Der Umgang des Kremls mit Alexej Nawalny wird in der Bundespolitik scharf kritisiert zu Recht. Dass aber Stimmen, die deshalb ein Ende von Nord Stream 2 fordern, zur möglichen Produktion des Impfstoffs Sputnik V in Deutschland schweigen, ist scheinheilig. 66
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Immer, wenn in den deutsch-russischen Beziehungen etwas schlecht läuft, also de facto ständig, erhebt irgendwer die Forderung, Nord Stream 2 einzustellen. Besser gesagt, nicht zu Ende zu bauen. Denn neben der Gaspipeline Nord Stream 2 gibt es ja auch noch die Pipeline Nord Stream 1. Die ist fertig und in Betrieb; ihren Stopp hat noch keiner gefordert.
In diesen Tagen ertönt der Ruf nach diesem scheinbaren Sanktionsinstrument Nummer eins gegen den Kreml wieder besonders laut. Der Grund ist der Umgang Russlands mit dem Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Der soll, weil er angeblich gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat (zu einem Zeitpunkt, da er sich von einem Giftanschlag in Deutschland erholte), nun für mehrere Jahre ins Gefängnis. Ein absurder Vorwurf. Ein absurder Prozess. Zweifelsohne. Der Umgang des russischen Präsidenten mit jenen, die ihn kritisieren, ist der eines lupenreinen Anti-Demokraten.
LESEN SIE AUCH Alexej Navalny befand sich während der Anhörung vor Gericht in einem Glaskasten KREML-KRITIKER VERURTEILT Mehrere Jahre Straflager Jetzt ist die Zukunft der Nawalny-Stäbe ungewiss Beim heutigen Treffen des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell mit Putin ist Nawalny ein zentrales Thema, so viel ist bereits bekannt. Und womöglich wird auch die Pipeline zur Sprache kommen, die einige EU-Staaten ablehnen. Allerdings aus anderen Gründen als bei jenen deutschen Politikern, die ihr Ende fordern. Die baltischen Staaten etwa fürchten den Einfluss Russlands, die Abhängigkeit von russischem Gas. Solche Argumente kann man gelten lassen.
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Die Energieversorgung Deutschlands allerdings wird ohne Nord Stream 2 nicht zusammenbrechen. Die Forderung nach ihrem Ende ist demnach wohlfeil. Sie tut nicht wirklich weh. Sie ist zu einem Reflex erstarrt. Das wird besonders jetzt offenkundig, da sich Russland auf einem anderen Gebiet als Pionier präsentiert hat: bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs.
LESEN SIE AUCH Sputnik V wird seit fast zwei Monaten in Russland verimpft PUTINS IMPFSTOFF Jetzt ist sogar Sputnik V in Europas engerer Auswahl LESEN SIE AUCH Kombo Schuster Putin Jacques Schuster linkes Foto: Russian President Vladimir Putin leads a meeting via video conference in Moscow, Russia, Monday, Feb. 1, 2021. (Mikhail Klimentyev, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP)
MEINUNG ERFOLG FÜR SPUTNIK V Es ist fesselnd, Putin zu beobachten Anfangs wurde Sputnik V verlacht, nun wird er bewundert. Inzwischen hat sich herausgestellt, nach unabhängiger Prüfung, dass der Impfstoff zu 91 Prozent wirksam ist. Nun wollen ihn alle haben. Sogar von einer Produktion in Deutschland ist die Rede, in Dessau. Kritische Stimmen? Keine. Niemand kam bisher auf die Idee, hier einen Konnex zum Fall Nawalny herzustellen wie es bei Nord Stream 2 immer wieder getan wurde.
Weil der nämlich richtig wehtun würde. Jeder, egal ob Politiker, Wirtschaftsvertreter oder Journalist, profitiert potenziell von mehr Impfstoffen im Land. Davon ist die eigene Freiheit, das eigene Leben im Zweifel abhängig. Sputnik V ist Putins größter Trumpf, dagegen ist Nord Stream 2 vernachlässigbar. Wennschon, dennschon: Wer Nord Stream 2 beenden will, kann nicht die Lieferung russischer Impfstoffe beklatschen. |