Interview "Cargo-Krisen bleiben eher in Erinnerung als Cargo-Rekorde" Exklusiv für airliners+ Abonnenten Während der Pandemie boomt das Luftfracht-Geschäft, doch die neue Lufthansa-Cargo-Chefin Dorothea von Boxberg stellt das Unternehmen auf langfristige Profitabilität ein. Ein Interview über "Prachter", eine Cargo-Einheitsflotte und Änderungen im Streckennetz sowie beim Vertrieb.
Von Andreas Spaeth
1. Juni 2021, 12:30 Uhr
Lufthansa Cargo konnte während Corona als einzige Airline einen Gewinn zum Lufthansa-Konzernergebnis beisteuern. Die neue Chefin warnt im Interview dennoch bereits vor der nächsten Delle im volatilen Frachtgeschäft - und stellt die Frachtsparte neu auf. Ein Gespräch über Flotte, Netz und Vertrieb.
airliners.de: Sie fliegen bald mit 14 Boeing 777-Frachtern, die MD-11 scheidet aus. Bei der guten Lage im Frachtmarkt und Ihrem großen Beitrag zum Lufthansa-Konzernergebnis – sind da nicht noch mehr Flugzeuge drin?
Dorothea von Boxberg: Heute kann ich zum ersten Mal sagen: Bald sind sogar fünfzehn Triple-Seven für unsere Kunden unterwegs. Die zusätzliche Frachtkapazität können wir definitiv gut gebrauchen und die 777F ist auch über den aktuellen Nachfrageboom hinaus ein sehr profitables Flugzeug. Ungefähr die Hälfte aller Frachter weltweit sind derzeit ältere Boeing 747 oder MD-11, dagegen hat die 777F einen enormen Stück- und Tripkosten-Vorteil.
Ein Vorteil, auch nach Corona?
Selbst wenn die Erträge wieder mal in den Keller gehen sollten, müssten wir mit der 777F auf der sicheren Seite sein. Bei einer reinen MD-11-Flotte hatte die Volatilität des Luftfrachtmarkts stärker auf unser Ergebnis durchgeschlagen, mit der 777-Flotte hoffen wir auch bei wieder schwächerem Markt oberhalb der Verlustzone bleiben zu können. Das war bei der jüngsten Anschaffung ein ganz entscheidendes Argument und ich freue mich sehr, dass auch unsere Nummer 15 noch in diesem Jahr fliegen wird.
Wie wirkt sich die reine 777-Flotte auf die Abläufe bei Lufthansa Cargo aus?
Mit der Einheitsflotte können wir effektiver arbeiten, zumal die MD-11 etwas in die Jahre gekommen war. Wir hatten mit ihr Zeiten, in denen sich die technischen Ausfälle häuften, weshalb wir nicht immer mit der nötigen Zuverlässigkeit bei unseren Kunden punkten konnten, zumal die Ersatzteilbeschaffung bei einem nicht mehr so gängigen Flugzeug schwierig sein kann. Die jetzt 16 Blockstunden pro Tag unserer Boeing 777-Frachter waren mit der MD-11 schlicht nicht zu erzielen, dort waren wir mal bei etwa zwölf und derzeit bei nur noch drei Flugzeugen sind wir bei acht Stunden Einsatzzeit am Tag.
Fliegt Lufthansa Cargo durch das Ausscheiden der MD-11 in Zukunft weniger Destinationen an?
Ja, wir haben vor allem auf Asien- und Nahost-Routen Zwischenstopps herausgenommen, zum Beispiel Aschgabat oder früher schon Nowosibirsk, die wir überwiegend aus technischen Gründen im Flugplan hatten und nicht wegen des Frachtaufkommens. In Südamerika fliegen wir weiter die sogenannte "Milchkannen-Route" mit fünf Destinationen in einem Umlauf. Einen langjährigen Stopp auf dem Weg nach Südamerika nehmen wir aus dem Flugplan, Dakar, denn die Boeing 777-Frachter schaffen es ohne diese Zwischenlandung – und Dakar ist weiter über Beiladung auf Passagierflügen angebunden, denn da gab es auch eigenes Aufkommen. Wir haben auch den Nairobi-Johannesburg-Frachterdienst eingestellt, weil wir jetzt einfach weniger Flugzeuge haben. Nach der Flottenerneuerung haben wir in etwa die gleiche Tonnage wie zuvor, was aber heißt, dass wir viel weniger Frequenzen pro Woche fliegen können. Rechnerisch ersetzt eine Boeing 777 gut anderthalb MD-11 wegen ihrer höheren Kapazität und Reichweite.
Über die Interview-Partnerin
Dorothea von Boxberg ist studierte Wirtschaftsingenieurin und arbeitet seit 2005 in der Luftfahrt, zunächst im Bereich Strategie bei der Star Alliance. 2007 wechselte sie zur Lufthansa, erst ins Ressort Strategie und Beteiligungen, ab 2012 war sie für die Passagiererfahrung zuständig. Seit 2015 ist sie bei Lufthansa Cargo und dort seit 2018 im Vorstand. Seit März 2021 amtiert sie als erster weiblicher CEO der Frachtsparte.
Sind Sie seit Ihrer Zeit bei der Lufthansa-Passage nach sechs Jahren bei Lufthansa Cargo und drei Monaten als Chefin der Frachtsparte schon zur "Cargonautin" geworden, wie sich ja viele hier nennen?
Ja, da würde ich mich absolut dazuzählen. Man trifft die "Cargo-Bullen" und die Spediteure und kriegt schnell den "Stallgeruch" von Fracht. An Bord der Frachtsparte ist alles etwas rustikaler als in der Passage, das trifft auf alle "Cargonauten" zu. Die Belegschaft muss hier ständig mit Extremen umgehen. Das Geschäft ist sehr volatil, entweder man liegt weit über der Planung oder es ist Krise, darauf muss man ständig reagieren. Ich glaube, das ist ein bisschen unmittelbarer als in der Passage, wo die Ausschläge, abseits von Corona, eben nicht so extrem sind wie bei der Fracht.
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Das ist die neue Chefin für Lufthansa Cargo Man muss Sie ja fast beglückwünschen, dass sie rechtzeitig vor der Mega-Krise bei Passagierflügen in den jetzigen Boom-Bereich Fracht gewechselt sind...
In meinen sechs Jahren bei der Fracht habe ich schon zwei Krisen hinter mir. Die Erste war direkt als ich kam 2015, die zweite 2019. Allerdings muss ich die Wahrnehmung auch innerhalb des Konzerns, hier sei immer Krise, korrigieren, denn 2017 und 2018 waren Rekordjahre bei uns, wenn auch nicht auf dem unvergleichlichen aktuellen Niveau. In der allgemeinen Wahrnehmung bleiben die Krisen oft mehr in Erinnerung. Im Moment ist es natürlich schön in der Frachtsparte und in einer Krisensituation der Teil des Konzerns zu sein, der durch Arbeit seinen Beitrag zum ansonsten sehr schwierigen Konzernergebnis leisten kann. Konzernweit ist jetzt klar: Unsere Frachter sind auch eine Hilfe bei den aktuellen Einbrüchen im Passagiermarkt.
Mussten Sie die vorhandenen Prozesse der Cargo stark wandeln, um unter Corona-Bedingungen so erfolgreich sein zu können?
Wir hatten mit dem Zeitpunkt der Krise viel Glück, weil wir gerade Ende 2019 das digitale Preissystem eingeführt hatten. Vorher mussten noch Menschen für alle ad hoc zu verschickenden Frachtsendungen die jeweiligen Frachtraten berechnen. Das wäre in der Corona-Zeit sehr schwierig gewesen. Im April 2020 haben wir die digitalen Preise dann in viele weitere Märkte gebracht und das hat uns diese Zeit sehr viel einfacher gemacht. Während andere Anbieter vermutlich gerade wegen Problemen mit dem Vertrieb eher auf Frachtcharter gesetzt haben, konnten wir weiter Einzelverkauf anbieten – wenn auch die Kapazität eher knapp war.
Aber es gab doch auch Probleme, oder?
Durch den Wegfall der meisten Frachtkapazität auf Passagierflügen im vergangenen Jahr hat uns zeitweise fast die Hälfte der üblichen Kapazität gefehlt. Was aber die ganze Industrie gerade so profitabel macht, ist die Tatsache, dass die Frachträume der Flieger rappelvoll sind. In der Vergangenheit ist gerade auf Passagiermaschinen auch einiges an Luft geflogen, oft zu Destinationen, die für Luftfracht uninteressant sind. Und dass bei erhöhter Nachfrage und knapperem Angebot die Frachtpreise gestiegen sind.
© Lufthansa, Lesen Sie auch: Lufthansa-Cargo-777 bekommen Haifischhaut Welche Rolle spielen bei Lufthansa Cargo umgerüstete Passagierflugzeuge, die sogenannten "Prachter"?
Die Lufthansa Passage hatte letztes Jahr zeitweise bei zehn Airbus A330 die Passagiersitze weitgehend entfernt, vor allem um Schutzausrüstung zu transportieren. Aber das war ein Sonderfall, denn schon aus logistischen Gründen ist das nicht wirklich attraktiv – wiegen Frachtstücke doch in der Regel gern mal eine halbe Tonne. Sie lassen sich nicht einfach durch eine Kabine tragen, die kein Rollensystem wie ein Frachtflugzeug hat.
Fliegen aktuell immer noch umgebaute Passagierflugzeuge Fracht für den Lufthansa-Konzern?
Im Moment fliegen wir noch einen umgebauten "Prachter", eine Boeing 777-200 von Austrian Airlines auf der Strecke Nanjing-Wien. Wir nutzten zudem von Lufthansa den A340-300 für Frachttransporte nach Shanghai. Hier transportieren wir auch noch Fracht in der Kabine auf den Sitzen. Nach Chicago und Viracopos in Brasilien fliegen wir mit der A340-300 nur mit Belly-Load. Es sind dennoch reine Frachtflüge, da Passagiere nicht auf diese Flüge gebucht werden können.
Frau von Boxberg, vielen Dank für das Gespräch.
https://www.airliners.de/...cargo-krisen-erinnerung-rekordjahre/60707 |