LV arbeiten immer auf MEHREREN Zeitskalen:
1) Im Nanobereich analysieren hocheffiziente Algorithmen die Veränderung des Volumens im Orderbuch und beziehen diese Daten auf den Kursverlauf.
2) Daytrading: Es gibt zwei komplementäre Techniken:
a) Algorithmisch kontrollierte kontinuierliche kleine Veränderungen des Orderbuchs. b) Plötzliche Attacken "von Hand".
Beide Techniken, automatisches und händisches Trading werden in Trading-Schulen getrennt unterrichtet.
Beim algorithmischen Trading wird der Kursverlauf in mehreren zeitlichen Größenordnungen maschinell interpretiert: Grundlage der Berechnung ist ein Kursziel, das bei konstant ausgeglichenem Orderbuch in einem linearen oder logarithmischen Verlauf erreicht würde. Schwankungen durch Käufe und Verkäufe anderer Marktteilnehmer werden daran gemessen und entsprechend abgedämpft oder verstärkt. Dabei wird ständig das bisher investierte Volumen gemessen: Wenn der Kurs zu schnell steigt und es zu teuer wird, ihn durch kontinuierliche Eingriffe zu drücken, greift ein Trader nach Absprache mit seinem Chef zur "Attacke", deren hohes Volumen allerdings vorher eine genaue Kalkulation des zu erwartenden Effekts voraussetzt. Dabei gibt es für den LV immer das Risiko sogenannter "Iceberg-Orders", die gerade unterhalb der Schwelle des einsehbaren Orderbuchs liegen und die Effizienz einer Attacke erheblich limitieren.
3) Woche/Monat: Wenn ein Kurs nach einer Phase extremer Volatilität durch die allgemeine Verunsicherung bei niedrigem Volumen nur noch seitwärts verläuft, bringt es den LV nichts, immer weiter zu drücken. Es braucht kurze Erholungsphasen, um das Volumen wieder aufzubauen. Der Kurs darf steigen, was zu den Schwankungen führt, die für die Stillhalter so lukrativ sind.
So wie die LV auf mehreren Zeitebenen analysieren und shorten, so kaufen sie auch zurück: Es ist vollkommen unsinnig, anzunehmen, dass die dummen LV den Kurs zum Zeitpunkt der Leihe später nicht ohne Verlust überschreiten können: Billig zurückgekaufte Aktien können immer wieder erneut zum Shorten benutzt werden, solange das Delta zwischen Verkauf und Rückkauf stimmt. Wenn allerdings der Kaufdruck zu stark wird, werden sie langsam, sehr(!) langsam zurückkaufen. Ein Short squeeze wird fast immer verhindert, selbst bei Shortquoten von 60-80%.
Noch etwas zur Leihgebühr: Die ist bei Wirecard gerade sehr gering (0.88$/Jahr). Die Zeit läuft wenn überhaupt nicht wegen der Leihgebühr gegen die Shorts, sondern wegen des fundamentalen Wachstums der Firma und dem Risiko, von guten WDI Neuigkeiten immer wieder überrascht zu werden. Andererseits spielen die momentanen politischen Risiken und die hohen, z.T. überheizten Indizes potentiell den LV in die Karten.
Soweit die (ziemlich gewaltsam verkürzte) Theorie, die Praxis ist natürlich unendlich viel komplizierter. Klar müssten alle diese Andeutungen differenziert und ergänzt werden. Mir ging es nur darum, dass man die professionelle Planung der LV nicht verstehen kann, wenn man auf einer Zeitskala argumentiert.
Wer sich für die Denk- und Arbeitsweise der LV interessiert, kann auf Youtube einige Interviews mit Mike Bellafiore anschauen. Sie geben einen seltenen Einblick in diese Welt.
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