Wahlkampf 2004: „Zeit für Innovationen – Impulse für Deutschland“ Während Rot-Grün auf eine Rekordverschuldung zusteuert, hat SPD-Chef Franz Müntefering auch noch eine Abkehr vom EU-Stabilitätspakt angeregt. Opposition und Wirtschaftsprofis kommen aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr raus. Münteferings Äußerungen, den Stabilitätspakt unter Umständen aufzugeben, seien „verheerendes Signal", empörte sich CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer am Dienstag in Berlin von einem. Der SPD-Vorsitzende habe „ohne jede Konzeption rumgelabert“.
Müntefering hatte zuvor auf dem SPD-Kongress „Zeit für Innovationen – Impulse für Deutschland“ erklärt, der Pakt könne zwar nicht einseitig aufgegeben werden. Europa müsse sich aber entscheiden, welches Drei-Prozent-Kriterium das Wichtigere sei: die drei Prozent im Stabilitätspakt oder drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung, Bildung und Entwicklung bis 2010. Derzeit würden dafür rund 2,5 Prozent ausgegeben. Fünf bis sechs EU-Staaten seien in einer vergleichbar schlechten Finanzlage.
Müntefering, der auch Fraktionsvorsitzender ist, sagte weiter: „Mir scheint, es gibt eine gewisse Diskrepanz in der Zielsetzung. Darüber müssen wir sprechen.“ Eine dauerhafte Konsolidierung des Haushalts sei nur durch mehr Wachstum zu erreichen. Dies und die Einhaltung des Stabilitätspakts sei nicht durch eine „Spirale des Sparens nach unten“ zu schaffen.
Am Montagabend hatte Müntefering bereits in der ARD angekündigt, dass die Bundesregierung für den kommenden Haushalt noch mehr Schulden aufnehmen müsse. Über die Höhe könne er jedoch noch nichts sagen, so der SPD-Chef. Es seien „noch viele Unbekannte im Spiel", etwa wie hoch das Wachstum in diesem Jahr sein werde.
Die Vorbereitungen auf den Haushalt 2005 liefen unter der Maßgabe „Konsolidierungsphase nicht aufgeben, aber Wachstum suchen mit allem was möglich ist“. Eine dauerhafte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden ist laut Müntefering nur bei einem Wachstum in Deutschland möglich.
Im Würgegriff der „Zins-Garrotte“
Angesichts von Münteferings Ankündigung, noch mehr Schulden aufzutürmen, raufte sich einer der angesehensten Wirtschaftsforscher Deutschlands die Haare. Der Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut in München wies in der „Bild“-Zeitung auf die Folgen einer noch höheren staatlichen Verschuldung mit Zins- und Zinseszinsen hin. Dies sei ein „Teufelskreislauf", sagte er dem Blatt. „Die Zins-Garrotte droht uns zu erwürgen.“ Sinn forderte stattdessen einen „Entschuldungsplan wie bei einer Privatinsolvenz“.
CSU-Chef Edmund Stoiber forderte Rot-Grün vehement dazu auf, die Milliardenlöcher durch Einsparungen zu schließen. „Am Sparkurs führt kein Weg vorbei", sagte der bayerische Ministerpräsident der „Welt“. Stoiber warf Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor, anstelle dessen in Berlin „Schuldenorgien“ zu veranstalten.
Hintergrund: Die Staatsschulden (Bund, Länder, Gemeinden) wachsen in diesem Jahr voraussichtlich auf gigantische 1,4 Billionen Euro. Allein der Bund steht mit 800 Milliarden Euro in den Miesen. Besserung ist nicht in Sicht: Die Steuerschätzer, die am Donnerstag ihre Zahlen vorlegen, erwarten bis 2007 weitere 50 Milliarden Euro an Steuerausfällen.
Focus online, 11.5.4 |