Chaos-Tage – was soll ich tun? (EuramS) Finanzkrise, Rezession, Ratlosigkeit. Die Regeln an den Kapitalmärkten werden rasant geändert, bei den Bewertungen herrscht nur noch Verwirrung. Hier gibt es Orientierungshilfe.
von C. Batisweiler, W. Ehrensberger, G. Heismann, K. Schachinger u. J. Spiering
Am Freitag rasen die Börsenkurse in den Keller, die Medien kreischen: "Milliarden vernichtet!" Am Montag sprinten die Notierungen wieder nach oben, doch niemand ruft "Milliarden geschaffen". Rettungspakete werden verabschiedet, Optimismus kommt kurz auf, dann steht der Begriff Rezession im Raum, und schon haben wieder die Pessimisten die Oberhand. Kurse rauf, Kurse runter, Land in Sicht, Land unter. Chaos-Tage ohne Ende. In all den Turbulenzen ist zumindest eins klar: Die Konjunktur ist erst einmal ausgebremst. Und angefangen hat das alles bei den Banken. Für die Schlüsselstellen der Wirtschaft werden derzeit eifrig Rettungspakete geschnürt, nationale und internationale. Die Medizin ist da, sie wirkt auch schon, doch wie lange dauert die Gesundung?
Noch sind die Patienten mit sich selbst beschäftigt. Helmut Linssen, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, machte das am Mittwoch deutlich. Es war kurz vor Mittag, und es ging um das Bankenrettungspaket der Bundesregierung. Linssen zeigte mit spitzem Finger auf die Landesbank Baden-Württemberg und lästerte: "Die LBBW will offensichtlich als erste unter den Schirm." Dass der CDU-Politiker als Aufsichtsrat der angeschlagenen WestLB genug vor der eigenen Haustür zu kehren hätte, schien ihn nicht zu kümmern.
Eine Stunde später, um 12.52 Uhr, kam ein erstes Dementi der LBBW, aber die Nachricht war auf dem Markt. In Stuttgart brach Panik aus, bis schließlich um 15.53 Uhr LBBW-Chef Siegfried Jaschinski erklären musste, die Bank sehe derzeit keinen Bedarf an staatlicher Hilfe. Es ist offenbar das schlimmste Stigma, das einem Banker derzeit zugefügt werden kann: vom Staat erlöst werden zu müssen. "Rette sich, wer kann vor diesem Rettungspaket", kommentierte die "Börsenzeitung" die Stimmung in der Zunft.
Dabei blieb der Bundesregierung kaum eine andere Wahl, als rasch zu handeln und das Bankenpaket zu schnüren. In Großbritannien und den USA ist bereits die Teilverstaatlichung großer Institute wie der Royal Bank of Scotland oder der Bank of Amerika eingeleitet. Das deutsche Rettungspaket soll Kreditgarantien von 400 Milliarden Euro umfassen sowie Eigenkapitalhilfen von bis zu 80 Milliarden Euro. Im Gegenzug sollen die Banken nach dem Willen von Finanzminister Peer Steinbrück strenge Auflagen erhalten – vom Verzicht auf Dividendenzahlung bis zur Deckelung von Managergehältern bei 500 000 Euro.
Die Staatsbürgschaften der Bundesregierung mit dem Risikoträger Steuerzahler sollen das praktisch zum Erliegen gekommene kurzfristige Kreditgeschäft der Banken untereinander wieder in Gang bringen. Zwischen den Instituten sind die Geldströme bereits seit geraumer Zeit weitgehend versiegt. Dies aber könnte die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen, denn so bekommen auch die Unternehmen plötzlich kein Geld mehr von den Banken oder eben nur gegen teure Risikoaufschläge.
Vom vielerorts befürchteten "Credit Crunch" ist allerdings wenig zu sehen. "Bisher gibt es keinerlei Anzeichen für Störungen in der Kreditvergabe", sagt Manfred Wittenstein, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), in dem rund 3000 zumeist mittelständische Firmen vertreten sind. Man habe allerdings registriert, dass die Banken inzwischen vorsichtiger geworden seien und neue Projekte schärfer geprüft würden, ergänzt VDMA-Geschäftsführer Josef Trischler. Branchen außerhalb der Schlüsselindustrien wie die Solar industrie rechnen zumindest mit Ver zögerungen bei der Umsetzung neuer Großprojekte.
Dennoch: "In Deutschland und Europa haben sich die Kreditausleihungen im Verlauf der letzten Zeit deutlich nach oben bewegt. Also passen die Statistik und die Debatte über die Kreditklemme überhaupt nicht zusammen", sagt Professor Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank (siehe Interview rechts). "Der konjunkturelle Abschwung, der nun schon seit einem Dreivierteljahr zu beobachten ist, ist nicht das Ergebnis der akuten Finanzkrise", sagt ganz ähnlich Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts.
Mit anderen Worten: Die deutsche Wirtschaft gerät in einen Konjunkturabschwung, und die Finanzkrise stellt darin einen zusätzlichen Rsikofaktor dar. Immerhin, den will die Bundesregierung begrenzen. 80 Milliarden Euro stehen als Eigenkapitalspritze für Institute bereit, deren Kapitaldecke durch hohe Abschreibungen und Quartalsverluste infolge der Finanzkrise stark angegriffen ist. Außerdem will die Regierung das Insolvenzrecht abmildern, um den regulatorischen Druck von gefährdeten Instituten zu nehmen.
Flankierend hat die EU bereits Bilanzierungsvorschriften gelockert und die Pflicht zur Bewertung bestimmter Wertpapiere zu Marktpreisen aufgehoben. Das deutsche Rettungspaket ist am Freitag vom Bundestag abgesegnet worden, noch an diesem Wochenende soll der Bundesrat das Eilgesetz bestätigen, damit es sofort von den Banken in Anspruch genommen werden kann. "Das Rettungspaket der Bundesregierung zielt auf die wirklichen Probleme und ist international koordiniert", erläutert Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Deshalb glaube ich, dass es dazu beiträgt, dass die Finanzmärkte allmählich wieder Vertrauen fassen." Brisantester Teil des Hilfspakets: Der Staat stellt den Instituten frisches Eigenkapital zur Verfügung, was zwangsläufig einhergeht mit einer Teilverstaatlichung. In Großbritannien schießt die Regierung der kaum noch handlungsfähigen Großbank Royal Bank of Scotland (RBS) 20 Milliarden Pfund zu. Im Gegenzug erhält der Staat RBS-Aktien und wird künftig mit 60 Prozent neuer Großaktionär. In den USA will sich die Regierung gar mit 250 Milliarden Dollar unter anderem in acht führende Großbanken einkaufen, darunter Citigroup, JP Morgan Chase, Goldman Sachs und Morgan Stanley.
Was ein solcher Schritt für ein einzelnes Institut zur Folge haben kann, zeigte sich an der RBS, deren Kurs infolgedessen dramatisch einbrach und deren Chef Fred Goodwin inzwischen zurückgetreten ist. Eine Staatsbeteiligung sei grundsätzlich immer kursbelastend, heißt es bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Roland-Berger-Bankenexperte Fred Schneidereit sieht das ähnlich. Aber er verweist darauf, das drastische Maßnahmen nötig seien, auch um nicht ins Hintertreffen mit anderen Finanzplätzen zu geraten. "Man muss auch abwarten, wie die Betei ligung im Einzelfall gestaltet wird, etwa über stimmrechtslose Vorzugsaktien." Es sei für die Aktionäre in jedem Fall besser, als wenn ganze Institute in die Insolvenz gingen. "Die Aktionäre müssen sich im Klaren sein, dass sie wie alle anderen mit im Boot sitzen."
Kaum eine Bank traut sich derzeit in Deutschland aus der Deckung und will zugeben, die Kreditgarantien, geschweige denn die Eigenkapitalhilfen zu benötigen. Auch wenn mindestens zwei große Landesbanken und eine private Großbank unter dringendem Kapitalbedarf leiden. Niemand will sich die Blöße geben, als Problembank zu gelten. Die Commerzbank, die Dresdner Bank, die BayernLB und die LBBW erklärten zunächst vorsichtig, sich die Stützungsangebote ansehen zu wollen, gingen aber wieder auf Distanz. "Egal, was wir sagen, es wird derzeit alles gegen uns ausgelegt", kommentiert der Kommunikationschef einer großen deutschen Privatbank.
Ökonomen haben bereits Bedenken wegen der geringen Resonanz in der Kreditwirtschaft geäußert. Ifo-Chefvolkswirt Kai Carstensen schlägt vor, mehr Druck auf die Banken auszuüben. So könnte die Finanzaufsicht wie in Großbritannien den Instituten eine höhere Mindestkernkapitalquote vorschreiben. Ein Wert von über neun Prozent zum Beispiel würde viele große Banken in Deutschland bereits in Bedrängnis bringen, da ihre Kernkapitalquote meist unter acht Prozent liegt.
Dies würde viele Institute in die Arme der staatlichen Rettung treiben, heißt es. Falls der Staat bei einer börsennotierten Bank einsteigt, empfehlen die Aktionärsschützer der DSW den privaten Anlegern, Ruhe zu bewahren. "Erst einmal sollte man die Aktie halten und abwarten. In Deutschland ist die Staatsbeteiligung auf maximal 50 Prozent beschränkt, und wir haben nicht den Eindruck, dass diese Maximalquote bei einem Institut je erreicht wird." Doch wie immer der Staat bei den Banken auch eingreifen wird, einen generellen Wirtschaftsabschwung kann er damit kaum verhindern. Die Frage ist lediglich, wie schwer dieser Einbruch ausfällt und wie lange die Schwächephase anhalten wird. Da rüber sind die Experten ziemlich uneins. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet für 2009 aktuell mit einem Wachstum von einem Prozent. Dagegen prophezeit der Weltwährungsfonds IWF fürs nächste Jahr eine Stagnation der deutschen Wirtschaft. Auch die acht deutschen Forschungsinstitute, die am Dienstag ihre Gemeinschafts diagnose vorgestellt haben, gehen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2009 bestenfalls um 0,2 Prozent zunimmt.
Schon jetzt ist kaum zu übersehen: Die reale Wirtschaft hat Prob leme zuhauf. Tausende von Autos stehen unverkauft auf Fabrikhöfen oder bei den Händlern. Reihenweise müssen die Autobauer die Produktion drosseln – sei es BMW, Daimler, Ford oder Opel. Und der Softwarekonzern SAP kündigte an, man werde die Mitarbeiter zwischen Weihnachten und Neujahr in Urlaub schicken. All diese Probleme haben nur begrenzt mit den Existenznöten zu tun, in die die Banken geraten sind. Vielmehr bricht auf wichtigen Auslandsmärkten die Nachfrage ein – in Eu ropa ebenso wie in den USA. "In vielen Euroländern sinken die Häuserpreise, was den Konsum und die Bautätigkeit belastet", stellt Chefvolkswirt Krämer fest.
Auch ohne die Finanzmarktkrise würde Deutschland also in eine Konjunkturflaute segeln. Die Probleme der Banken machen freilich alles noch komplizierter. Die acht Forschungsinstitute haben daher in ihrer Gemeinschaftsdiagnose neben dem Basisszenario eine zweite Vorhersage präsentiert: das Risiko szenario. Danach besteht die Gefahr, dass die Wirtschaft 2009 schrumpft – um immerhin ein Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen werde um 400 000 zunehmen. Commerzbank-Ökonom Krämer geht ebenfalls davon aus, dass die Wirtschaftsleistung 2009 schlimmstenfalls deutlich niedriger ausfallen könnte als in diesem Jahr.
Der Volkswirt hat freilich auch eine gute Nachricht: "Es wird keine Depression geben, keine jahrelange Rezession wie in Japan in den 90er-Jahren", sagt Krämer. Ähnlich wie 2007 in den USA war Ende der 80er-Jahre in Japan eine gewaltige Immobilienblase geplatzt. Doch die Regierung ließ viel wertvolle Zeit verstreichen, bis sie die Probleme endlich entschlossen anpackte. Die west lichen Regierungen hätten aus den Fehlern Japans gelernt, meint Chefvolkswirt Jan Hatzius von Goldman Sachs. "Die positivste Entwicklung inmitten der finanziellen Turbulen zen ist die zunehmend entschlossene Reaktion der Wirtschaftspolitik auf die Finanzkrise", sagt der Ökonom.
Nicht nur die Industrieländer, die gesamte Welt muss sich auf einen Abschwung einstellen, der mindestens ein Jahr anhalten wird. Der IWF prog nostiziert für 2009 nur noch ein globales Wachstum von drei Prozent. Dieses Jahr sind es knapp vier Prozent; 2007 legte die Weltwirtschaft noch um fünf Prozent zu. Der weltweite Abschwung bringt zumindest einen Vorteil: Der scharfe Anstieg der Rohstoffpreise scheint vorerst gebremst. Dies gilt vor allem für Öl, wo die Notierungen im Juli mit 147 Dollar je Barrel den höchsten Stand aller Zeiten erreicht hatten. Seither hat sich der Ölpreis auf aktuell rund 65 Dollar mehr als halbiert. "Er könnte sogar auf 50 Dollar fallen", sagt Irene Himona, Analystin bei BNP Paribas. Denn die weltweite Nachfrage wird 2009 nur noch um 0,8 Prozent steigen, schätzt die Internationale Energie-Agentur. Der Ölpreis wird nicht nur durch den schwächeren Anstieg der Nachfrage gedrückt, angesichts der Finanzkrise nimmt außerdem der Verkaufsdruck bei Termingeschäften zu. Die Preisexplosion bei Öl, Metallen und Agrarrohstoffen war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Inflationsrate in Deutschland zeitweise über drei Prozent kletterte. Jetzt rechnen die Fachleute nur mehr mit einem moderaten Anstieg der Verbraucherpreise. In ihrer Gemeinschaftsdiagnose sagen die Wirtschaftsforscher für 2008 eine Inflationsrate von 2,8 Prozent voraus. Im nächsten Jahr soll die Teuerung nur noch bei 2,3 Prozent liegen.
Wenn die Inflation zurückgeht, hat die Europäische Zentralbank (EZB) mehr Spielraum für Zins senkungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. In den USA liegt der Leitzins nur mehr bei 1,5 Prozent; in der Eurozone beträgt er immer noch 3,75 Prozent. Experten rechnen damit, dass die EZB die Zinsen bis Jahresende um 0,25 Prozent senkt. Dann aber schrumpft der Zinsvorteil, den die Eurozone bisher gegenüber den USA hat: Investments in Anlagen, die auf Euro lauten, werden unattraktiver gegenüber der Geld anlage in Dollarpapieren. Die Folge: Der Euro gerät weiter unter Druck. Bereits in den vergangenen Monaten ist der Kurs von 1,60 Dollar auf jetzt etwa 1,35 Dollar je Euro gesunken. "Wir erwarten, dass der Eurokurs bis Ende 2009 weiter auf 1,25 Dollar zurückgeht", sagt Commerzbank-Experte Krämer.
Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten und die gegenläufigen Entwicklungen in der globalen Konjunktur machen Entscheidungen über Aktieninvestments derzeit ungemein schwierig. Nach dem Börsenmassaker der vergangenen Wochen sind europäische Aktien weithin unterbewertet, meinen die Analysten des Zürcher Bankhauses Sarasin. "Das Kurs/Buchwert-Verhältnis des DAX ist in den vergangenen Monaten von 1,9 auf 1,1 gefallen", sagt auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer, "das spricht dafür, dass der DAX Chancen hat, trotz Gewinnenttäuschungen einen Boden bei 4000 bis 4400 Punkten zu bilden." Andererseits kann in den Bilan zen der Unternehmen noch manche böse Überraschung schlummern. Die nervöse Stimmung an den Börsen wird daher anhalten, bis die wichtigsten Akteure die Quartalszahlen präsentier ----------- Das Leben ist wie ein Papierflugzeug, sitzt du drin und es regnet dann bist du am Arsch(In Englisch klingt das besser:)) |