Israel bereitet massiven Militärschlag vor
Die Entführung eines israelischen Soldaten hat die Lage im Nahen Osten dramatisch zugespitzt. Israel mobilisierte seine Streitkräfte für einen Großangriff auf den Gazastreifen. Die US-Regierung und die Vereinten Nationen zeigten sich besorgt über die weitere Eskalation.
New York/Jerusalem - Am Morgen zogen Dutzende Panzer auf, Truppen wurden in der Nähe des Kibbuz Nahal Os nur wenige hundert Meter von palästinensischem Boden stationiert. Reservegeneral Amos Gilad, ein ranghoher Mitarbeiter im Verteidigungsministerium, sagte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Israel habe beschlossen, "politischen und militärischen Druck anzuwenden", um den verschleppten Soldaten wieder freizubekommen. "Wir haben alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um jeden Moment handeln zu können."
REUTERS Panzer der israelischen Armee nahe der Grenze zu Gaza: Vorbereitungen für große Befreiungsaktion Der Militärrundfunk berichtete, an der Grenze stünden zwei Infanterie-Regimenter und zwei Panzerbataillone bereit. Aus Sorge um das Leben des Entführten habe die Armeespitze noch nicht den Grenzübertritt befohlen. Die Tageszeitung "Jediot Ahronot" berichtete, die israelische Regierung wolle im Gazastreifen die Strom- und Wasserversorgung unterbinden ebenso wie die Versorgung mit Treibstoffen und Lebensmitteln.
Uno-Generalsekretär Kofi Annan appellierte an Israelis und Palästinenser, in diesem "ernsten Augenblick" alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Zuspitzung zu vermeiden, sagte gestern Abend Annans Sprecher. Annan sei durch die Entwicklungen nach dem palästinensischen Angriff auf einen israelischen Militärposten und die Entführung des Soldaten "alarmiert", sagte sein Sprecher. Der Generalsekretär fordere dessen "unverzügliche Freilassung".
Auch die US-Regierung rief beide Seiten zur Mäßigung auf, um die Situation nicht weiter anzuheizen. In Washington sagte Außenamtssprecher, Sean McCormack, Außenministerin Condoleezza Rice habe mit ihrer israelischen Kollegin Zippi Livni und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas telefoniert. Auch die USA forderten die Freilassung der Geisel. US-Diplomaten in Nahost seien eingeschaltet.
"Wir warten nicht unbegrenzt"
Regierungschef Ehud Olmert demonstrierte Entschlossenheit zu einer militärischen Antwort auf die Entführung. Der Augenblick eines groß angelegten Militäreinsatzes rücke näher, "wir warten nicht unbegrenzt", sagte Olmert. Israel lasse sich nicht von der Hamas erpressen. "Ich habe dem militärischen Kommando gestern den Befehl erteilt, unsere Streitkräfte für einen groß angelegten militärischen Einsatz vorzubereiten", sagte Olmert weiter. Eine Freilassung palästinensischer Häftlinge stehe dagegen "überhaupt nicht auf der Tagesordnung der israelischen Regierung". Es werde "keine Verhandlungen, keinen Kuhhandel und kein Abkommen" in diesem Fall geben.
Olmert bekräftigte, Israel werde alle verfügbaren Kräfte einsetzen, um den Terrorismus zu beenden und den Soldaten gesund zu seiner Familie und zu seinem Land zurückzubringen. Israel werde jeden "erreichen", der mit der Entführung des Soldaten zu tun habe. Justizminister Chaim Ramon sagte im Fernsehen, Israel verlange von der palästinensischen Autonomiebehörde die Herausgabe des Soldaten, um "sehr harte und sehr schmerzhafte Maßnahmen" zu vermeiden. Verteidigungsminister Amir Perez sagte, es gebe "kein Pardon".
Die Essedin-al-Kassam-Brigaden als bewaffneter Arm der Hamas hatten sich neben zwei anderen Gruppen zu dem Angriff vom Sonntag bekannt, bei dem zwei Soldaten getötet wurden. Sie stellten Bedingungen im Gegenzug für Informationen über den Entführten. So sollten "unverzüglich" alle palästinensischen Frauen und "Kinder unter 18 Jahren" aus israelischen Gefängnissen freikommen. Der 20-jährige Gilad Schalit war bei dem Angriff verschleppt worden. Nach Angaben der Bekennergruppe "Komitees des Volkswiderstands" war er "lebendig und bei guter Gesundheit".
Palästinenserpräsident Abbas ordnete im Gazastreifen eine große Suchaktion nach dem israelischen Soldaten an. Wie in Gaza mitgeteilt wurde, forderte Abbas Ministerpräsident Ismail Hanija, Innenminister Said Siam und die Leiter der Sicherheitskräfte auf, unverzüglich eine "ernsthafte Suche" nach dem Soldaten einzuleiten, "um ihn zu befreien".
Weiterer Israeli entführt?
Die al-Aksa-Brigaden riefen die Entführer des Soldaten auf, "dem Druck und den Drohungen" standzuhalten und den jungen Israeli nicht freizulassen. Nach palästinensischen Angaben sitzen derzeit rund 9400 Palästinenser in Israel ein. Rund einhundert Palästinenserinnen, deren Männer, Väter oder Söhne, in israelischen Gefängnissen demonstrierten vor dem Parlamentssitz in Gaza gegen eine Freilassung der Geisel.
Am Abend schlug in der israelischen Kleinstadt Sderot eine palästinensische Kurzstreckenrakete ein. Nach Angaben israelischer Medien wurden mehrere Menschen leicht verletzt. Die Rakete habe einen Strommast getroffen und die Stromversorgung unterbrochen.
Im Westjordanland will eine militante Palästinensergruppe einen weiteren Israeli verschleppt haben. Die "Volkswiderstandskomitees" teilten ohne weitere Angaben mit, sie hätten gestern einen jüdischen Siedler in ihre Gewalt gebracht. Eine israelische Armeesprecherin sagte dazu in Tel Aviv, Berichte über eine Entführung würden geprüft, könnten aber nicht bestätigt werden.
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