aus "Süddeutsche Zeitung" 26.06.2004
Brüssel muss für Alstom die Weichen stellen
Ringen um die Zukunft des Industriekonzerns EU-Kommission will vor der Sommerpause entscheiden / Ex-Chef Bilger sieht sich als Sündenbock / Siemens kann warten
Paris - Die massiven Interventionen der französischen Regierung im Fall Alstom haben zu Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis geführt. Nachdem der Pulverdampf verzogen ist, bleibt die Frage, inwieweit ein Einstieg bei Alstom für Siemens nicht unkalkulierbare Risiken bergen würde.
Von Gerhard Bläske Noch vor der Sommerpause will die EU-Kommission ihre endgültige Zustimmung zu dem Milliarden-Rettungsplan für Alstom mit staatlicher Unterstützung geben. Dabei muss sie noch eine Reihe von offenen Punkten klären, die die Weichen für die Entwicklung des Unternehmens entscheidend stellen können. Noch ist beispielsweise nicht klar definiert, was Brüssel genau unter den ¸¸strategischen Partnerschaften" versteht, die Alstom eingehen soll. In Frankreich sieht man die Frage dieser Allianzen bisher sehr locker. Auch die Frist für den Abschluss solcher Allianzen ist nicht festgelegt worden: Sie könnte noch von den vorgesehenen vier auf zwei Jahre verkürzt werden. Diese Punkte sind von großer Bedeutung bei der Klärung der Frage, ob trotz der Staatshilfen fairer Wettbewerb sichergestellt werden kann.
Feindliche Äußerungen Trotz feindseliger Äußerungen aus Paris im Hinblick auf einen möglichen Siemens-Einstieg bei Alstom, ist den Deutschen dieser Weg nicht grundsätzlich verbaut. Es gab bereits mehrmals Gespräche. ¸¸Von Dezember 2002 bis Februar 2003 hatten wir intensive Verhandlungen mit Siemens. Siemens sollte uns ein freundliches Übernahmeangebot für die Energieproduktion machen. Wenn die Offerte attraktiv genug gewesen wäre, hätte es damals kein Problem gegeben. Sie wäre akzeptiert worden. Aber wir hatten nicht das Gefühl, dass es bei Siemens einen klaren und deutlichen Willen gab, ein überzeugendes Angebot zu machen. Sie haben vielleicht nicht abschätzen können, wie wichtig das für uns war, weil wir unter dem Druck der Banken standen", sagt Pierre Bilger, der inzwischen geschasste, damalige Alstom-Chef, zur Süddeutschen Zeitung. Das Zögern von Siemens stößt in Frankreich vielfach auf Unverständnis. Das liegt wesentlich daran, dass in deutschen Privatunternehmen solch riskante Entscheidungen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen werden, in Frankreich aber strategische Ansätze oft entscheidend sind. Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy und sein Vorgänger Francis Mer hätten keine Probleme damit gehabt, den profitablen staatlichen Nuklearkonzern Areva mit der todkranken Alstom zusammen zu bringen. Doch die energische Areva-Chefin Anne Lauvergeon fürchtete, ihr Konzern könnte dadurch in den Abgrund gerissen werden. Der geplante Börsengang wäre aus der Sicht von Finanzkreisen nicht mehr machbar gewesen. Lauvergeon konnte die Operation verhindern. Bilger bedauert dies. Ein weiterer Versuch, Alstom zwischen Siemens und Areva aufzuteilen, scheiterte dann Anfang dieses Jahres. Ex-Alstom-Chef Bilger sieht sich als ¸¸Sündenbock" in der Affaire. Der heutige Rentner wirkt bitter, wenn er auf seine zwölf Jahre an der Spitze von Alstom zurück blickt. Er hat ein Buch geschrieben, ¸¸um meine Version der Angelegenheit darzustellen, aber auch um das Erlebte während der letzten Zeit bei Alstom und danach zu verarbeiten."
Falscher Instinkt Bilger räumt ein, beim Kauf der Gasturbinen GT24/26 von ABB, der für Alstom zum Milliardengrab werden sollte, nicht den ¸¸richtigen Instinkt" gehabt zu haben. Den staatlichen Rettungsplan rechtfertigt er damit, dass es ¸¸sich nur um einen außergewöhnlichen Unfall handelt, der aus der technischen Panne einer Maschine resultiert, mit dramatischen Konsequenzen für ein im Kern gesundes Unternehmen." Bilger ist überzeugt, dass Frankreichs Steuerzahler, nicht wie bei so vielen anderen Unternehmen (Crédit Lyonnais, Bull) die Rechnung zahlen: ¸¸Die Steuerzahler gewinnen dabei." Der Staat, der vorübergehend eine Beteiligung von bis zu 31,5 Prozent übernehmen kann, hat nach Bilgers Einschätzung als Feuerwehrmann gehandelt. ¸¸Wenn Siemens wirklich interessiert ist, dann sollen sie doch ein Übernahmeangebot machen. Alstom kann selbst mit der Minderheitsbeteiligung des Staates übernommen werden." Ähnlich argumentieren auch Nachfolger Patrick Kron und dessen Finanzvorstand Philippe Jaffré, die mit unflätigen Bemerkungen über Siemens, auch in Paris für Verärgerung sorgten. ¸¸Siemens erzeugt den Eindruck, von der Finanzkrise bei Alstom profitieren zu wollen, um so zu bekommen, was sie auf freundschaftlichen Weg nicht erreicht haben", meint Bilger. Doch Siemens ist weder an den Werften, noch - aus wettbewerbsrechtlichen Gründen - an der Transportsparte von Alstom interessiert. Eine sinnvolle Ergänzung wären allenfalls die Dampfturbinen. Aufgrund des intensiven Konkurrenzkampfes und großer Überkapazitäten in der Branche, ist ohnehin mit einer Konsolidierung zu rechnen. Wahrscheinlicher als das Verschwinden von Siemens ist dabei das Ende von Alstom. |