Die ausgefallenen Notstromaggregate der schwedischen Atomkraftwerke, die jetzt not-abgeschaltet werden mussten, stammen von AEG. AEG wurde von Alstom übernommen (unten fett, rot). Der Schaden durch die Abschaltung wird auf 1,1 Mio. Euro pro Tag beziffert.
FTD, 4.8.06 Europa entgeht nur knapp einer Atomkatastrophe
von Clemens Bomsdorf (Kopenhagen), Sandra Burmeier (Hamburg) und Thomas Fromm (München)
Das Bundesumweltministerium startet nach einem Störfall in Schweden einen Sicherheitscheck aller deutschen Atomkraftwerke. Die Entwicklung in Forsmark nördlich von Stockholm werde als "sicherheitstechnisch ernstes Ereignis" eingestuft, teilte das Bundesumweltministerium mit.
Die Aktion ist eine Reaktion auf massive Sicherheitsbedenken der schwedischen Nuklearbehörde SKI. Sie schaltete am Donnerstag in Oskarshamn zwei weitere Atomreaktoren ab. Die Sicherheit in der Anlage könne nicht garantiert werden, hieß es. Zudem berief die Behörde eine Krisensitzung ein.
In der vergangenen Woche waren in einem vom Stromversorger Vattenfall betriebenen Reaktor in Forsmark zwei der vier Notstromaggregate zur Kühlung des Reaktorkerns ausgefallen. SKI nannte Konstruktionsfehler als Grund für den Ausfall. An der Betreibergesellschaft der jetzt abgeschalteten Reaktoren in Oskarshamn, rund 250 Kilometer südlich von Stockholm, hält der deutsche Versorger Eon die Mehrheit. Sie arbeiten mit den gleichen Notstromaggregaten des Herstellers AEG wie die Meiler von Vattenfall.
Nach Aussagen des Chefkonstrukteurs von Forsmark, Lars-Olov Höglund, entging Europa nur knapp einer Atomkatastrophe: Da alle vier Notstromaggregate in Forsmark vom gleichen Hersteller stammten und daher die gleichen Konstruktionsfehler aufwiesen, sei es Zufall, dass lediglich zwei ausgefallen seien. "Es hätte gereicht, dass nur eines der beiden anderen versagt, und eine Kernschmelze wäre die Folge gewesen", sagte Höglund der FTD. Die radioaktive Strahlung hätte verheerender ausfallen können als beim Atomunfall in Tschernobyl 1986.
Ausrüstern drohen Schadensersatzforderungen
Der Störfall hilft Befürwortern des bereits beschlossenen Atomausstiegs in Deutschland. Zuletzt hatte es einzelne Stimmen gegeben, die eine Abkehr von der Entscheidung diskutieren wollten. Der energiepolitische Sprecher der Grünen, Hans-Josef Fell, forderte von der Bundesregierung die sofortige Aufklärung über den Störfall in Forsmark. Die Umweltorganisation Greenpeace drang auf eine Prüfung der Notstromsysteme weltweit. In welchem Umfang die problematischen AEG-Aggregate überhaupt in deutschen Meilern eingebaut sind, blieb am Donnerstag jedoch unklar.
Die beteiligten Ausrüster müssen sich möglicherweise auf Schadensersatzforderungen der Betreiber einstellen. Die Stilllegung von Oskarshamn koste umgerechnet rund 1,1 Mio. Euro pro Tag, sagte ein Sprecher. Ein Sprecher Vattenfalls wollte Forderungen am Donnerstag nicht ausschließen: "Um über mögliche Schadensersatzforderungen zu sprechen, ist es zu früh", sagte er. Er wies die Gefahr einer Kernschmelze zurück: "Die Sicherheitsvorkehrungen haben gegriffen."
Strompreis in Schweden schnellt nach oben
AEG Energietechnik gehört seit Ende der 90er Jahre zum französischen Mischkonzern Alstom. Ein Sprecher wollte sich am Donnerstag nicht äußern.
Gebaut hatte die betroffenen Kraftwerke in den 60er und 70er Jahren Asea. Das Unternehmen ist inzwischen im Schweizer Anlagenbauer ABB aufgegangen. Die Sparte für den Bau von Atomkraftwerken habe man aber inzwischen an die British Nuclear Fuels (BNFL) verkauft, sagte ein Sprecher. Jedoch rechne man derzeit generell nicht mit Forderungen: "Wir haben mit unseren schwedischen Kollegen gesprochen. Demnach gibt es bislang keine Anfragen von Seiten der Betreiber", sagte ein Sprecher der ABB-Zentrale in Zürich.
Die Strompreise in Schweden erreichten nach Angaben der Tageszeitung "Upsala Nya Tidning" am Donnerstag Rekordhöhen: Der Durchschnittspreis an der Strombörse Nord Pool lag gegen 13 Uhr bei 57,4 Öre pro Kilowattstunde, umgerechnet rund 6,2 Euro-Cent. Er liegt damit rund 14 Prozent über dem Wert in der Vorwoche und leicht über dem aktuellen Wert an der Leipziger Strombörse. Im Juli des vergangenen Jahres lag der Durchschnittspreis bei 27,4 Öre. |