http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,648512,00.html Technoparty an der Börse
Von Christoph Rottwilm
Dax? MDax? Nein: Tec-Dax! Die Anleger haben den Technologieindex in den vergangenen Monaten wie im Rausch in immer neue Höhen getrieben. Aber was steckt wirklich hinter dem Hype der Tech-Aktien? Und wie geht es weiter mit den Titeln? Hamburg - An den Börsen jagt ein Rekord den nächsten: Im Tagestakt reihen sich derzeit die Kurshochs aneinander. Angesichts der weiterhin nicht gerade rosigen Wirtschaftslage bekommt der Hype allmählich jedoch bedrohliche Ausmaße. Denn immerhin hat der Dax seit März um beachtliche 50 Prozent zugelegt. Der MDax stieg sogar um rund 70 Prozent.
Doch der TecDax stellt beide sogar noch in den Schatten: Um deutlich mehr als 80 Prozent ist er seit dem Frühjahr nach oben geschossen. Sind die Anleger auf einer nicht enden wollenden Technoparty? Wie lässt sich die weit überdurchschnittliche Performance des TecDax erklären? Und was steht dem Index in den nächsten Monaten bevor?
Ein genauer Blick zeigt: Nicht alle Tech-Werte sind in den vergangenen Monaten so durchgestartet, wie ein Blick auf den Gesamtindex vermuten ließe. Der Höhenflug wurde vielmehr von wenigen Papieren getragen. Beachtlich ist, dass sich rund ein Drittel der Tec-Dax-Werte seit Jahresanfang sogar im Minus befindet - darunter mit Q-Cells , Solon , Conergy und Solarworld vier Solarfirmen. Die Branche ist ohnehin seit längerem gebeutelt.
Zwar zählen auch Solarunternehmen wie Roth + Rau , Phoenix Solar und SMA zu den Tec-Dax-Gewinnern dieses Jahres. Die großen Abräumer hießen aber anders: Die Aktie von Aixtron etwa legte 2009 bereits um mehr als 170 Prozent zu. Bei IDS Scheer sind es ungefähr 150 Prozent, und bei Freenet immer noch gut 100 Prozent.
Infineon überstrahlt alle anderen Titel
Ein klassischer Fall von Stockpicking also: Denn von den 35 Prozent, die der TecDax seit Jahresanfang zugelegt hat, kommen einer Studie der DZ Bank zufolge allein 30 Prozentpunkte von den sechs größten Unternehmen unter den Index-Gewinnern. Ein Papier überstrahlt dabei alle anderen - und ausgerechnet dieses wird dem Index künftig fehlen. Die Rede ist vom Halbleiterhersteller Infineon , der nach dem Dax-Abstieg im März bereits in knapp zwei Wochen wieder in die erste Börsenliga aufsteigen wird.
"Nach der erfolgreichen Kapitalerhöhung und dem Verkauf der Wireline-Communications-Sparte hat sich die Liquiditätssituation bei Infineon wieder entspannt", sagt Oana Floares, Analystin bei der SEB Bank. "Ein Pleitekandidat ist das Unternehmen jetzt nicht mehr."
Hintergrund: Erst im März war Infineon nach einem jahrelangen Kursrutsch aus dem Dax geflogen. Das Unternehmen litt unter fehlender Liquidität und stand kurz vor der Pleite. Auf dem Tiefpunkt war die Aktie nur noch lächerliche 34 Cent wert.
Doch dann kam die Wende: Im Juli gelang der Verkauf der Sparte Wireline Communications für 250 Millionen Dollar an einen US-Investor. Und kurz darauf präsentierte Infineon den Finanzinvestor Apollo als künftigen Miteigentümer. Das schaffte offenbar neues Vertrauen auch bei anderen Anlegern. Eine 700-Millionen-Euro-Kapitalerhöhung wurde inzwischen platziert, der Aktienkurs steigt immer weiter.
Zuletzt kostete das Infineon-Papier immerhin knapp vier Euro. Seit Jahresanfang hat das TecDax-Schwergewicht (15,5 Prozent Anteil) damit deutlich mehr als 300 Prozent zugelegt. Von den 35 Prozent Jahresperformance des TecDax gehen nach Angaben der DZ-Bank-Analysten damit allein gut 15 Prozent auf das Konto von Infineon.
Infineon dürfte bei Anlegern weiter für Freude sorgen
Damit aber nicht genug. Zwei Gründe sprechen dafür, dass es mit dem Kurs des Unternehmens weiter aufwärts gehen könnte. Erstens: Der kommende Dax-Aufstieg dürfte die Nachfrage institutioneller Investoren ankurbeln. Und zweitens: Die Unternehmen der Halbleiterbranche zählen zu den sogenannten Frühzyklikern. Am Ende einer Rezession - und dort befinden wir uns gerade - sind sie oft die Ersten, die den Aufschwung tatsächlich zu spüren bekommen. "Gerade haben Texas Instruments und ASML - zwei bedeutende Werte dieser Branche - ihre Ziele für das laufende Quartal angehoben", bestätigt Analystin Floares. "Am Halbleitermarkt macht sich der beginnende Konjunkturaufschwung bereits bemerkbar."
Unabhängig davon, ob sich Infineon wirklich weiter gut entwickelt - dem Tec-Dax wird das Unternehmen nicht mehr helfen. Da müssen schon andere Firmen her. Nur welche?
Zunächst drängt sich die Solarbranche auf, immerhin die größte Fraktion im Index. Doch in den vergangenen zwei Jahren kannten die Aktienkurse dort vor allem eine Richtung: abwärts. Entscheidend wird also sein, wann der Absturz zu Ende ist.
Bei Solaraktien ist eher Zurückhaltung angesagt
"Nicht so bald", meint Erkan Aycicek, Analyst bei der LBBW. "Die Solarbranche bleibt vorläufig unter Druck." Als Hauptgrund nennt er die weiter aufkommende Konkurrenz aus Fernost. "Vor allem chinesische Anlagenhersteller machen den Europäern das Leben schwer", sagt er. "Seit die Kapazitätsengpässe auf dem Siliziummarkt beseitigt und die Preise dort ins Rutschen gekommen sind, können auch die Asiaten preiswert einkaufen. Zusammen mit ihren günstigen Produktionsbedingungen haben sie daher gegenüber den Europäern die Nase vorn."
Nach Einschätzung des Experten gibt es zwar Ausnahmen von der eher pessimistischen Analyse: So stellt Phoenix Solar beispielsweise Solaranlagen nicht selbst her, sondern erwirbt und installiert sie. Fallende Preise, so die Meinung Ayciceks, könnten in diesem Geschäftsmodell von Vorteil sein, denn sie erhöhen die Renditeaussicht des Endabnehmers. Wahrscheinlich ein Grund dafür, dass die Phoenix-Aktie im laufenden Jahr schon mit rund 40 Prozent im Plus liegt.
Insgesamt ist bei Solaraktien aber eher Zurückhaltung angesagt. Schließlich, so Aycicek, rissen die schlechten Nachrichten nicht ab: So wurde mit Spanien inzwischen ein wichtiger europäischer Absatzmarkt durch staatliche Restriktionen erheblich zusammengestutzt. Zudem leide auch die Solarbranche unter der krisenbedingten Kreditverknappung.
Tec-Dax dürfte den Dax weiter outperformen
Bleibt also die Suche nach attraktiven Einzelwerten - das klassische Stockpicking. Die DZ Bank nennt ein paar heiße Kandidaten: Dialog Semiconductor etwa, wie Infineon ein ebenfalls im Halbleitermarkt aktiver Entwickler von Schaltungen etwa für Handys. Das Unternehmen habe "durch die Verbreiterung der Kundenbasis und den Übergang zu einem ausgewogeneren Portfolio von Standardprodukten ständig Marktanteile gewonnen", schreiben die DZ-Bank-Analysten. Außerdem stehe eine neue, vielversprechende Technologie in den Startlöchern.
Auch die Aktie von Freenet halten die Analysten noch für niedrig bewertet. Sie verweisen auf das gegenüber Konjunkturschwankungen recht robuste Geschäftsmodell und das Potential eines höheren freien Cashflows.
Insgesamt - so lautet zumindest die Bilanz der DZ Bank - könnte es mit dem TecDax durchaus noch weiter aufwärtsgehen. Zwar sei der Index schon recht hoch bewertet, und die Gewinnschätzungen befänden sich weiter im Abwärtstrend, heißt es. Angesichts der aufkeimenden Konjunkturerholung rechnen die Analysten aber damit, dass sich "die Gewinnentwicklung 2010 und 2011 deutlich verbessert".
Und deshalb gilt: In einem ruhigeren Umfeld als das der vergangenen Monate sollte der Tec-Dax gegenüber dem Dax auch künftig outperformen. |