© Leipziger Volkszeitung vom Dienstag, 8. Februar 2005
Vom Fressen und Gefressen-Werden
Leipzig. Diente die Geschichte des Immobilienkonzerns WCM als Grundlage für einen Wirtschaftsroman, dann hätte dieses Buch über viele Kapitel den Stoff geliefert, aus dem Anleger-Träume sind: Binnen zehn Jahren entwickelte sich das heute in Frankfurt am Main ansässige Unternehmen zwischen 1991 und 2001 zum größten börsennotierten Immobilienkonzern Deutschlands. Der Aktienkurs schnellte um 6000 Prozent auf über 38 Euro in die Höhe. Und Vorstandschef Roland Flach sowie sein Großaktionär Karl Ehlerding - ein Freund von Alt-Kanzler Helmut Kohl, der sich noch kurz zuvor mit der Zustimmung des früheren Regierungschefs die Bundesbahnwohnungen einverleibt hatte - spekulierten darauf, dass die WCM über kurz oder lang vom M- in den 30-Dax aufsteigen könnten.
Dies wollten sie mit mehreren Coups schaffen. Denn die WCM war ein Hai im Aquarium der börsennotierten Gesellschaften vor dem sogar Firmen wie mg Technologies oder die Commerzbank zitterten. Flach, Ehlerding & Co verdienten nämlich das meiste Geld mit mehr oder weniger feindlichen Übernahmen. Sie kauften über die Börse unterbewertete Gesellschaften auf, veräußerten die Firmen später für einen höheren Gesamtpreis oder filetierten die Unternehmen, deren profitable Geschäftsbereiche mit Gewinn abgestoßen wurden. Die WCM war ein gefürchteter Jäger. Unternehmen wie Jean Pascale, Spar und die Duisburger Klöckner Werke AG mit einer geringen Eigenkapitalquote und einem hohen Streubesitz gehörten zu den Gejagten und Opfern.
Doch diese Zeiten sind endgültig vorbei. Die WCM-Aktie dümpelt heute zwischen 1,15 und 1,20 Euro vor sich hin. Schulden belasten das Unternehmen. Und gerade wird das letzte Kapitel der Unternehmens-Geschichtegeschrieben: Die WCM bereitet die Verschmelzung mit ihrer eigenen Tochter und dem früheren Opfer, dem traditionsreichen Duisburger Anlagenbauer vor. In der Geschichte der Bundesrepublik ist das ein einmaliger Vorgang.
Flach und Ehlerding hatten die mittlerweile im S-Dax gelisteten Duisburger 2001 geschluckt und anschließend deren Foliengeschäft Gewinn bringend an den Mann gebracht. Übrig blieb nur die kleine, aber feine Sparte Abfülltechnik mit der Klöckner-Tochter KHS. Auf sie setzt das WCM-Management nun notgedrungen, weil sich die Mutter WCM quasi selbst auflösen will. Auch der Name wird dann aus dem M-Dax sang- und klanglos verschwinden.
Angekündigt wurde dieser Schritt bereits im vergangenen Dezember, als sich die Aufsichtsräte beider Firmen für die Verschmelzung aussprachen. Derzeit wird ein Gutachten erstellt, das den Wert beider Gesellschaften bestimmt. Auf dessen Grundlage soll das Umtauschverhältnis der Wertpapiere rückwirkend zum 1. Januar 2005 festgelegt werden, bevor die Aktionäre beider börsennotierter Unternehmen auf ihren Hauptversammlungen im Juni zustimmen können.
Das weckt Erinnerungen an die Klöckner-Übernahme: 2001 war der Maschinenbauer nach Verkauf der verlustreichen Automotive-Tochter Peguform so gut wie entschuldet. Das Unternehmen entwickelte sich zum Geheimtipp im M-Dax. Von unter zehn auf rund 25 Euro war der Wert der Aktie bis kurz vor der Übernahme gestiegen. Glänzende Perspektiven im Geschäftsbereich Folien- und Abfülltechnik, mit denen mittelfristig wieder ein Umsatzvolumen von über fünf Milliarden Euro erreicht werden sollten, machten das Papier begehrt - vor allem für WCM, die zunächst klammheimlich und später offen um die Mehrheit an dem Unternehmen kämpfte.
Auch heute noch ist Klöckner eine kleine Perle. In den ersten neun Monaten 2004 stieg der Gewinn um drei Prozent auf 17 Millionen Euro. Die Aktie bewegt sich wieder zwischen elf und 13 Euro, wenngleich sie für Börsenanalysten nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. "Es ist ein Nebenwert, nach dem keiner schaut", sagt Rolf Drees von Union Investment.
Wohl auch deshalb ist der WCM-Fall inzwischen mehr oder minder aus dem Blickfeld gerückt. Auch wenn mit ihm ein Kapitel deutscher Wirtschaftgeschichte geschrieben und zugeschlagen wird. 1766 als Weberei unter dem Namen Württembergische Cattunmanufactur (WCM) gegründet und als Textilfirma zur Aktiengesellschaft ausgebaut, wurde das Unternehmen 1991 im Grundstücksbereich neu firmiert. Wohnungen in Mönchengladbach, Bremen, Kiel und im Rhein-Ruhr-Gebiet gehörten zu WCM. "Sie war eine renommierte AG", sagt Jürgen Michael Schick vom Immobilienverband Deutschland. Ihr Absturz habe aber nicht an einer allgemein schlechten Lage in der Immobilienbranche gelegen. "Die Defizite bei WCM", sagt Schick, "sind außerhalb der Branche entstanden."
Diese Einschätzung wird inzwischen auch nicht mehr von der WCM-Führungscrew abgestritten. "Wir hatten zwei große Investments, die nicht hätten sein dürfen", gesteht Vorstandsvorsitzender Roland Flach und meint damit die Commerzbank und den Immobilienkonzern IVG. Im Klartext:Beide erworbenen Wertpapierpakete haben die Bilanzen schwer belastet und zu erheblichen Verlusten geführt. Vor allem das Engagement bei dem Immobilienkonzern erwies sich als Bürde.
WCM avancierte 2003 zum "größten Kapitalvernichter unter den deutschen Aktiengesellschaften", stellte die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in ihrer jährlichen Watchlist fest. 3,3 Milliarden Euro Schulden hatten die Frankfurter angehäuft und mussten, um den Gang zum Insolvenzverwalter zu verhindern, unbedingt gegensteuern. Also verhökerten die Hessen im vergangenen Dezember ihre Wohnungen für 1,4 Milliarden Euro und setzen nun alles auf die Industrie.
Immerhin eine Branche, die wieder Wachstum verspricht. Die Hersteller von Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen verzeichnen seit mehreren Jahren steigende Umsätze, sagt Peter Golz vom Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer. 2003 erwirtschafteten sie acht Milliarden Euro, zwei Prozent mehr als 2002. Klöckner ist nach der Krones AG der zweitgrößte Hersteller von Abfüllmaschinen weltweit. In Europa gibt es vier weitere Konkurrenten. Dabei sei Krones "der Maßstab, welche Erträge möglich sind", sagt Roland Flach. Konkret: 1,4 Milliarden Euro Umsatz fuhr das Unternehmen 2003 ein.
Klöckner peilt eine Umsatzsteigerung von 20 Prozent auf eine Milliarde Euro an. Das Kerngeschäft bleibt natürlich die Abfülltechnik. "Aber wir wollen ausbauen", sagt Vorstandsmitglied Wolfgang Christian. Die ein oder andere Akquisition sei in Planung. Besonders China spiele als Absatzmarkt künftig eine große Rolle. Und Christian muss es wissen: Er hat bei Klöckner alle Hochs und Tiefs miterlebt - von der Fast-Pleite über die Sanierung bis zur Übernahme.
Ines Rutschmann
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