Ich möchte nicht unken, sondern diesen Beitrag als Beschreibung einer nicht ganz unwichtigen Entwicklungslinie im Immobilenmarkt (West-)Deutschlands verstanden wissen. (Die Leerstände sind besorgniserregend; ich weiß das aus meinem privaten Umfeld.)
DIE WELT schreibt:
Immer mehr Städte stehen vor dem Kollaps
Stadtumbau-Programm greift nicht - Leerstände nehmen auch im Westen stark zu - Wohnungsmärkte kippen - Pleiten nehmen zu
von Dankwart Guratzsch
Dortmund - Was die Auguren seit Monaten prophezeien, das wird immer mehr zum Albtraum der Städtebauer: der Wohnungsleerstand erreicht den Westen. Auf einer Expertenkonferenz in Dortmund hat jetzt der Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung (vhw) den erschreckenden Ergebnisbericht einer von ihm eingesetzten interdisziplinären Arbeitsgruppe "Stadtumbau Ost/West" vorgelegt. Danach erreichen die Leerstände auch in Westdeutschland verschiedentlich schon Spitzenwerte um 13 Prozent. Spätestens ab 2015, so der Bericht, "ist in Westdeutschland mit strukturellen Leerständen in einer Dimension zu rechnen, die denen ostdeutscher Regionen nahe kommt".
Die Arbeitsgruppe hat sieben ausgewählte Städte aufgesucht und die Situation verglichen. Während sie in den ostdeutschen Städten Luckenwalde, Görlitz und Halle gründliche Analysen und Konzepte vorfand, traf sie in den westdeutschen Städten Duisburg, Herten, Oer-Erkenschwick und Neunkirchen (Saar) vielfach auf Ahnungslosigkeit und mangelndes Problembewusstsein. Auf die Frage nach dem Leerstand 2001 wussten die drei größeren Städte keine Antwort. Aus Duisburg verlautete: "unter zehn Prozent". Eine Leerstandsprognose konnte keine der vier Städte vorlegen.
Mit dieser Vogel-Strauß-Einstellung könnten die westdeutschen Städte mittelfristig in dieselbe Spirale des Niedergangs geraten, die inzwischen viele ostdeutsche Städte in eine unentrinnbare Notlage gebracht hat. Prof. Gerd Schmidt-Eichstädt, Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalplanung, TU Berlin: "Im Osten stehen Wohnungen für 2,6 Millionen Menschen leer, das ist ein Sechstel der Bevölkerung, und niemand hat das Geld dafür, die Lage zu wenden."
Nach dem Bericht der Expertengruppe hatte sich die Leerstandsquote der vom GdW vertretenen Unternehmen schon per 31.12.2002 auf 16,2 Prozent erhöht, "immer mehr Unternehmen haben bereits heute sogar einen Leerstand von über 30 Prozent". Damit schnappt die Falle zu: Die Investitionsfähigkeit geht rapide zurück, Modernisierungsmaßnahmen scheinen kaum noch möglich. In der Folge schwinden die Möglichkeiten, Mietern aus Abrissobjekten Ersatzwohnungen anzubieten, "die Gefahr der Insolvenz von Wohnungsunternehmen und des Zusammenbrechens ganzer Wohnungsmärkte nimmt zu". Für viele Unternehmen ergibt sich schon jetzt eine hoffnungslose Perspektive: "Die Eigenkapitalrentabilität der ostdeutschen Wohnungsunternehmen lag Ende 2001 bei insgesamt minus sieben Prozent, das Kapital wird mittelfristig aufgezehrt."
Die tiefere und nicht mehr abwendbare Ursache für das Kippen der Wohnungsmärkte in Ost und West sehen Fachleute wie Rita Tölle, Referatsleiterin im Städtebauministerium NRW, in der B e v ö l k e r u n g s i m p l o s i o n . Bis 2015 werde die Einwohnerzahl in Dortmund um 9,1 Prozent, in Hagen um 9,3 Prozent und in Essen um 11,5 Prozent s c h r u m p f e n . Im Westen werde der Leerstand vielfach noch als Qualitätsproblem gesehen, das man durch Beseitigung von "Schlechtwohnungen" an Ausfallstraßen bewältigen könne. Doch dahinter erhebe sich drohend das schon bald kaum noch beherrschbare Quantitätsproblem.
Um "aus der Schrumpfung den Weg in die Zukunft zu finden", hält Schmidt-Eichstädt radikales Umdenken für unabdingbar: "Die Immobilienmärkte müssen realistisch eingeschätzt werden. Dafür gilt im Osten heute schon die Formel: Verkehrswert gleich Marktwert. D i e B o d e n w e r t e t e n d i e r e n g e g e n N u l l." Außerdem müssten die Wohnwünsche der Betroffenen erforscht und ernst genommen werden. So sei im Osten "manches gefördert worden, was schon wieder beseitigt werden muss".
Beispiele für fatale Fehleinschätzungen lieferte Frank Segebade, Referatsleiter im brandenburgischen Stadtentwicklungsministerium: "Es gab regelrechte Rattenrennen. Zuerst wurde in aller Eile der schlechteste Bestand saniert, in den horrende Fördergelder gepumpt werden mussten, und dann auch noch der zweitschlechteste. Am Ende hat man den drittschlechtesten abgerissen, für dessen Instandsetzung man die wenigsten Mittel benötigt hätte."
Segebade war es auch, der den westdeutschen Nachahmern ostdeutscher Rezepte ins Stammbuch schrieb, die Städte müssten konsequent von den Rändern zurückgebaut werden. Nur das sei bezahlbar. "Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn sanierte Bestände am Waldrand übrig bleiben." Am schlechtesten stünden heute solche Unternehmen da, die ihre Plattenbauten weitgehend instand gesetzt haben: "Denen bleibt gar keine Luft mehr, wenn der Mieterschwund beginnt."
Dass im harten Konkurrenzkampf um den Mieter die Großsiedlungen zum Klotz am Bein werden können, unterstrich auch Rita Tölle: "Die sind einfach teurer als der drei- bis viergeschossige Bestand. Wir müssen im Westen frühzeitig wohnungswirtschaftlich denken und fragen, was kann der Standort langfristig bringen." Dasselbe forderte in Dortmund Anita Steinhart, Projektleiterin Stadt- und wohnungswirtschaftliche Forschung, isw Halle-Leipzig, die auf die noch kaum berücksichtigten Auswirkungen des Stadtumbaus auf die Infrastruktur verwies. So habe eine Untersuchung in vier Städten Sachsen-Anhalts ergeben, dass für die Anpassung der Trink- und Abwassersysteme sowie Fernheizungen 20 Euro/qm rückgebauter Wohnfläche veranschlagt werden müssten, die sich um weitere 19 Euro/qm für vorzeitige Stilllegung noch nicht voll abgeschriebener Anlagen nahezu verdoppeln. Nach Meinung der Expertin kann die "Betriebsfähigkeit" ganzer Städte bedroht sein, wenn die Anpassung der Infrastruktur verschleppt und die Kostenlawine unterschätzt wird.
Was sind die Lehren für den Stadtumbau? Er sollte auf keinen Fall "punktuell", sondern möglichst flächenmäßig erfolgen. Sonst klettern die Kosten für die Unterhaltung der Systeme für die verbleibenden Mieter ins Astronomische - was neue Vertreibungseffekte und Leerstände auslöst und laut Steinhart zuletzt die Wirtschaftlichkeit der Gesamtkommune unterhöhlt.
Artikel erschienen am 25. März 2004 |