Ein schicksalshaftes Wochenende von weissgarnix, 12. Juli 2008 http://www.weissgarnix.de/?p=336#more-336
Es ist ein schöner, wenn auch schwüler Sommertag hier in Ostösterreich, wo ich seit langer Zeit mal wieder ein Wochenende verbringe. Der Tennistrainer hat mir abgesagt, weil sein Sohn wider Erwarten bei einem Turnier in die nächste Runde kam und daher des fortgesetzten Coachings des Papas bedarf, die Kinder spielen draußen am Pool, ein paar Häuser weiter sehe ich von der Terasse aus eine Nachbarin die Wäsche aufhängen, und im gegenüberliegenden Garten prahlt Herr Primar wieder einmal mit seinem vollautomatischen Robo-Rasenmäher. Mit einem Wort: alles wie immer.
Dennoch ist dieses Wochenende, dass wir kalendarisch mit Freitag 11.07.2008 bis Sonntag 13.07.2008 festhalten wollen, vielleicht eines der wichtigsten und für die Weltwirtschaft entscheidensten der letzten 30 Jahre. An diesem Wochenende wird nämlich, wenn man den diversen Medienberichten der letzten Tage glauben darf, über die endgültige Weichenstellung zwischen “Deflation” oder “Inflation” entschieden. Darüber, ob unsere Ersparnisse endgültig der Entwertung anheim fallen, zwar nicht auf einen Schlag, aber mit immer schneller steigenden Raten, oder ob wir uns stattdessen auf einen grandiosen Schuldencrash zubewegen, der weltweit den Vermögenswerten den Boden unter den Füßen wegziehen, Geld als solches aber relativ unangetastet lassen wird.
Die Rede ist, wie aufmerksamen Beobachtern klar sein wird, von den laufenden Krisensitzungen in USA zur Rettung von Fannie Mae und Freddie Mac. Und ja, auch wenn das vielleicht ein wenig naiv rüberkommt, ich bin mir ziemlich sicher, dass der Ausgang dieser Episode unseres kleinen Kreditdramas alles andere weitestgehend vorzeichnen wird. Notabene, ich rede nicht davon, dass am Montag 8:30 der finale Kataklysmus vor der Tür steht, wenn sich Sonntag abend herauskristallisieren sollte, dass die Amis sich so oder so entscheiden. Aber ich rede davon, dass man danach wesentlich klarer sehen wird, als das bislang der Fall war, wohin die finale Reise geht. Und das brächte einen ganz entscheidenden Vorteil: man könnte sich entsprechend darauf vorbereiten, und so das Schlimmste für sich und seine Angehörigen vielleicht verhindern.
Was passiert konkret? - In meinen Augen, so interpretiere ich die diversen Berichte in Medien und Blogosphäre, gib es in USA in dieser Angelegenheit 2 gegensätzliche Lager: auf der einen Seite FED-Chef Bernanke und Finanzminister Paulson, die ziemlich massiv für die unmittelbare Rettung von Fannie und Freddie eintreten werden, entweder in dem man sie gleich verstaatlicht, oder indem ihre Schulden einfach nur durch die Regierung garantiert werden. Bernanke wird ziemlich sicher rund um die Uhr sein Credo predigen, dass alles andere als eine dieser beiden Vorgehensweisen zur ultimativen Katastrophe führen könnte, nämlich zu generellem Vertrauensverlust an den Finanzmärkten. Da keiner besser als Bernanke weiss, was das zur Folge hätte, wird er seine Argumente sehr überzeugend präsentieren, unterstützt von einem - bislang in der Öffentlichkeit seltsam unbeholfen auftretenden - Finanzminister Paulson, dem alleine schon seine zahllosen Wallstreetbuddies darob vermutlich schon seit Wochen in den Ohren liegen. Paulson ist es ziemlich sicher auch persönlich nicht ganz egal, was mit seinem Vermögen von grosso modo 700 Mio USD passieren wird, wenn in dieser Sache was anbrennen sollte.
Unnütz zu erwähnen, dass einer der beiden Vorschläge das aktuelle Basisszenario der allermeisten Player an den Finanzmärkten ist. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, denn jede andere Lösung, die auch nur andeutungsweise in den Raum stellt, dass Fannie und Freddie nicht die ultimative Unterstützung der US Regierung genießen könnten, wäre ein Schock, ein sehr unsanftes Erwachen aus einem, bisweilen auch von der US Regierung geflissentlich gepflegten Traums. Bye, bye “Bailout always and forever”, Hello echter, kalter Kapitalismus … das klingt für die meisten Wallstreeter auf Powerpoint Charts sowie in Studien und Analysen für das zahlende Publikum gut, aber keineswegs in der eigenen unternehmerischen Realität. Und warum auch, hatte nicht die FED (und hinter ihr die US Regierung) gerade erst bewiesen, dass selbst so eine Pups-Investmentbank wie Bear Stearns nicht pleite gehen durfte? Wie könnten sie also zwei derartige Schwergewichte wie Fannie und Freddie einfach mal so im Regen stehen lassen? Wie könnten sie es wagen, derlei als Möglichkeit überhaupt nur anzudeuten?
Ben und Hank sehen sich aber dummerweise konfrontiert mit einigen Widersachern, denen Bear Stearns bereits zu weit ging. Die dem “Sozialismus” in den USA keinen Boden bieten wollen, zumindest nicht auf ein derart spektakuläre Weise, wie es im Fall von Fannie und Freddie der Fall wäre. Eine ganze Reihe von Senatoren und Kongressabgeordneten ist skeptisch, häufig bedrängt von den eigenen Wahlkreisen, dass man doch wohl unmöglich den Steuerzahler ins Gebet nehmen könnte, um das Versagen von ein paar Wallstreet-Fat Cats und deren maßlose Gier zu heilen. Diese Logik trifft zwar im Kern nicht unbedingt zu, aber sie klingt überzeugend und populär, insoferne hat sie in den jetzt stattfindenden Krisensitzungen durchaus Gewicht. Problematisch könnte diese Überzeugung werden, wenn sie sich mit dem Glauben in die solide Basis und die High Spirits der “great US Economy” paart, dem sich viele Politiker in den USA tatsächlich hingeben. Wer sich also schlußendlich durchsetzt ist die Frage, eventuell versucht man auch einen Kompromiß zu finden, indem irgendwie ein pseudo-privates Vehikel vorgeschoben wird, über dass die Rekapitalisierung von Fannie und Freddie erfolgt, in dessen Hintergrund aber zweifellos mit staatlichem Geld hantiert wird. Da weder die aktuelle Regierung noch die nächste dafür auch nur 1 cent aus dem laufenden Haushalt verwenden oder deshalb gar die Steuern erhöhen wird, ist klar, dass dies ziemlich unmittelbar auf die öffentliche Verschuldung der USA durchschlagen wird.
Da die nächste US Regierung aber nicht nur derlei Altlasten bewältigen sondern auch die laufende Konjunktur fiskalisch befeuern wird müssen, werden zusätzliche Schulden unter dem Titel “Fannie und Freddie” nicht die einzigen bleiben. Auch das laufende Haushaltsdefizit wird sich dramatisch ausweiten, wie Bill Gross von PIMCO erst kürzlich schrieb, könnte Barack Obama als erster “1 Trillion Dollar Deficit”-Präsident in die Annalen der Geschichte eingehen.
Frage: woher das ganze Geld nehmen? Und hier jetzt ein weiteres Mosaiksteinchen im großen Puzzle: entweder es finden sich genügend Verrückte weltweit, die bei fallendem Dollar weiterhin niedrig-verzinste US Treasuries zeichnen, oder aber es greift Bernankes bekannter Plan B, über den er die Welt bereits in 2002 informierte, nämlich die “US Dollar Printing Press”. Im Kontext des Jahres 2008 bedeutet dies natürlich keine echte Papierpresse, sondern primär die direkte Zeichnung von US Staatsanleihen durch die FED, ohne dass diese von der Regierung zunächst auf dem Finanzmarkt an Investoren emittiert werden. Bernanke war in besagter Rede sehr unzweideutig, damit lassen sich beliebig hohe Dollarbeträge fabrizieren, aber dies ist ins unseren Breitengraden keine Neuigkeit, das wissen wir aus der eigenen Geschichte bestens, wie sowas funktioniert. Die Folgen kennen wir aber deshalb auch nur allzugut, nicht wahr?
Meine ganz persönliche Meinung ist, dass es darauf hinauslaufen wird. Wie konkret Fannie und Freddie gerettet werden, weiss ich natürlich nicht. Und ob Hank Paulson bzw. sein Nachfolger tatsächlich in vollem Umfang direkt in die Notenbank-Kasse greifen müssen, und ob sie das offen oder verdeckt machen, weiss ich auch nicht. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie die beiden großen Hypothekenbanken direkt und damit eine ganze Reihe weiterer Finanzinstitute indirekt einfach so abstürzen lassen. Oder das sie auch nur eine Lösung wählen, die die Akteure an den Finanzmärkten darüber in Unsicherheit läßt, was ja noch schlimmer wäre. Ich glaube, sie werden ein ziemlich deutliches Zeichen setzen, und dieses Zeichen wird vermutlich krass inflationäre Folgen haben. Auf kurze Sicht zumindest.
Das stellt aber weder für Bernanke noch irgendeinen anderen Politiker ein großes Problem dar, weil mit Inflation hatten die Amis noch nie Sorgen. Der Durchschnittsamerikaner kann mit den Geldwertängsten etwa der Deutschen schlicht überhaupt nichts anfangen. Warum auch? Geld wird unmittelbar konsumiert oder investiert, also warum sich darüber den Kopf zerbrechen, was es übermorgen noch wert ist?
Daher werden US Politiker und Notenbankpräsidenten niemals einen deflationären Schuldenkollaps im Hier und Heute riskieren, weil morgen und übermorgen vielleicht Geldvermögen nur noch die Hälfte wert ist. Das könnten sie der Bevölkerung schlicht nicht erklären, vor allem nicht im Wahlkampf für das US Präsidentenamt.
So oder so, es dürfte sich lohnen, das aktuelle Wochenende im Kalender anzustreichen und sich das eine oder andere Memento anzufertigen, denn vielleicht wird man sich in nicht allzuferner Zukunft mit Wehmut daran zurückerinnern wollen. |