Aargauer Zeitung 29.5.06
«Wir bauen 100 bis 150 Stellen auf»
Walter Gränicher Der Chef von Alstom Schweiz zur Entwicklung im Kraftwerkgeschäft Alstom verdient wieder Geld - und baut auch in der Schweiz wieder Arbeitsplätze auf. Ein Gespräch mit Walter Gränicher, der als Konzernleitungsmitglied die Sparte Kraftwerkservice führt und gleichzeitig Länderpräsident von Alstom Schweiz ist. Peter K. Sonderegger Alstom zeigt nach vier Verlustjahren erstmals wieder einen Gewinn. Als Chef des Kraftwerkservices lieferten Sie mit 20 Prozent des Konzernumsatzes letztes Jahr rund 60 Prozent des Gewinns in die Konzernkasse. Rundum zufrieden? Walter Gränicher: Der Konzern hat sich stabilisiert, und wir haben klare Perspektiven für die Zukunft. Unsere Situation ist nicht mehr mit der Lage von vor zwei Jahren zu vergleichen, als wir ums Überleben gekämpft haben. Und nach der schmerzhaften Restrukturierung hat der Konzern wieder rund 2500 Leute eingestellt. Vor allem Ingenieure. Wie sieht es bei Alstom Schweiz aus? Gränicher: Der Gesamtkonzern beschäftigt im verbleibenden Kerngeschäft rund 60 000 Mitarbeitende. Wir sehen, dass wir mit dem erfreulichen Geschäftsgang wieder Stellen aufbauen können. Auch in der Schweiz haben wir mit gut 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Tiefpunkt hinter uns.
Was heisst das für Baden und Birr? Gränicher: Wir sind gut ausgelastet und haben wieder offene Stellen. Im laufenden Jahr könnten es in der Schweiz 100 bis 150 neue Mitarbeitende werden. Sofern wir die Stellen überhaupt besetzen können. Die Fachleute, die wir suchen, sind nicht so einfach zu finden. Wir hoffen deshalb, dass wir die Fluktuationsrate wieder senken können. So schnell ändern sich die Zeiten. Gränicher: Dank einer vom Management etwas forcierten Fluktuation mussten wir im Rahmen der zurückliegenden Restrukturierung nicht so vielen kündigen wie ursprünglich vorgesehen. Jetzt unternehmen wir wieder Anstrengungen, dass uns die erfahrenen Leute bleiben.
Fehlen mehr Facharbeiter oder mehr Ingenieure? Gränicher: In der Entwicklung und Projektabwicklung in Baden geht es um Ingenieure und Facharbeiter. In der Rotorenfabrik sehen wir uns bereits mit Fabrikationsengpässen konfrontiert, die wir mit der Einstellung von Facharbeitern auffangen können. Aber auch die Materialbeschaffung ist teilweise wieder kritisch. Die Kapazitäten unserer Lieferanten zur Herstellung grosser Schmiedestücke sind sehr gut ausgelastet. Über die letzten Jahre hat das wachsende Servicegeschäft den Personalabbau im Neugeschäft teilweise kompensiert . . . Gränicher: . . . und jetzt suchen wir vor allem wieder Leute fürs Neuanlagengeschäft. Alstom-Chef Patrick Kron redet von einer Stabilisierung der weltweiten Kraftwerkmärkte auf dem hohem Niveau von 100 bis 120 GW pro Jahr. Die Renaissance von Kohle und Kernkraft braucht aber vor allem mehr Dampfturbinen. Gränicher: Bis vor kurzem standen Gasturbinen und Kombikraftwerke wegen der Umweltaspekte im Vordergrund. Kohle galt als schmutzig. Und die Kernkraftwerke sollten möglichst rasch abgeschaltet werden. Jetzt kommt wieder die Ansicht, dass man auf Kohle und auf Kernkraft nicht verzichten kann. Es gab schon immer Fluktuationen zwischen den einzelnen Technologien. Über längere Sicht zeigt sich, dass Gas, Kohle und wahrscheinlich auch die Nuklearkraft ihren Platz haben werden. Dies neben den erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind und Wasser. Aber die grössten Stromdefizite entstehen in eigentlichen Kohleländern wie China, Indien. Aber auch in Braunkohleländern wie Deutschland. Wachsen wird vor allem die Nachfrage nach Dampfkraftwerken. Alstom Schweiz lebt jedoch primär von der Gastechnik. Gränicher: Nicht nur. Die Entwicklung neuer Dampfturbinen und damit das eigentliche Dampfturbinen-Know-how bleibt schwergewichtig in der Schweiz. Und in der Rotorenfabrik in Birr werden weiter auch Dampfturbinenrotoren gebaut. Über 60 Prozent aller Alstom-Rotoren in diesem Bereich kommen aus Birr. Und wenn es uns gelingt, unseren Marktanteil im Bereich Gasturbinen und Kombikraftwerke wieder auf die früher üblichen 10 bis 15 Prozent zu erhöhen, dann haben wir in der Schweiz das nötige Volumen, um langfristig erfolgreich zu bleiben. Die Probleme mit der grossen Gasturbine GT 24/26 sind ja gelöst. Damit haben wir eine gute Basis für die Weiterentwicklung. Aber über die letzten Jahre wurde die Entwicklungskapazität stark von der Fehlerbehebung bei der GT 24/26 absorbiert. Die Konkurrenten bringen schon eine neue Gasturbinen-Generation. Gränicher: Unsere Turbine wird kontinuierlich verbessert. Unsere Produkte sind nicht im Rückstand . . . . . . und wie weit ist die Arbeit an einer ganz neuen Alstom-Gasturbine? Gränicher: Kein Kommentar. Bei der Wasserkraft sieht sich Alstom als Nummer eins weltweit. Bei den übrigen erneuerbaren Energien ist Alstom jedoch gar nicht dabei. Gränicher: Wir hatten die finanzielle Basis in der Vergangenheit nicht, um in neue Bereiche einzusteigen. Jetzt überprüfen wir die Möglichkeiten.
Ist es dazu nicht zu spät? Gränicher: In Geschäften, die mittlerweile so gut besetzt sind wie etwa die Windenergie, wäre ein Neuanfang tatsächlich nicht einfach.
Das wäre somit ein Feld für Akquisitionen. Gränicher: Das könnte sein. Konzernchef Patrick Kron hat ja bei der Präsentation des Jahresabschlusses darauf hingewiesen, dass wir bereits heute wieder die finanziellen Möglichkeiten haben, um gezielt Akquisitionen zu machen. Abklärungen, wie wir unser Neuanlagengeschäft verstärken können, laufen bereits. Es gibt sicher ein interessantes Jahr . . . . . . mit einem erfreulichen weiteren Ausblick? Gränicher: Wir sehen positiv in die weitere Zukunft. Das heisst, dass man bei Alstom Schweiz auch über das laufende Jahr hinaus mit neuen Jobs rechnen kann? Gränicher: Neue Tätigkeiten werden realistischerweise primär dort aufgebaut, wo man sich strategisch positionieren will und wo heute die Kunden sind. Aber wenn nichts Unerwartetes eintrifft, rechne ich auch in der Schweiz mit einem weiteren stabilen, eher nach oben gerichteten Verlauf. Die von Ihnen geführte Konzernsparte Kraftwerkservice zeigt mit einer operativen Marge von 15,5 Prozent im Konzern die beste Rendite. Erwartet Patrick Kron von Ihnen noch mehr? Gränicher: Wir haben Ideen, wie wir weiter wachsen können. Wie werden unsere Marge aber sicher nicht verdoppeln können wie meine Kollegen, die für das Neuanlagengeschäft verantwortlich sind. Im Neugeschäft hat Alstom erst gerade den Turnaround geschafft. Bei Aufträgen für neue Kraftwerke geht es regelmässig um mehrere hundert Millionen Franken. Das ist immer sehr spektakulär. Richtig Geld verdienen Kraftwerkkonzerne offensichtlich generell im Servicegeschäft. Gränicher: Das gilt in vielen Industrien . . . . . . und was macht das Service-Geschäft so attraktiv? Gränicher: Wenn eine Anlage still steht, weil vielleicht nur eine Komponente nicht funktioniert, so ist das erstens teuer. Es kann auch sehr unangenehm werden, wenn der Kraftwerkbetreiber eine Zeit lang keinen Strom liefern kann. Wir haben das letztes Jahr in Leibstadt erlebt. Kraftwerkbetreiber suchen deshalb verlässliche Partner, um die Stillstandrisiken bei den kritischen Komponenten zu minimieren. Bei Alstom Schweiz geht es vor allem um die Gasturbinen, die 85 Prozent der gesamten Unterhaltskosten eines Kombikraftwerks ausmachen. |