ARD-Meteorologe im Interview Karsten Schwanke zum Klimawandel: Ich sehe sehr viele rote Warnlichter
Von Elke Schröder
ARD-Meteorologe Karsten Schwanke: "Wir müssen das Leben, so wie wir es gewohnt sind, komplett ändern."
Über das Wetter zu reden, ist für den Diplom-Meteorologen Karsten Schwanke nicht nur ein emotionales Thema, sondern auch ein politisches im Hinblick auf den Klimawandel. Warum der Small Talk über das Wetter nicht aussterben wird, welche Folgen für unseren Alltag durch die globale Erwärmung uns erwarten, darüber spricht der ARD-Wettermoderator im Interview mit unserer Redaktion:
Herr Schwanke, ist die Zeit des unverfänglichen Small Talks über das Wetter angesichts des Themas Klimawandel vorbei?
Nein, niemals. Wetter wird immer ein Smalltalk sein. Wir leben mit dem Wetter jeden Tag: Wir sind dem Wetter täglich ausgesetzt auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, wenn wir das Wochenende, unsere Freizeit planen. Jeder Mensch hat eine Meinung zum Wetter. Ich bin fest davon überzeugt, dass das auch in 200 Jahren noch so sein wird.
Wir haben dieser Tage wieder eine Wärmewelle mit über 30 Grad. Erleben wir hier den Klimawandel über das Wetter?
Das kommt immer mal wieder vor, dass wir im September die 30-Grad-Marke knacken. Doch 34 Grad wie am Dienstag ist alles andere als normal. Den Klimawandel werden wir immer über das Wetter erleben. Das macht es auch so schwer, jedes Wettererlebnis einzuordnen: Ist das der Klimawandel oder noch nicht? Streng wissenschaftlich genommen, dürfte ich nicht sagen, dass das Wetter in dieser Woche der Klimawandel ist. Aber dann könnte ich mich in 100 Jahren immer auf diese Ebene zurückziehen und sagen: Das ist nur das Wetter, und der Klimawandel ist ein dreißigjähriger Durchschnitt. Nur: Das ist nicht fassbar. Wir erleben das Wetter und natürlich ist auch diese kleine Hitzewelle ein Ausdruck des Klimawandels, weil vor 100 Jahren vielleicht in der ähnlichen Wettersituation, die Temperatur nicht so hochgegangen wäre, sondern nur auf 29 Grad. Das macht unter anderem den Klimawandel aus.
Gerade ist ein riesiger Eisbrocken vom größten Gletscher Grönlands abgebrochen. Wie bewerten Sie diese Nachricht im Zusammenhang mit der Erderwärmung?
Die Gletscherforscher sagen, die Geschwindigkeit, mit der das grönländische Inlandeis schmilzt, ist an der oberen Kante dessen, was uns die pessimistischsten Klimaszenarien zeigen. Das sollte uns zu denken geben: Diese Eisschmelze läuft schneller, als die Klimaforscher es prognostiziert haben. Das ist das Drama, denn wir werden die Hitze und die Dürre jetzt schon bekommen. Der Meeresspiegelanstieg, der aus dieser Hitze, der aus dieser Eisschmelze hervorgeht, braucht länger, aber anscheinend ist auch der im riesigen Tempo unterwegs.
Dürre, Hitze, Starkregen: Gab es 2020 bereits Wetterereignisse in Deutschland, die Sie überrascht haben?
Nein. Zehn Tage einen halben Meter Schnee, so wie 1978/79, in Norddeutschland im nächsten Winter - so etwas würde mich überraschen. Das kann passieren, aber die Wahrscheinlichkeit dazu nimmt rapide ab. Es wird immer seltener, dass wir vor allem in der Norddeutschen Tiefebene einen schneereichen oder kalten Winter bekommen. Das, was wir jetzt erleben, spricht alles die gleiche Sprache: Es wird wärmer. Im Norden, Richtung Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, gab es noch keine 40 Grad. Das werden wir in den nächsten Jahren bekommen. Die Frage ist nur wann. Die Dürreperioden nehmen zu. Starke Niederschläge auf der anderen Seite. Dürreperioden betreffen uns vor allem auch in Europa. In anderen Regionen fällt deutlich mehr Regen. Eine warme Atmosphäre kann mehr Wasser speichern, deshalb nehmen weltweit auch Niederschläge zu. Letztlich überrascht mich das nicht mehr. Es ist erwartbar.
Worauf müssen wir uns einstellen?
Die Hitze, auf die wir nicht vorbereitet sind, ist das eine. Trockenheit ist das andere. Das nächste ist das Absterben unserer Wälder - deutschlandweit. Unsere Bäume haben massiv Probleme. Ich mache mir wie die Wissenschaftler große Sorgen: Welche Bäume sollen wir anpflanzen, damit wir in 50 bis 80 Jahren einen gesunden Wald in Deutschland haben? Diese Frage ist eine der schwierigsten Fragen, die es zu beantworten gilt. Der Klimawandel in Deutschland bedeutet mehr als ein paar Grad höhere Temperatur: Es wird unsere Landschaft rapide verändern.
Wie sieht es mit städtebaulichen Lösungen aus, beispielsweise begrünte Dächer?
Das wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das ganz große Thema sein. Wir müssen zum einen das Stadtgrün vermehren: Die Parkanlagen vergrößern und alle Flachdächer müssen grün werden. Doch dieses Stadtgrün muss zum anderen auch bewässert und grün erhalten werden, denn nur so sichert es unser Überleben in der Hitze: Das kühlt die Nächte. Das kühlt die Hitzespitzen tagsüber. Nun haben wir es in diesem Sommer erlebt, dass etliche Gemeinden quer durch Deutschland Wasser rationieren mussten. Wir müssen uns also Gedanken machen über Wasserspeicher, Rückhaltebecken, wo wir den Regen der Wintermonate sammeln, um die Parkanlagen gießen zu können.
Nun haben sich gerade viele Menschen in der Corona-Krise einen Pool für den eigenen Garten angeschafft.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht nichts von Pools, aber es steht darin, dass wir das Leben der Menschen sichern müssen. Wir müssen das Leben, so wie wir es gewohnt sind, komplett ändern. Wir werden unseren Alltag neu denken müssen. Die Bewässerung des Pools wird vermutlich eine Preisfrage werden. Wahrscheinlich wird sich das nicht mehr jeder leisten können, so leid es mir tut. Ich gönne es jedem, der einen Pool hat, das Planschvergnügen und die Abkühlung. Ich habe keinen, ich freue mich über eine kalte Dusche in dem Moment, die dauert fünf Minuten.
Um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, will die EU-Kommission bis 2030 nicht 40 Prozent an CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen, sondern 55 Prozent oder mehr. Unionspolitiker warnen vor Folgen für Industrie und Arbeitsplätze. Was meinen Sie zu den Plänen?
Wenn wir das Pariser Klimaabkommen einhalten wollen, dann reichen diese 55 Prozent nicht. Von daher ist es nicht über das Ziel hinausgeschossen, wenn ich das internationale Völkerrecht ernst nehme. Wir haben einen international gültigen Vertrag unterschrieben. Punkt. Der Klimawandel wird uns herausfordern. Das ist kein Spaziergang. Was die Wirtschaft angeht, reden wir aber immer mit gespaltener Zunge: Wir gucken einerseits auf 7000 Mitarbeiter in der Bergbaubranche, da wird wahnsinnig viel Geld fließen, damit alle beruhigt sind. Um es klar zu sagen: Ich finde es richtig, dass wir uns um diese strukturelle Umgestaltung einer Industrielandschaft kümmern. Aber als in der Windenergiebranche, die nicht gewerkschaftlich stark organisiert und eingebunden ist, hunderttausend Arbeitsplätze innerhalb der letzten vier Jahre verlorengingen, hat niemand aufgeschrien. Ich bin überzeugt: Je schneller wir uns auf diese Umgestaltung der Gesellschaft, auch der Wirtschaft einstellen, desto leichter wird es uns fallen. Diejenigen, die mit neuen klimafreundlichen Geschäftsideen vorangehen, werden die Gewinner sein. Doch solange wir die alte Industrie pampern, wird sich nichts ändern. Warum sprechen Sie von Klimawandel und nicht von Klimakrise?
Ich bin vorsichtig, überall die Alarmanlagen auf Rot zu stellen, denn was machen wir, wenn es in zwanzig oder dreißig Jahren noch schlimmer wird? Was kann nach Klimakrise als Steigerungsform noch kommen? Ich bin deshalb mit dem Wort Krise vorsichtig, aber ich sehe sehr viele rote Warnlichter um mich herum, was den Klimawandel angeht. Der zweite Punkt ist, wenn wir nur die Alarmsprache verwenden, dann verschrecken wir auch ganz viele Menschen, die sich dann in ihr Schneckenhaus zurückziehen.
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