16.01.2007 Neue Wirkstoffklasse Trojanische Pferde bekämpfen Krebs von Dietrich von Richthofen Eine neue Wirkstoffklasse könnte in naher Zukunft die Therapie von Krebs erleichtern. Es handelt sich um so genannte Oligonukleotide, kettenartige Moleküle, die ähnlich wie die Erbsubstanz DNA aufgebaut sind. Mit ihnen wollen Forscher Tumor-Gene abschalten und Krebszellen empfindlicher für die Chemotherapie machen.
BERLIN. Der am weitesten entwickelte Wirkstoff ist Oblimersen von Genta. Er unterdrückt die Aktivität des „Bcl-2“-Gens, eines in Krebszellen oft im Übermaß vorhandenen Proteins, das die Tumorzellen vor dem programmierten Zelltod – auch Apoptose genannt – bewahrt. Das biologische Selbstmordprogramm sorgt dafür, dass entartete Zellen absterben. Wenn Oblimersen gezielt die Bcl-2-Produktion verhindert, werden die Krebszellen anfälliger für die Chemotherapie.
Doch ob das Kalkül des Unternehmens in der Praxis aufgeht, ist noch unklar. Denn eine Wirksamkeit des Medikaments ist nach Meinung eines externen Experten-Komitees der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA durch die Studiendaten nicht belegt. Nach einer weiteren Analyse der Studien hat Genta nun erneut Datenmaterial über die Wirkung des Mittels bei bestimmten Patientengruppen nachgereicht. Insbesondere Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie profitierten von Oblimersen, argumentiert das Unternehmen.
Doch das Komitee hat sich erneut gegen eine Zulassung ausgesprochen. In den nächsten Wochen wird sich herausstellen, ob sich die FDA der Meinung der Experten anschließt. Bis dahin ist vermutlich auch mit einer Entscheidung der europäischen Arzneimittelbehörde Emea über eine Zulassung für die Behandlung von Hautkrebs zu rechnen.
„Eine Ablehnung könnte einen Rückschlag für die Entwicklung der gesamten Stoffklasse bedeuten“, sagt der Krebsmediziner Volker Wacheck, der an der Universitären Klinik für Klinische Pharmakologie in Wien Studien mit therapeutischen Oligonukleotiden durchführt. Weitere Oligonukleotid-Wirkstoffe rücken zwar inzwischen nach und die Unternehmensberater von Frost & Sullivan prophezeiten dem Oligonukleotid-Markt in einer Analyse von 2004 eine Umsatzverdopplung bis 2010. „Doch derzeit befindet sich kein weiterer Wirkstoff in einer zulassungsrelevanten Studie“, sagt Wacheck.
0 Bewertungen Merken Drucken Senden 16.01.2007
Am dichtesten am Zulassungsprozess ist vermutlich die Substanz „AP 12009“ von Antisense-Pharma. Sie hemmt die Bildung des Wachstumsfaktors „TGF-beta“, das den Tumor laut Firma vor den Angriffen des Immunsystems schützt. Fehlt das Protein, kann das Immunsystem die Krebszellen zerstören. „Auf einem Kongress hat Antisense-Pharma nun erste vorläufige Ergebnisse präsentiert, die eine Wirksamkeit der Substanz bei der Behandlung von Hirntumoren nahe legen“, sagt Wacheck. Die Studie sei allerdings noch nicht abgeschlossen.
Viel versprechend findet Wacheck vor allem die Oligonukleotid-Wirkstoffe der zweiten Generation wie „OGX-011“ von Oncogenex und „LY2181308“ von Lilly, die sich derzeit in der klinischen Entwicklung befinden. Wie Oblimersen sollen sie den Weg für die Apoptose frei machen, indem sie die Produktion antiapoptotischer Proteine unterdrücken. „Durch chemische Modifikationen werden sie aber langsamer abgebaut als die Wirkstoffe der ersten Generation“, sagt Wacheck. Zudem sei ihre Wirksamkeit auf molekularer Ebene wesentlich besser belegt. Das erreichen die Pharmafirmen unter anderem, indem sie Krebspatienten vor einer bevorstehenden Operation den Wirkstoff verabreichen und dann untersuchen, ob im entnommenen Tumorgewebe der gewünschte Effekt eingetreten ist.
„Die Forschungsansätze der Unternehmen sind durchaus einleuchtend“, sagt Rembert Elbers, Chef der onkologischen Abteilung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Doch näher betrachtet, hätten die meisten Oligonukleotide bislang jedoch fast gar nichts gebracht. Hauptgrund für die ernüchternden klinischen Ergebnisse sei der schlechte Transport der Wirkstoffe in die Zelle. „Die Zellmembran ist komplett dicht gegen solche Moleküle“, erklärt der Mediziner, der auch im Expertenkomitee der Emea sitzt. Für viel versprechend hält Elbers deshalb Ansätze, bei denen der Wirkstoff in die Krebszelle schleust wird. Dafür kommen Viren genauso in Frage wie kleine Fettkörperchen, die den Wirkstoff enthalten und durch Verschmelzen mit der Zellmembran ins Innere der Krebszelle abgeben. |