Der Amerikanische Traum wird m.E. nur noch künstlich beatmet. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, mit welcher Wucht uns das Ereignis treffen wird. Hier dreht es sich nicht mehr um ein paar kurzfristige Chartbildchen, Key-Reversals, etc., hier dreht es sich um etwas Fundamentaleres, um etwas, was unsere Wahrnehmung vielleicht auch gar nicht zulassen will. Was wir momentan an der Euro / Dollar – Entwicklung sehen, könnte bereits der Vorbote dessen sein, was uns letztendlich bevorsteht, nämlich eine globale Währungskrise. Denn wir sollten uns Eines immer vor Augen halten :
Die Finanzinvestoren sind keine Finanzbeamten. Sie lieben den Exzess, in immer wiederkehrenden Abständen bringen sie die Märkte zum Überschießen. Sie sind nun mal von Berufs wegen Spekulanten, die mit dem Risiko der Übertreibung leben. Ihre Berufseinstellung ähnelt der von Formel-1-Piloten, deren Ziel der Sieg und nicht das unfallfreie Fahren ist.
Selbstverständlich werden an dem besagten Doomsday noch auf jede Menge "Experten" auftreten, die da behaupten werden, dass aufgrund ihrer Berechnungen das alles gar nicht möglich sein könne.
Weltwährung auf Abruf
Jeder Student der Volkswirtschaft lernt doch, dass die Währung eines Landes nur so stabil und damit so wertvoll ist wie das, was die Volkswirtschaft dieses Landes zu bieten hat und produziert. Sieht und fühlt denn keiner, dass sich da eine Spannung aufbaut zwischen dem Traum und der Realität, die sich eines Tages zum Schaden von Millionen Menschen entladen wird?
Und ob das gesehen wird! Die Investoren sehen es, sie staunen, sie schütteln den Kopf, es fröstelt sie sogar, aber: Sie kaufen weiter Dollar. Wie die Besessenen tun sie es. Je größer der Zweifel, desto gieriger ordern sie nach. Denn das Verrückte an diesen Investoren und ihrem Geschäftsgebaren ist eben das: Der Käufer ist nicht nur Käufer. Indem er das Produkt Sicherheit kauft, erzeugt er es. Hört er morgen mit dem Kaufen auf, schmilzt das Vertrauen und die Unsicherheit wächst. Der Traum wäre ausgeträumt, der Dollar geriete ins Trudeln und alle bisherigen Dollarreichtümer würden an Wert verlieren, was der Investor natürlich nicht will.
Das einzige Mittel gegen eine Dollarschwäche ist daher seine Stärkung. Es spielt für viele bereits keine Rolle mehr, ob die amerikanische Währung das Vertrauen noch rechtfertigt oder nicht. Das neue, für alle brandgefährliche Spiel funktioniert genau anders herum: Der Dollar verdient das Vertrauen, weil er es sonst verliert. Man kauft ihn, um ihn nicht verkaufen zu müssen. Der Dollar ist stark, weil nur das gegen seine Schwäche hilft. Es wird mit großer Beharrlichkeit gegen die Realität angeträumt und angekauft, weil das tatsächlich den Traum für einige Zeit zur Realität werden lässt. Oder noch deutlicher gesagt: Jeder verhält sich dadurch rational, indem er sich irrational verhält.
Natürlich wissen die Teilnehmer des Spiels, dass Währungen auf Dauer nicht stärker sein können als die ihnen zugrunde liegenden Volkswirtschaften. Konsum ohne Produktion, Import ohne Export, Wachstum auf Kredit, das alles kann es dauerhaft nur im Jenseits geben, im hiesigen Leben wird es keinen Bestand haben. Es war der ehemalige IMF-Chefökonom Ken Rogoff, ein Mann mit klarem Kopf und losem Mundwerk, der die US-Politik kürzlich lobte, um sie in Wahrheit zu kritisieren: Der Aufschwung in den USA sei "der beste Aufschwung, den man für Geld kaufen kann".
In den Bankbilanzen ist das Ausmaß der Selbsttäuschung zu besichtigen: Die Spartätigkeit in Amerika ist zum Erliegen gekommen. Die Auslandsverschuldung der USA wächst an jedem Wochentag um rund anderthalb Milliarden Dollar und liegt bei insgesamt drei Billionen Dollar. Die Privathaushalte sind im In- und Ausland mittlerweile mit neun Billionen Dollar verschuldet, wobei 40 Prozent dieser Schulden allein seit 2001 entstanden sind. Die Amerikaner genießen eine Gegenwart, für die sie immer größere Stücke der Zukunft verkaufen. Mit Fug und Recht kann man heute sagen: Die Wirtschaftskrise, die der Welt ins Haus steht, ist die bestprognostizierte der neueren Geschichte. Der heutige Boom in den Vereinigten Staaten ist nicht die Widerlegung der Krise, sondern ihr Vorbote.
Die Biologen haben ähnliche Symptome bei Pflanzen beobachtet, die unter dem Eintrag von Schadstoffen leiden. Bevor sie vergehen, bringen sie ein letztes Mal derart kräftige Triebe hervor, dass sie von ihren gesunden Artgenossen kaum zu unterscheiden sind. Der Volksmund spricht von Panikblüte.
Eine Schneewehe, die zur Lawine wird
Aber wer wird der Erste sein, der die Dollarillusion zerstört? Sind nicht alle Investoren durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden, weil jede Attacke gegen die Leitwährung ihre eigenen Wertbestände schmälern und womöglich große Teile davon vernichten würde? Warum sollten die Notenbanken von Japan oder Peking ihre Dollars auf den Markt werfen? Welches Interesse hätten die US-Pensionsfonds, ihren Dollarreichtum mutwillig zu zerstören? Welchen Sinn ergibt es, die USA in eine schwere Krise zu schicken, die womöglich alle Staaten mitreißen wird?
Es ist dasselbe Motiv, das die Investoren einst zu Dollarkäufern machte: Angst. Diesmal ist es die Angst, dass andere schneller sind; die Angst, dass die Dollarstärke ohnehin nicht hält; die Angst, dass jeder Tag des Zuwartens ein Tag zu viel ist. Die Angst schließlich, dass der Herdentrieb der Weltfinanzmärkte einsetzt und man selbst hinterhertrottet.
Vielen ist der Dollar unheimlich geworden. Eines Morgens werden die vielen seiner Besitzer aufwachen, um mit neuem, glasklarem Blick auf die Daten der US-Wirtschaft zu schauen. So wie die Privatanleger eines Morgens mit ungetrübtem Blick auf die Aktien der New Economy blickten und Firmen sahen, deren Wert sich durch keinen noch so großen Gewinnsprung rechtfertigen ließ.
Die Abhängigkeit ausländischer Notenbanken vom Dollar wird dessen Sturz verzögern, aber nicht verhindern. Eine Schneewehe hat sich gebildet, die zur Lawine werden wird. Sie wächst in atemberaubendem Tempo. Sie kann sich morgen lösen, in ein paar Monaten oder auch erst in Jahren. Vieles, von dem die Zeitgenossen glauben, es sei unsterblich, wird eine globale Währungskrise unter sich begraben; womöglich auch die Führungsrolle der USA.
Aus Gabor Steingart "Weltkrieg um Wohlstand"