Joachim Goldberg, Cognitrend "Bei Aktien verliebt man sich immer in die Falsche" Anleger haben es schwer. Wie ausden vielen Aktien die richtige finden? Gern nimmt man eine, die man kennt. Ein Fehler, sagt Börsenpsychologe Joachim Goldberg. Richtig schlimm wird es aber, wenn man sich in eine Aktie verliebt. boerse.ARD.de: Herr Goldberg, wie verliebt man sich ineine Aktie? Joachim Goldberg: Es gibt zwei Möglichkeiten. Man verliebt sich bevorzugt in Aktien,die man gut kennt oder mit denen man Verluste erleidet. Aktien, die Gewinne abwerfen, liebt man oft nicht wirklich. Im Gegenteil,von denen trennt man sich gerne. Das ist anders als im wirklichen Leben. In einer erfolgreichen Beziehung trennt man sich nichtvom Partner. boerse.ARD.de: Wie bitte? Man verliebt sich bei einer Aktie also immer in die Falsche? Goldberg: Ja, recht häufig. Wenn ich eine Aktie kaufe, ist meine Haltung vordergründig zunächst nochrelativ neutral. Aber es besteht bereits eine Bindungzu meinem Engagement. Wenn die Aktie dann fällt, verstärkt sich dieses so genannte Commitment. Ich schaue meine Welt an und suche nach Argumenten, die meine ursprüngliche These unterstützen. Jeder denkt sich ja: Ich bin jakein dummer Mensch, ich treffe immer gute Entscheidungen. Also sucht der Anlegernach Indizien und Beweisen, warum seine Kaufentscheidungrichtigwar, obwohl sie offensichtlichnichterfolgreich war. Alles was dagegen spricht, blendeter aus. boerse.ARD.de: Der Anlegerdenkt sich also: Was nicht sein darf, das ist auchnicht. Goldberg: Ja, sonst würde seine eigene Wertewelt ins Wanken geraten. boerse.ARD.de: Kann ich als Anlegerbei mir selbst Verliebtheit erkennen? Goldberg: Nein, das ist häufigkein bewusster Prozess. Deshalb merkt der Anlegerauch nicht,dass sich mit zunehmenden Verlusten die emotionale Bindungzur Aktie verstärkt. Der Investor sagt sich: Ich glaube an diese Aktie! Diese Bindungist gefährlich. Undsie ist umso größer, je mehr Geldich indiese Aktie gesteckthabe. Ist die Position im Verhältnis zu meinem Vermögenrelativ klein, ist die Bindungan die Kaufentscheidungauch nichtso groß. boerse.ARD.de: Kann ich solche Fehler vermeiden, indem ich vorher vielleicht mit ‚Spielgeld‘ übe, also zum Beispiel mit einem Musterdepot, einem virtuellen Depot? Goldberg: Das wird nur eine wenig disziplinierendeWirkung haben. Wenn man ein Investment nur auf dem Papier tätigt, kann man jederzeit raus. Die emotionale Bindungzu dieser Aktie ist gleich Null. Wenn man aber mit echtem Geld einsteigt,merkt man bei Kursverlusten schnell: Irgendetwas hält mich da fest. boerse.ARD.de: Wie kommt der Anlegerraus aus dieser Falle? Kommt er überhaupt raus? Goldberg: Das ist nicht einfach. Diese Bindungist wie Klebstoff. Wahrscheinlicher ist, dass der Anleger immer tiefer in die Falle tappt. Der Anleger, der inseiner Verliebtheit nur positive Informationen gesammelt hat, stellt womöglichsogar fest: Mein Einstandspreisist so weit weg – wenn ich meine Position verdoppele, kommt mir der Einstandspreis entgegen. Das Fatale ist aber: Einsatz und Bindungerhöhen sich, und das Risiko ebenfalls. boerse.ARD.de: Warum ist das so? Goldberg: Wir nehmenPositives und Negatives unterschiedlichwahr. Verluste wiegen schwerer als Gewinne. 100 Euro Verlust werden viel stärker bewertet als 100 Euro Gewinn. Deshalb ist es so schwer, den Verlust auch tatsächlich zu realisieren, also eine Aktie mit Verlust zu verkaufen. Gewinne werden dagegen gerne schnell mitgenommen. Märkte sind deshalb überweite Strecken nicht effizient. boerse.ARD.de: Unsere Finanzmärkte sind also ineffizient, weil uns unsere Wahrnehmung einen Streich spielt? Goldberg: Wäre das Empfinden von Gewinn und Verlust gleich stark, wären unsere Märkte effizienter. Dann könnten Anleger sinnvollere Anlageentscheidungentreffen. Aber dem ist nicht so: Verlierer im Markt sind wie gefesselt, es ist keine freiwillige Liebezur Aktie. boerse.ARD.de: Anleger haben also kaum eine Chance, festzustellen, ob sie sich ineine Aktie verliebt haben. Haben Sie trotzdem einenTipp, wie man da rauskommen könnte? Goldberg: Überlegt der Anleger, eine Aktie billiger nachzukaufen odereinen Verlust auszusitzen, sollteer sich ehrlich fragen: Würde ich die Aktie heute noch mal kaufen? Und zwar: Würde ich sie kaufen, wenn ich nicht schon in dem Wert investiert wäre? Wenn er diese Frage mit Nein beantwortet, dann müsste er die Aktie konsequenterweise aus dem Depot werfen. boerse.ARD.de: Weitere Tipps? Goldberg: Diese Tipps gehen in eine ähnlicheRichtung. Der Anleger könnte sich außerdem die Frage stellen: Würde ich die Aktie auchnachkaufen, wenn sie gerade ein Allzeithoch erreicht hat? Würde ich meine Position dann zum Beispiel verdoppeln? Normalerweise ist meine eiserne Börsenregel, dass man seine Position nichtverdoppelt. Mit einer Ausnahme: Wenn der Anlegermir verspricht, dass er an einen wirklich großen Gewinn glaubt. boerse.ARD.de: Macht man das nichtimmer? Goldberg: Der verliebte Marktteilnehmer nicht. Er hofft, nach den vorübergehenden Verlusten irgendwann plus/minus null aus der ganzen Sache rauszukommen. Sobald er diese Schwelle erreichthat, verkauft er normalerweise die Position. boerse.ARD.de: Sie sprachen noch von einerzweiten Art Verliebtheit: inAktien, die man kennt. Wie ist die gelagert? Goldberg: Diese Verliebtheit ist schon vor der Kaufentscheidungda. Anleger kaufen bevorzugt Aktien,die sie gut kennen oder Aktiendirekt vor der Haustüre. Man spricht von einem Home Bias. Sie kaufen zum Beispiel Papiere, weil sie die Produkte der Gesellschaftenkennen, also eine Apple-Aktie, weil sie selbst einen iPodhaben. Oder Anlegerkaufen Aktien von Unternehmen, für die sie arbeiten. boerse.ARD.de: Ist das wirklich problematisch? Man kann doch die Erfolgschancen von Unternehmen, die man kennt, viel besserbeurteilen. Selbst Star-Investor Warren Buffett kauft nur Aktien, die er kennt und versteht. Goldberg: Natürlich kann man kaufen, was man kennt. Anleger müssen sich aber immer auchdie Frage stellen, ob ihre Wahrnehmung nichtverzerrt ist, ob sie Warnungen oder negative Nachrichten zu dem Unternehmen vor Ort oderbei dem sie arbeiten tatsächlich rechtzeitig erfahren. Erst recht, wenn dann nochKursverluste dazu kommen. boerse.ARD.de: Aber wie können Sie gegen Belegschaftsaktien sein, die doch ein gutes Instrument sind, um Mitarbeiter am Unternehmenserfolg zu beteiligen. Goldberg: Belegschaftsaktien sind prinzipielltoll, keine Frage. Vor allem, wennMitarbeiter sie verbilligt bekommen. Aber wenn das ganze Depot zu 70 bis 80 Prozent mit Belegschaftsaktien gepflastert ist, dann ist das ein hohes Risiko. Man muss stärker diversifizieren. boerse.ARD.de: Wenn man selbst im Unternehmen arbeitet, bekommt man dochviel mit – da kann man doch rechtzeitig aussteigen? Goldberg: Genau das ist die gefährliche Selbstüberschätzung. Mitarbeiter glauben,fast alles unter Kontrolle zu haben oder alles mitzubekommen. Aber da irren sie. Das führt dazu, dass sie alles auf ein Pferd setzen und nicht diversifizieren. Die Mitarbeiter von Enron haben das schmerzlich zu spüren bekommen. Als die Firma am Boden lag, war nichtnur der Arbeitsplatz weg, sondern auch das gesamte Ersparte und die Altersvorsorge. boerse.ARD.de: Also sollteich lieber eine Aktie kaufen, die ich hasse, oderdie der Konkurrenz? Goldberg: Ein verhasstes Papier? Es muss nicht gleich das Gegenteil von einem geliebten Titel sein. Aber wie wäre es mit einem Mauerblümchen? Das wäre nicht immer die schlechteste Entscheidung. Man wäre dann weniger voreingenommen und damit objektiver inseinen Entscheidungen, als wenn man vor lauter Liebenur noch durch die rosarote Brille blickt. Das Interview führte Bettina Seidl. |