamen wir mit raschem Tempo bis zum Einstieg in das Gletscherfeld. Nach kurzer Beratung ging es weiter, am 600 m hohen Khumbu-Eisfall vorbei, zum 25 km langen Rongbuk-Gletscher, wo wir das erstemal die Tücken des Gletscherfeldes zu spüren bekamen. Doch genau hier half uns das "golden cross", das vom Gipfel des 6.700 m hohen Kailash herüberstrahlte, sicher das Feld zu überqueren. Heute haben wir das Basislager erreicht. Unser Geomant sagte, dass wir damit den 4-jährigen Abwärtstrend markttechnisch gebrochen hätten. Was er damit meinte, kann ich mir derzeit noch nicht erklären, aber der vergnügte Gesichtsausdruck, den er dabei machte, verriet mir, dass dies ein positives Zeichen für unsere Unternehmung sein musste. Hier – von diesem Basislager aus – soll unser Aufstieg erst so richtig beginnen. Bestärkt in dieser Vermutung werde ich durch die Tatsache, dass im letzten Streckenabschnitt des Gletscherfeldes die Sponsoren ihr Füllhorn öffneten ("big money"). Doch meine Begeisterung für den weiteren Weg darf nicht in blinden Übermut wechseln. Zwar hat man hier im Basislager einen freien Blick auf den Mount-Everest-Einstieg (USD 15,53), grosse Hindernisse sind mit freiem Auge nicht zu erkennen, auch unsere Versorgung (Gold) befindet sich in guter Verfassung, dennoch macht mir das hohe Tempo, mit dem wir bislang vorangekommen sind ein wenig Sorge. Vermutlich wird spätestens beim Einstieg in den Berg eine Rückkehr zum Basislager (USD 13,7) oder womöglich sogar bis zum Rongbuk-Gletscher (USD 11,64; 38-%-Fibo-Korrektur) vonnöten sein (Korrektur), um dort Kräfte für den tatsächlichen Anstieg zu sammeln. Wie weit wir zurück müssen, hängt von der Verfassung unserer Mannschaft, der Versorgung und den Wetterbedingungen ab. Unsere Sherpas haben ja bereits vor unserer Ankunft das Basislager mit Zelten und Proviant versorgt und wir können uns daher nötigenfalls an diesen Punkt zurückziehen. Der erste Abschnitt bei der Besteigung wird uns dann zum Lager 1 (USD 21,5) führen. Doch das ist heute noch Zukunftsmusik. Jetzt konzentrieren wir uns voll auf den nächsten Abschnitt.« Die kleinen, fliegenden Punkte am Himmel waren verschwunden, am Horizont senkte sich langsam die orange-glühende Sonne, das Feuerschwänzchen schickte ihm, aus der Ferne fröhlich zwitschernd, einen Abschiedgruss und er verspürte den aufkommenden Wind, der ihn zurück in die Wirklichkeit holte; zur Seite blickend, sah er seine Mannschaftskameraden, die sich über das ganze Basislager verteilt, aufhielten. Einige sassen in einer Gruppe kreisförmig beieinander und zeigten durch ihre – immer wieder durch ausgiebiges Lachen unterbrochene – angeregte Unterhaltung, ihre gute Laune, andere genossen einfach in aller Stille den berauschenden Sonnenuntergang und wieder andere bewegten sich geschäftig durch das Basislager. Die Stimmung in der Mannschaft war eine gute. Der Expeditionsleiter packte Stift und Block in seinen Rucksack und begab sich zu seinen Kameraden, die in fröhlicher Runde um ein hell loderndes und knisterndes Feuer versammelt waren. Man hatte für diesen denkwürdigen Abend ganz spontan ein Fest vorbereitet und dieses sollte nun gefeiert werden.
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