Gerster werden kaum noch Chancen eingeräumt Trotz erneuter Rückendeckung durch die Bundesregierung steht der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Florian Gerster, offenbar auf verlorenem Posten.
In Kreisen des Verwaltungsrates der Behörde hieß es am Donnerstag, Gerster habe kaum noch Chancen, in der für Samstag anberaumten Krisensitzung das Vertrauen des Aufsichtsgremiums zu gewinnen. Ein Rücktritt Gersters noch vor diesem Termin wurde in Regierungskreisen als unwahrscheinlich bezeichnet. Gerster wolle kämpfen. Die Regierung wolle seine Chancen nicht untergraben. In diesem Sinne seien Äußerungen von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zu verstehen, der sich hinter Gerster stellte. Medienberichte, in denen etwa die Staatssekretäre Gerd Andres und Alfred Tacke als als mögliche Nachfolger für die BA-Spitze genannt wurden, bezeichnete Clement als "Quatsch".
Der arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, machte deutlich, dass Gerster bei einem Vertrauensverlust im Verwaltungsrat kaum zu halten sei. Der bayerische Arbeitsstaatssekretär Jürgen Heike (CSU), der Mitglied des Aufsichtsgremiums ist, sagte der Agentur Reuters: "Das Vertrauen ist bei mir massiv gegen Null gegangen." Er mache seine Entscheidung aber von dem Prüfbericht zu den umstrittenen Verträgen der BA mit externen Beratern abhängig, den die Innenrevision zur Sitzung des Verwaltungsrates vorlegen will.
Gerster steht seit zwei Monaten wegen umstrittener Beraterverträge in der Kritik. Im November war bekannt geworden, dass Gerster einen Beratervertrag im Volumen von fast 1,5 Millionen Euro rechtswidrig ohne Ausschreibung an WMP Eurocom vergeben hatte. Interne BA-Ermittler prüfen seither 48 Verträge mit externen Dienstleistern im Wert von jeweils über 200.000 Euro. Bei mindestens drei weiteren Verträgen sollen dabei Zweifel an deren Rechtmäßigkeit aufgekommen sein.
Am Samstag will der von Gewerkschaften, Arbeitgebern sowie Vertretern von Bund und Ländern gebildete BA-Verwaltungsrat in Nürnberg zu einer Krisensitzung zusammenkommen. Während die Gewerkschaften Gersters Reformkurs von Beginn an kritisch verfolgen, gingen die Arbeitgeber erst jüngst auf Distanz.
KANDIDATENDISKUSSION GEWINNT AN FAHRT
In den Medien setzte die Diskussion über einen möglichen Nachfolger Gersters ein. Die "Financial Times Deutschland" berichtete, Chancen habe Wirtschafts-Staatssekretär Andres (SPD). Zudem nannte sie die Namen des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers Harald Schartau (SPD), des VW-PersonalvorstandsPeter Hartz und des BA-Vorstandsmitglieds Heinrich Alt. Die "Bild"-Zeitung berichtete, neben Andres werde hinter den Kulissen auch Staatssekretär Tacke als möglicher Nachfolger genannt.
Clement sagte dazu: "Das ist schlicht und ergreifend Quatsch." Dies seien zwar gute Namen. "Aber nicht für diesen Job." Der Minister fügte hinzu: "Ich stehe, wie Sie wissen, hinter Herrn Gerster." Ein Treffen Clements mit dem BA-Chef ist nach Angaben von Sprecherinnen der BA und des Ministeriums vorerst nicht geplant: "Es ist kein Termin vorgesehen."
In Koalitionskreisen fiel in der Diskussion über mögliche Nachfolger Gersters auch der Name des SPD-Spitzenkandidaten bei der Hamburger Landtagswahl Ende Februar, Thomas Mirow. Dieser sei dort aber unabkömmlich. Der frühere Wirtschaftssenator soll bei der Neubesetzung der BA-Spitze vor zwei Jahren erste Wahl von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) gewesen sein, der sich nach einer Absage Mirows dann für Gerster entschieden habe.
Hartz hatte schon vor Monaten Berichte über einen Wechsel an die BA-Spitze dementiert. In der Regierung wird es für schwierig gehalten, einen hochrangigen Manager zu gewinnen, da dieser erhebliche Gehaltseinbußen hinnehmen müsste. Gerster erhält 250.000 Euro Jahresgehalt. Schartau, der auch SPD-Chef in Nordrhein-Westfalen ist, ist wegen der anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen im volkreichsten Bundesland derzeit stark gebunden. Wenn nicht erneut auf einen Parteipolitiker zurückgegriffen werden soll, kommen auch Andres sowie Brandner nicht in Betracht. Letzterer hat zudem keine Erfahrung mit der Leitung größerer Behörden. Der beamtete Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Tacke hätte für die Regierung den Vorteil guter Verbindungen in Wirtschaft und Koalition.
Die "Bild"-Zeitung berichtete zudem, die Vorsitzende des BA-Verwaltungsrates, Ursula Engelen-Kefer, habe Gerster bereits am Dienstagabend telefonisch den Rücktritt nahe gelegt. Gerster habe die Möglichkeit eingeräumt bekommen, bis Freitagvormittag - dem Zeitpunkt der Fertigstellung des BA-Prüfberichts - von sich aus seinen Rücktritt zu erklären. Beim DGB hieß es dazu auf Reuters-Anfrage: "Das ist totaler Unsinn."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Volker Kauder (CDU), kritisierte das Verhalten Clements im Fall Gerster. "Ich habe den Eindruck, Clement nimmt seine Aufsichtsfunktion nicht ernst." Wenn bei der BA nicht sofort reiner Tisch gemacht werde, erwäge die Union einen Untersuchungsausschuss Clement-Gerster.
Reuters, 22.1.2004 |