„Fast schon skandalös“: Adler Group gerät wegen stockender Großbaustellen unter Druck Zahlreiche Prestigeprojekte des Wohnungskonzerns Adler Group stehen still, teilweise seit Jahren. Politiker, Geschäftspartner und Eigentümer sind mit ihrer Geduld am Ende. René Bender Felix Holtermann Kerstin Leitel Lars-Marten Nagel Michael Verfürden 06.11.2021 - 08:00 Uhr Kommentieren 5 x geteilt Das Gerippe des Hochhauses ist seit Jahren in ein Baugerüst verpackt. Quelle: Lars-Marten Nagel / HB Berlin am Steglitzer Kreisel Das Gerippe des Hochhauses ist seit Jahren in ein Baugerüst verpackt. (Foto: Lars-Marten Nagel / HB) Berlin, Düsseldorf, Frankfurt Wie ein gigantisches Skelett erhebt sich der Steglitzer Kreisel im Süden von Berlin. Der Wind pfeift durch das entkernte Hochhaus, das bis in die 29. Etage eingerüstet ist. Im Himmel über der Hauptstadt sollen moderne Wohnungen entstehen, verkündet das Bauplakat: „Fertigstellung voraussichtlich Ende 2021“. André Gaufer, Geschäftsführer der Profinance GmbH aus Berlin, quittiert das Schild mit einem Schulterzucken.
Der Unternehmer kaufte im Oktober 2018 eine Wohnung in dem Turm. Zentrale Lage, Fahrradaufzug, Tiefgaragenplatz – so wollte Gaufer in der 19. Etage investieren. Doch daraus wird nichts.
Im März 2020 stoppten die Arbeiten, angeblich wegen Corona, sagt Gaufer: „Seitdem ruht die Baustelle.“ Die Adler Group, der das Hochhaus-Skelett gehört, widerspricht: Unterirdisch werde im Sockel gearbeitet. Neuer Termin für die Fertigstellung: 2024.
Der Steglitzer Kreisel hätte ein Vorzeigeprojekt von Adler werden können, stattdessen entwickelte er sich zu einer Dauerbaustelle. Für den Luxemburger Konzern ist das eine schlechte Nachricht. Adler steht nach einer Shortseller-Attacke unter Druck und will seine Schulden reduzieren, plant deshalb fast die Hälfte seines Portfolios zu verkaufen – etwa 30.000 Wohnungen.
THEMEN DES ARTIKELS Baukonzerne Immobilien Adler Real Estate Ado Properties Mit jeder Bestandswohnung, von der sich Adler trennt, werden Zukunftsprojekte wie der Steglitzer Kreisel wichtiger. Der Konzern hat angekündigt, sich auf die Top-7-Städte zu fokussieren, zu denen auch Berlin gehört. Doch eine Recherche des Handelsblatts zeigt: Gerade die Projekte in den Großstädten scheinen kaum voranzukommen.
Düsseldorf: Auf Kriegsfuß mit Adler
Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller nimmt den Namen Adler nicht in den Mund, aber jeder weiß, wer gemeint ist. Die Landeshauptstadt habe zu den meisten Immobilienfirmen „ein gutes Verhältnis“, sagt der CDU-Politiker bei der Grundsteinlegung des Projekts „Grand Central“ am Dienstag. Dass die Flächen hinter dem Hauptbahnhof nun schon seit Jahren brach liegen, sei aber „fast schon skandalös“ – vor allem, wenn sie „möglicherweise als Spekulationsobjekt betrachtet“ würden.
Auf der Baustelle im Zentrum Düsseldorfs sollten längst 1000 Wohnungen stehen. Die schwedische Catella Group kaufte das Grundstück 2015 und erhielt 2018 die Baugenehmigung. Im September 2019 holte sie für große Teile des Projekts die CG-Gruppe des Berliner Unternehmers Christoph Gröner ins Boot – in der Hoffnung, der prominente Partner könne den Bau beschleunigen.
Es wurde nicht einfacher, sondern komplizierter. Die CG-Gruppe, eine Tochterfirma des Berliner Projektentwicklers Consus, sollte kurz darauf in der Adler Group aufgehen. Der Konzern ging aus einer komplexen Fusion zwischen den Immobilienunternehmen Adler Real Estate AG, Ado Properties und Consus hervor. Gröner schied aus der Gruppe aus.
Von den Vereinbarungen mit dem Berliner Bauunternehmer sei letztlich „kaum etwas“ übrig geblieben, sagt Catella-Manager Klaus Franken bei der Grundsteinlegung des „Grand Central“. In „Düsseldorfs bekanntester Baugrube“ gebe es bis heute „im Grunde nichts zu sehen“. Franken versichert seinen Gästen: „Noch mal würden wir den Vertrag nicht machen.“
Jetzt will Catella zumindest die 147 Sozialwohnungen bauen, für die das Unternehmen noch verantwortlich ist. Oberbürgermeister Keller sagt in seiner Rede auf der Catella-Veranstaltung, er hoffe, dass der andere Eigentümer „bald ein ähnliches Commitment“ zeige. Viel Zeit bleibt Adler nicht mehr. Die Baugenehmigung läuft im nächsten Jahr aus.
Adler begründete die Verzögerungen mit der Pandemie und witterungsbedingten Baupausen. Im Juni 2021 beteuerte die Gruppe, dass das Projekt „in Bewegung“ sei. Doch das Handelsblatt traf auf dem Areal Mitte Oktober nur Obdachlose an, die dort campierten. Düsseldorf hatte statt des dringend benötigten Wohnraums einen neuen sozialen Brennpunkt bekommen. Sein Spitzname: „Grand Hole“.
Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) appellierte bei der Grundsteinlegung: „Es muss jetzt bauen statt spekulieren heißen.“ Quelle: Michael Verfürden Grand Central Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) appellierte bei der Grundsteinlegung: „Es muss jetzt bauen statt spekulieren heißen.“ (Foto: Michael Verfürden) Im Rathaus der Landeshauptstadt ist man Kummer mit Adler gewohnt. Der Luxemburger Konzern steht hinter sieben Projekten mit einem Volumen von bis zu 5000 Wohnungen. Dazu gehört unter anderem der „Upper Nord Tower“ in Derendorf, die Industriebrache „Südlich Hildener Straße“ in Benrath und das „Glasmacherviertel“ in Gerresheim. Alle drei Baustellen stehen still.
Nun ist Düsseldorf die Enttäuschungen offenbar leid. Auf Anfrage heißt es, dass die Stadt Baurecht schaffe und genehmige, „damit auch schnell gebaut wird und die dringend benötigten Wohnungen verfügbar werden“. Die Adler-Pläne würden teils nicht mit den „städtischen Forderungen“ übereinstimmen, teils würden Verfahren trotz „intensiver Gespräche“ ruhen.
Der Ton aus dem Rathaus wird schärfer, ein weiteres Debakel wie beim „Grand Central“ soll es nicht geben. Eine Sprecherin teilte mit, dass die Stadt die Adler Group erst kürzlich darauf hingewiesen habe, dass „anstehende Verfahren zunächst zu Ende“ geführt werden müssen. Ansonsten könne nicht andernorts „am Baurecht weitergearbeitet werden“. Adler äußerte sich auf Anfrage des Handelsblatts weder zu dem Ärger in Düsseldorf noch zu den Problemen in den anderen Städten.
Stuttgart: Drei Jahre für ein Musterzimmer
Auch im Rohbau des Fellbacher Schwabenlandtowers ist es ruhig. So ruhig, dass sich zwischenzeitlich unter Naturschutz stehende Wanderfalken im Dach des Gebäudes niedergelassen haben. Gröners CG-Gruppe hatte das Gebäude im September 2018 gekauft, bevor sie in der Adler Group aufging. Der Konzern will in dem Turm 194 Wohnungen bauen.
Doch die Baustelle an der Grenze zu Stuttgart ruht seit nunmehr fünf Jahren. Ein Adler-Vertreter erklärte besorgten Bürgern im Juni 2021, dass der Schwabenlandtower „keine Ruine“ sei und schob die Schuld auf andere. „Zwänge auf dem Markt“ hätten den Fortschritt verzögert, die Pandemie zu einer „Entschleunigung, auch bei den Behörden“ geführt.
Lange Zeit war die einzige Bewegung eine Übung der Berufsfeuerwehr Stuttgart, die die Höhenrettung einer Person aus dem 25. Stock simulierte. Dann meldete sich Adler Ende Oktober mit einem Hoffnungsschimmer: Im Sockel des Turms, in dem ein Hotel einziehen soll, werde schon „in Kürze“ ein Musterzimmer fertiggestellt. Zurzeit warten alle auf den großen Baukran. Angekündigt für den Spätsommer, steht er im November noch immer nicht. Die ersten Mieter könnten nun frühestens 2023 einziehen.
Köln: Handwerker-Schreck Consus
Wo einst Motoren der Kölner Klöckner-Humboldt-Deutz AG vom Band liefen, will die Adler-Tochter Consus ein „neues, lebendiges Stadtviertel“ aus dem Boden stampfen. Für 360 Millionen Euro soll bis 2023 das Quartier „Cologneo“ entstehen. Doch auf dem Areal neben dem Messegelände herrscht seit Monaten Stillstand – genauso wie beim „Cologne Apart“ in unmittelbarer Nähe des Kölner Doms.
Wer nach den Gründen für die Probleme bei den Projekten sucht, muss abermals bei Gröner anfangen. Er hatte die Areale 2015 gekauft. Heute ist die Adler-Tochter Consus für die Projekte verantwortlich – zum Leidwesen der Stadt. Dort heißt es, der Baufortschritt sei in den laufenden Verfahren „deutlich verlangsamt“, in Planungsobjekten gar „weitgehend zum Erliegen gekommen“.
Viele stillstehende Adler-Baustellen waren einst Teil des Gröner-Reichs. Quelle: Gröner Christoph Gröner Viele stillstehende Adler-Baustellen waren einst Teil des Gröner-Reichs. (Foto: Gröner) Dass „die Realisierung der Vorhaben derart ins Stocken gerät“, so ein Sprecher, damit habe die Stadt nicht gerechnet. Deshalb seien auch keine Vereinbarungen „zur Realisierung der Vorhaben“ getroffen worden. Die Folgen für die Stadtentwicklung und den ohnehin schon „sehr engen Wohnungsmarkt“: gravierend.
Gravierend sind auch die Folgen für Baufirmen. Interne Dokumente, die dem Handelsblatt vorliegen, legen nahe, dass Consus im Frühjahr Rechnungen über fast 80 Millionen Euro frühestens mit drei Monaten Verspätung beglich. Betroffen sind auch Kölner Handwerker. Auf Erinnerungen, Bitten und Mahnungen sei nicht reagiert worden, berichteten Unternehmer damals in der Lokalpresse.
Ein Adler-Sprecher betonte, dass diese offenen Forderungen auf die CG Gruppe zurückgingen. Sie seien Gegenstand umfassender Prüfungen, von Erörterungen mit den Leistungserbringern und Rechtsstreitigkeiten. Einer der Kölner Bauunterunternehmer hat inzwischen seine eigenen Schlüsse gezogen: „Jetzt arbeite ich Gott sei Dank nicht mehr für die.“
Frankfurt: Warten auf Luxusapartments
Alles andere als planmäßig geht es auch bei einem Frankfurter Großprojekt zu. Im mondänen Stadtteil Westend sollen mit dem Neubauprojekt Grand Ouest 164 moderne Wohnungen entstehen. Im Frühjahr bis Sommer 2020 sollten die Apartments mit einer Größe bis zu gut 110 Quadratmetern fertiggestellt sein, hieß es ursprünglich.
Darauf warten die Käufer, die Preise von bis zu 10.000 Euro je Quadratmeter zahlen, bis heute. Brachten Wohnungskäufer zunächst noch Verständnis auf, als es hieß, die Pandemie sorge für Verzögerungen der Bauarbeiten, ist dies längst aufgebraucht. Dazu trägt auch die Kommunikation aus der Adler-Gruppe bei. Immer wieder werden die Investoren vertröstet.
Lautete die Ansage noch im April, dass die Arbeiten bis Oktober 2021 abgeschlossen sein würden, klang dies im Juli schon verhaltener. Man dürfe von einem regen Baustellenbetrieb und einem guten Vorankommen berichten, hieß es in einem Schreiben. Die aktuelle Planung sehe vor, dass „alle Wohnungen im Grand Ouest in diesem Jahr fertig werden“.
Laut Webseite der Adler-Tochter Consus sind bereits 90 Prozent der Wohnungen verkauft. Grand Ouest Laut Webseite der Adler-Tochter Consus sind bereits 90 Prozent der Wohnungen verkauft. Besuche auf der Baustelle lassen Käufer daran zweifeln. Keine 20 Bauarbeiter seien dort anzutreffen, berichtet einer, der regelmäßig vorbeischaut. Vor Ort habe er gehört, dass Firmen die Arbeiten eingestellt hätten, weil Consus nicht zahle. Auf seine Anfragen bei dem Unternehmen bekomme er schwerlich Rückmeldung, sagt der Käufer. Die zuständige Mitarbeiterin sei oft nicht erreichbar, reagiere erst nach zigfachen Versuchen auf Rückrufbitten und E-Mails. Er will nun rechtliche Schritte einleiten. Adler kommentiert das alles nicht.
Berlin: Ein Wohnungskäufer wehrt sich
André Gaufer ist schon einen Schritt weiter. Zum Einwurf seiner Klage nahm er einen Reporter mit zum Gericht. „Wohnung gekauft, nix passiert!“, schrieb das Blatt und erklärte Gaufer zum einsamen Kämpfer gegen die „Heuschrecke“. Gaufer ist wütend auf die Adler-Tochter Consus, der das Hochhaus am Steglitzer Kreisel gehört. Er sieht es so: „Ich soll Kröten schlucken, damit die Adler Group noch mehr Profit rauspressen kann.“
Als Gaufer im Oktober 2018 den Kaufvertrag beim Notar unterschrieb, war der Verkäufer noch Gröners CG-Gruppe. Der Bau ging zügig los. Nach zwei Monaten informierte der Projektentwickler: Der Rückbau der Bestandsfassade sei in vollem Gange. Ende 2019 ließ Gröner wissen: „Wir sind im Zeitplan.“ Ein Drittel der 330 Wohnungen sei verkauft.
Doch als die CG Gruppe in der Adler Group aufging, erinnert sich Gaufer, habe sich alles geändert. Die neuen Eigentümer hätten sich nicht vorgestellt. Mehrere Anfragen, wie es weitergehe, seien unbeantwortet geblieben, klagt Gaufer. Aus der Lokalpresse habe er erfahren, dass mit einer Verspätung des Wohnungsbaus von zwei Jahren zu rechnen sei.
Die Adler-Tochter Consus verspricht den Steglitzern „ein Lebensgefühl wie in Manhattan“ . Quelle: Lars-Marten Nagel / HB Tristesse statt neuem Glanz Die Adler-Tochter Consus verspricht den Steglitzern „ein Lebensgefühl wie in Manhattan“ . (Foto: Lars-Marten Nagel / HB) Damit nicht genug, Adler wollte auch den geschlossenen Vertrag neu diktieren. Bei Gaufer meldete sich der Notar, er solle einen Nachtrag unterschreiben. Die Änderungen hatten es in sich: Garagenplatz und Fahrradaufzug sollte es nicht mehr geben, dafür einen Mobilfunkmast auf dem Dach. Statt Blockheizkraft nur Fernwärme.
Gaufer weigerte sich. Seitdem führte er einen regen Schlagabtausch mit dem Anwalt der Verkäufer. Am Ende habe Adler ihn vor die Wahl gestellt, sagt Gaufer, entweder er unterschreibe oder trete vom Kaufvertrag zurück. Doch er weigere sich bis heute, beharre auf seinem Vertrag. Mit einer Klage will er die Einhaltung seines Notarvertrages gerichtlich durchsetzen. Der Ausgang ist offen.
Die Adlergruppe äußerte sich weder zur Klage von Gaufer noch dazu, wann der Steglitzer Kreisel fertig wird.
Adler und die Baustellen: Wie geht es weiter?
Der Mann, der es jetzt richten soll, heißt Bernd Schade. Die Adler Group hat den Manager vergangene Woche als neuen Vorstand präsentiert. Er folgt auf Jürgen Kutz, der den Konzern verlässt. Adler erwartet, dass Schade „die Führungsriege im Bereich Projektentwicklung verstärkt“. Sein offizieller Titel: Chief Development Officer.
Adlers Co-CEO Thierry Beaudemoulin nannte den Neuen einen „renommierten und erfahrenen Projektentwickler“. Er werde mit seiner Expertise und seiner ausgewiesenen Management-Kompetenz dazu beitragen, „die Projekte der Gruppe erfolgreich voranzutreiben“. Schade kam von der Berliner Bauwert AG und arbeitete zuvor unter anderem für Union Investment.
Seinen ersten Arbeitstag hatte er am Montag. Das Handelsblatt hätte den Manager gerne gefragt, wie er die Probleme in den Griff bekommen will. Für ein Gespräch sei es zu früh, teilte ein Sprecher der Adler Group mit, Schade müsse sich erst einarbeiten. Baustellen, so viel ist sicher, gibt es in seinem neuen Job genug. |