Ich habe gestern Abend und heute früh rummeditiert. Und ich denke, ich habe mir folgende Interpretation ausgedacht: Diese basiert auf alten Überlegungen, wie sie in #5747 wiederholt skizziert wurden: http://www.ariva.de/forum/...-Thread-v2-0-432583?page=229#jumppos5749
Ich wiederhole: Ich habe meine Zweifel, ob die Chartanalyse des DAX funktioniert, wenn am Nachmittag die Wallstreet öffnet und den Dackel DAX vor oder hinter sich herzieht oder schiebt und nicht auf fein ziselierte Linien achtet.
Irgendwer antwortet, dass das dem Chartkucker egal sei – Charttechnik würde ja funktionieren…
Warum ist das so? Weil durch ein fixes Internet die Welt synchronisiert wird – nicht ganz, ich glaube wir hängen bei Liveschaltungen drei Sekunden hinter den USA, aber das ist auch alles. Und wir haben gleich gedacht/gefühlt, wie die Leute in Amiland.
Dann kam aber die Immobilienkrise und der Sturz in die Tiefe und auch die börsenmäßige Erholung – beides ging synchron: Im Ergebnis stehen Deutschland und die USA jetzt komplett unterschiedlich da: Wirtschaftlich und auch politisch – man stelle sich vor, der Bundeskanzler würde direkt gewählt…
Deutschland ist etwas entspannter geworden mit der Krise umzugehen – erstens geht der Kopf nicht ab werden viele sagen, zweitens hat die Führung Wort gehalten.
EXKURS Zu Beginn der Immobilienkrise hat meine Freundin den Job im Top-Management übernommen und wir sprachen viel, wie sie die Ergebnisse und den Ausblick der versammelten Belegschaft (zusammen knapp 800 nur am Hauptsitz) darstellen solle. Ich riet ihr eine Klaus‘sche Blut- und Tränenrede zu halten – sie wollte das etwas optimistischer darstellen. Die Storyline der Rede ist eingängig: Wir wissen nicht, wie tief wir in die Krise rutschen werden, wir wissen nicht, wann sie zu Ende ist – aber wir wissen, dass wir aus der Krise gestärkt herauskommen wollen. Und „wir“ bedeutet wir alle – wir werden alle an Bord behalten, es werden Überstundenkontos abgebaut, neue Überstunden werden verboten, wir nutzen die Möglichkeit zur Kurzarbeit, wir werden auch über Abteilungsgrenzen hinweg Versetzungen anordnen, wer unbezahlten Urlaub will, sein Haus mal umzubauen – bitte – aber wir wollen alle behalten, denn wenn wir aus der Krise rauskommen, brauchen wir jeden mit seiner Fähigkeit!
EXKURS ENDE
Und einige Zeit später hat sich diese Strategie ausgezahlt, die Leute werden entspannter, wenn sie „Krise“ hören.
Wie hingegen anders die Situation und deren Wahrnehmung in den USA – Sandy, Fiscal Cliff, der zermürbende Wahlkampf, die vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit, die allgegenwärtige Wahrnehmung der Götterdämmerung dieser überdehnten Weltmacht.
Ich folgere daraus, dass die USA schon erheblich weiter im Sentimentzyklus sind, wie wir; isoliert betrachtet, sind die USA, wie Fill sagt, schon in der Phase des Zweifelns, während wir noch auf dem hohen Roß sitzen. Und die Asiaten sind noch viel weiter. Hier könnte man eine globale, komperative Sentimentuntersuchung in Auftrag geben. Spannend ist, wie sich diese „sentimentale“ Phasenverschiebung insgesamt auf die Börsenentwicklung auswirken – harte Börsenzahlen sind global enger verknüpft, als psychologentantige Sentimentwerte.
Vor diesen Hintergrund bin ich froh, dass ich den dicken Batzen Short KOs sauber im Gewinn habe entsorgen können. Egal wie divergent die drei Damen hier sind, wenn einem eine Position nicht mehr gefällt, wird jeder zustimmen, dass man sie verkaufen soll.
----------- Die tödliche Krankheit des Menschen ist seine Meinung, er wisse. Michel de Montaigne |