Aus der FTD vom 2.4.2002 www.ftd.de/us-konjunktur
Der erkaufte US-Aufschwung Von Kerstin Friemel, New York
Ob Spielzeug oder Seife, Möbel oder Computer, Autos oder ganze Häuser: Die Amerikaner shoppen wieder wie früher und stürzen sich in einen neuen Konsumrausch - der die Wirtschaftskrise in den USA beenden könnte.
Die Kunden im Body Shop von Fiona Torres haben kaum mehr Platz als die Seifenstücke in den Regalen: Sie drängeln und schieben sich hin und her in dem prall gefüllten Laden, von den Cremes zu den Shampoos, von der Lotion zu den Ölen. Und kaufen und kaufen. Managerin Torres schaut dem Treiben zufrieden zu. "Unsere Umsätze sind jetzt 20 Prozent höher als vor einem Jahr", frohlockt sie. "Ich bin optimistisch: Die Krise ist vorbei."
Nicht nur Torres, auch immer mehr Experten glauben in den USA, dass der Aufschwung kommt - weil die Amerikaner ihre Kauflust wieder entdeckt haben. In den Nachbarläden des Body Shop ködern die Händler ihre Kunden seit Monaten mit Schleuderpreisen. "Reduziert", "Sonderpreise" leuchten allerorten bunt die Schilder aus den Schaufenstern. Kleidung, Kosmetika, Möbel, alles ist preiswerter als sonst. Wegen des 11. September läuteten viele US-Händler den jüngsten Winterschlussverkauf bereits Anfang Dezember ein. "Wir hatten unsere Kleidung um bis zu 70 Prozent reduziert, sonst waren es nur 30 bis 40 Prozent", sagt Carmen Rodrigues, Managerin einer Benetton-Filiale im New Yorker Stadtteil West Village. Auch die Preise der Sommerkollektion seien in diesem Jahr rund "15 bis 20 Prozent" niedriger als normal, so Rodrigues. Und die Mode-Schnäppchen sind keine Ausnahme: Superschnelle PC kosten heute in den USA durchschnittlich unter 1000 $. Autofirmen wie General Motors lockten Kunden nach den Terrorangriffen mit zinslosen Finanzierungen. Ihr Motto: "Keep America Rolling".
Schnäppchen wie nie
Mit Erfolg: Nach den Anschlägen auf das World Trade Center hatten viele Amerikaner für einige Wochen auf ihren Bummel in der Shopping Mall verzichtet. Im vierten Quartal 2001 stiegen die Konsumausgaben jedoch um sechs Prozent - sogar mehr als die erwarteten 5,4 Prozent. "Die Verbraucher schlagen trotz ihrer Sorgen zu, weil sie die Preise für so niedrig halten, dass sie kein besseres Schnäppchen machen können", sagt Richard T. Curtin, Experte für Konsumentenverhalten an der University of Michigan.
Die wirtschaftliche Lage in den USA erholt sich damit schneller als erwartet, seit Wochen jagt eine positive Nachricht die andere: Einzelhändler hatten im Februar ihren besten Verkaufsmonat seit zwei Jahren, die Laune der US-Verbraucher hat sich im März so deutlich verbessert wie nie zuvor: Der vom privaten Forschungsinstitut Conference Board ermittelte Index zur Konsumenten-Zuversicht stieg auf 110,2 Punkte, im Februar waren es noch 95,0. Die Aufträge der Industrie nahmen den dritten Monat in Folge zu, die Arbeitslosenquote sank im Februar auf 5,5 Prozent - statt wie erwartet zu klettern. Am Montag schließlich kam die vorerst letzte gute Nachricht: Der viel beachtete US-Einkaufsmanagerindex stagnierte nicht wie erwartet, sondern stieg im März erneut an.
Partystimmung
Prompt macht sich Partystimmung breit. "Die Fabrikproduktion nimmt zu, die Rezession ist zu Ende", schwärmt etwa Steven A. Wood, Chefvolkswirt bei FinancialOxygen. Das "Wall Street Journal" jubelt, die US-Wirtschaft "nimmt Fahrt auf", die US-Notenbank Federal Reserve konstatiert, die Wirtschaft wachse "in einem beachtlichen Tempo", und läutete die Zinswende ein.
Zwar ließ die Fed bei ihrem jüngsten Treffen vor zwei Wochen die Leitzinsen unverändert bei 1,75 Prozent, zugleich änderte sie jedoch ihre Einschätzung der wirtschaftlichen Lage: Zum ersten Mal seit Dezember 2000 sieht sie die US-Wirtschaft wieder im Gleichgewicht. Wachstums-und Inflationsrisiken halten sich die Waage, schrieben die Notenbanker in ihrer Erklärung. Damit scheint die Rechnung der Fed aufgegangen: Zuvor hatten die Notenbanker 15 Monate lang vor den Gefahren für das Wirtschaftswachstum gewarnt und insgesamt elfmal die Zinsen gesenkt - auf das niedrigste Niveau seit 40 Jahren. Das heizte die Kauflaune der US-Verbraucher an.
Billiges Öl, günstige Kredite
Hinzu kamen Steuererleichterungen der Bush-Regierung sowie Rückzahlungen vom Fiskus: Zum Jahresbeginn bekamen viele Amerikaner im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs Geld zurück, nachdem sich ihre Aktien schwächer entwickelt hatten als noch vor einem Jahr erwartet. Daneben war das Öl in diesem Winter nicht nur extrem billig, sondern die Amis mussten wegen des milden Wetters wenig heizen - weshalb sie jetzt mehr Geld zum Shoppen haben. Niedrige Zinsen und damit billige Kredite kurbelten zugleich den Immobilienverkauf an.
Als Laura und John Burgos jüngst ihr Haus in Wayland, im Bundesstaat Massachusetts, zum Verkauf anboten, waren sie noch skeptisch: 365.000 $ wollen sie für das Farmhaus aus den 50er Jahren - fast 75 Prozent mehr, als sie vor nicht mal drei Jahren dafür bezahlt hatten. Doch ihre Sorge war grundlos: Gleich in der ersten Woche kamen mehr als 30 Interessenten, und ein Immobilienmakler, der nicht für das Burgos-Ehepaar arbeitet, ist sich sicher: "Sie sollten keine Probleme haben, das Haus zu verkaufen."
Häuserpreise ziehen an
Nach den jüngsten Daten der National Association of Realtors (NAR) ist der Verkauf von Einfamilienhäusern im Januar in ganz Amerika sprunghaft um 16 Prozent angestiegen: 6,4 Millionen Häuser wechselten den Besitzer, im Vergleich zum Vorjahr sind die Preise für gebrauchte Häuser um zehn Prozent gestiegen. Und rund eine Million Amerikaner kauften sich ein frisch gebautes Eigenheim und kurbelten damit auch die Nachfrage nach Handwerkern, Baumaterialien, Waschmaschinen und Möbeln an. Viele Hausbesitzer haben die niedrigen Zinsen ebenfalls genutzt, um ihre Hypothekenkredite umzuschulden - ein Kinderspiel in den USA. So sank ihre Zinsbelastung, ihre Kaufkraft stieg, und die US-Wirtschaft erholte sich.
Optimisten an der Wall Street gehen davon aus, dass die Verbraucher den Weg für einen dauerhaften Aufschwung bereitet haben: "Wir erwarten in den USA für 2002 ein Wirtschaftswachstum von mindestens 3,5 bis 4 Prozent", sagt etwa Henry Willmore, Chefvolkswirt für die USA von Barclays Capital. Die Bank hat in den feinen Harvard Club nahe der New Yorker 5th Avenue geladen, um Zuversicht über die wirtschaftliche Entwicklung zu verbreiten. An den Tischen diskutieren die Gäste über Blumengestecke und geröstete Hühnchenschenkel hinweg bereits wieder über die besten Anlagemöglichkeiten. Und nicht nur private Banker sind zuversichtlich: Auch die Fed hat jüngst ihre Wachstumsprognose auf 2,5 bis 3 Prozent angehoben.
Aufschwung mit Risiken
Noch steht der Aufschwung allerdings auf wackeligen Füßen. So stützen die Amerikaner zwar mit ihrem hohen Konsum die Wirtschaft, die hoch verschuldeten Verbraucher können jedoch kaum noch zulegen. Fraglich ist auch, ob die US-Unternehmen ihre Produkte noch lange zur Schleuderpreisen auf den Markt bringen können. Um mittelfristig Gewinne zu machen, müssen sie entweder bald ihre Preise anheben oder weiter Kosten reduzieren - was neue Entlassungen oder eine Kürzung der Stundenlöhne bedeuten würde.
Für einen dauerhaften Aufschwung ist das Wichtigste, dass die Manager bald wieder investieren, nur das garantiert mittelfristiges Wachstum. Die großen Konzerne halten sich aber noch zurück: "Wir springen noch nicht klatschend durch die Gänge", sagt etwa Philip Neal, Chef von Avery Dennison, einem Hersteller von Etiketten und Verpackungsmaterialien. Zwar seien die Aufträge in den vergangenen Wochen gestiegen, aber "ein paar Wochen mit vielen Aufträgen machen noch keinen Trend", so Neal.
Vorsicht herrscht auch noch im Tech-Sektor vor: Nach einem Bericht des US-Handelsministeriums sind die Aufträge zwar sowohl in den Sektoren Computerchips, PC und Kommunikationsausstattung das erste Mal seit November 2000 gestiegen. "Offensichtlich beobachten wir eine schnellere Erholung als erwartet im Telekom- und Technologie-Sektor", frohlockt David A. Wyss, Chefvolkswirt bei Standard & Poor?s.
Murrende Konzernchefs
Die Chefs der Branchenführer geben sich aber weiter missmutig. Craig R. Barrett, Vorstandsvorsitzender des Chipproduzenten Intel, murrte noch Ende Februar auf einer Unternehmens-Konferenz, er würde nicht darauf setzen, dass sich der Tech-Sektor bald vom Krankenbett erheben werde. Und Michael Dell, Chef des Computer-Riesen Dell Computer, sagte jüngst: "Ich erwarte nicht, dass sich die Wirtschaft in einem Quartal wieder voll erholt hat." Der Branchenführer ist in eine neue Spar-Runde gegangen. Unter anderem will Dell weitere Callcenter und Fabriken zusammenlegen.
Doch Konjunkturoptimisten sind zuversichtlich, dass sich die Laune und damit die Investitionslust der Konzernchefs bald bessert. Spätestens Ende des Sommers, so hoffen viele, werde sich die Nachfrage an die im vergangenen Jahr angestauten Überkapazitäten angeglichen haben und Firmen zu weiteren Investitionen zwingen.
Ersatzinvestitionen werden dabei ebenfalls eine große Rolle spielen. Früher kauften Manager vor allem teure, langlebige Maschinen. Heute fließen rund die Hälfte aller Investitionsgelder in billigere Ausrüstungen, wie etwa Computer und Drucker, und die ersetzen Manager in der Regel nach spätestens drei Jahren mit technisch verbesserten Nachfolgemodellen. Da die meisten Unternehmer ihre Computer Ende der 90er Jahre in Erwartung des viel beschworenen "Jahr-2000-Problems" ausgetauscht haben, dürften viele in diesem Jahr in eine neue Runde gehen. Und mit ihnen die gesamte Wirtschaft.
© 2002 Financial Times Deutschland http://www.ftd.de/pw/in/10143989519...l?nv=cd-divnews |