Ich drücke mich sicherlich nichts o gewählt und hochtrabend aus, wie du das immer tust, aber ich habe die 90er Jahre als Jugendlicher miterlebt, die nicht ohne Grund als Baseballschlägerjahre gelten. Und ich bin weit davion entfernt, "den Wessis" oder irgendeiner anderen Gruppe von Menschen zu geben, genauso wenig wie pauschal den Umständen die Schuld für Mord und Totschlag. Ich war selbst Teenager in den frühen 90er Jahren, und ich bin wegen diesen Umständen nicht Rechter oder Gewalttäter geworden. Insofern werde ich auch nirgendwo eine Zwangsläufigkeit herstellen, die zu den damaligen Gewaltexzessen oder heutiger politischer Lage geführt haben. Darum gings auch garnicht, wenn ich von Fehlern in den 90er redetet. Dass es auch Fehler in 60 jahren davor, und den Jahrhunderten davor gab, weiß ich sehr genau. Deshalb habe ich Politik und Geschichte studiert, weil mich unter anderem diese gesellschaftlichen Entwicklungen und Vorurteile der Jahrhunderte davor interessiert haben, die zu heutigen Gesellschaften nicht nur in Deutschland führten.
Trotzdem kannst du alle Umstände der späten 80er und den 90ern, die eben auch entscheidend dazu führten, nicht einfach abstreiten. Soziale und gesellschaftliche Umstände, familiäres Umfeld und vieles mehr beeinflussen natürlich die Gedanken der Menschen. Das wirst du wohl kaum bezweifeln. Welchen Anteil nun welche Umstände zu welcher Zeit spielten, wird man wohl kaum wissenschaftlich in Prozenten ausdrücken können. Das alles hat mit mittelalterlichen Vorurteilen gegenüber Juden zu tun, mit der deutschen Nationalgeschichte, mit dem 3.Reich, mit der fehlenden Aufarbeitung in beiden deutschen Staaten, mit dem verordneten Antifaschismus in der DDR, mit dem fehlenden Kontakt mit Fremden/Ausländern in der DDR, aber eben auch mit der polizeilichen, juristischen Aufarbietung in den späten 80er Jahren der DDR, und auch ganz speziell mit dem gesellschaftlichen und sozialen Chaos in den 90er Jahren. Ich werde deshalb niemals pauschal irgendwem die Schuld geben, schon gar nicht "den Wessis", aber die Umwälzungen in der DDR in der Wendezeit und den Jahren danach scheinen manche Menschen (ja aus dem Westen) immernoch nicht ganz auf dem Schirm zu haben. Ich kenne Westdeutsche, die noch nicht ein mal in der EX-DDR waren, sich aber ständig dazu äußern, was hier passiert. Aber darum gehts jetzt nicht. Fakt ist, 90% aller DDR-Bürger haben in den frühen 90ern ihre Arbeit verloren, mussten umschulen oder in ihrem Job sich einen neue Stelle suchen. Fakt ist auch, die Polizei und Justiz exsitierte faktisch die ersten 2-3 Jahre nach der Wende nicht mehr. Hier war Wilder Westen angesagt, den Neonazigruppen unterstützt von westdietschen und österreichsischen Nazis für sich nutzen, wie keine andere "Jugendkultur" dieser Zeit. Gewalt gegen Ausländer und Linke gab es tagtäglich. Die Dorfplätze oder die großen Plätze in Kleinstädten wurden vom rechten Mob diminiert, ohne Gegenwehr der Zivilgesellschaft, geschweige der Polizei und Justiz. Und gleichzietig redeten Politiker (von Kinkel über Biedenkopf) das Problem nicht nur klein, sondern redeten den Nazis sogar noch nach dem Mund. Man zündelten mit Worten und Taten politisch in FDP und Union fast genauso wie es heute die AFD tut. Ende der 90er schien das Problem kleiner zu werden, aber eine echte Auseinandersetzung mit den Gedanken der Jugendlichen, die langsam Familien gründeten und der Gewalt immer mehr abschworen, gab es nicht. Das führte in diesen Regionen dazu, dass sich inmitten der Gesellschaft das gedankengut als sagbar ausbreitete, also beim Trainer der Fußballmannschaft, beim Bäcker um die Ecke, bei Arzt des Dorfes. Das was wir heute auf den Straßen sehen, was irgendwelche 40-70jährige in Sachen "Coronadiktatur" oder "Merkels Flüchtlinsgwelle" fabulieren, ist m.E. eine direkte Auswirkung dieser nicht aufgearbeiteten Zeit der 90e Jahre in der Politik und Zivilgesellschaft. Du kannst mir nicht erzählen, dass das unvermeidbar war. Das entschuldigt nichts, aber natürlich erklärt es vieles. Und das betrifft nicht nur Rechtpopulisten von AFD bis Pegida, sondern auch Rechtsextremisten bishin zur NSU. Man kann alles analytisch aufarbeiten, ohne es damit zu entschuldigen. Ich sage ja auch nicht, dass ich einen Kindermörder oder Sexualstraftäter entschuldige, nur weil man als Profiler oder Psychologe analysiert, wie dieser Täter zu so einem "Monster" werden konnte. Jetzt kannst du noch so sehr sagen, letztlich ist jeder Mensch für seine Taten selbst verantwortlich und sollte sich auf die Zwangsläfigkeit seiner Umgebung berufen. Klar ist das so. Nur ändert es nichts daran, dass es bei all diesen Menschen, egal ob Mörder, Vergewaltiger, Rechsxtremist, Rechtspopulist oder auch Linksextremist immer einen Punkt in seiner Entwicklungb gab bzw. meist viele Punkte, die ihn zu dem gemacht haben was er ist, und in vielen dieser Punkte hätte jemand vielleicht eingreifen können oder die bei anderen familiären oder gesellschaftlichen Umständen ein anderer Weg einschlagen können. Und die 90er Jahre waren aus meinen Erfahrungen ganz entscheidend dafür, was wir heute im Osten sehen, nsbesondere in den Regionen, in denen die Zivilgesellschaft eben die Gewalt und die rechte Ideologie ihrer Kids nicht aufgebarbeitet hat, aber natürlich auch die Politik sowohl in der DDR als auch der BRD danach. ----------- the harder we fight the higher the wall |