Der schwierige Umgang mit den Überfliegern
Von Severin Weiland
Der Parteitagsbeschluss der Grünen zu den Überflugrechten war abgemildert worden, um der Regierung Handlungsspielraum zu geben. Doch es half alles nichts - der Streit um die deutsche Beteiligung an einem US-Angriff ohne Uno-Mandat spaltet die Koalition.
Berlin -Auf einem Zettel hatte Winfried Hermann rasch vier Zeilen gekritzelt, als er auf dem Hannoveraner Parteitag am Sonntag das Podium betrat. "Im Falle eines so genannten präventiven Angriffskrieges der USA ohne Uno-Mandat", las der Bundestagsabgeordnete seinen Antrag vor, stellten die Grünen "folgende Forderungen" an die Bundesregierung.
Und dann referierte der Parteilinke jene vier Punkte, die, wären sie ohne seinen Zusatz von den Delegierten verabschiedet worden, die Koalition wohl gesprengt hätte: Deutschland solle im Rahmen der europäischen Verbündeten einen "deutlichen Widerspruch" zur präventiven Selbstverteidigung formulieren, "umgehend" die ABC-Schützenpanzer aus Kuweit und Flotten-Einheiten am Horn von Afrika zurückziehen sowie Überflugs- und Nutzungsrechte von US-Stützpunkten auf deutschem Boden verweigern und einem Einsatz von deutschen Soldaten in Awacs-Aufklärern eine Absage erteilen.
Die Delegierten, müde von den vorausgegangenen Personalturbulenzen, stimmten mit großer Mehrheit zu. Kaum einer nahm wahr, dass mit dem einschränkenden Verweis auf das Uno-Mandat und dem Zusatz vom präventiven Angriffskrieg der ursprünglich viel unnachgiebigere Antrag des Kreisverbands Spandau wesentlich abgemildert worden war.
Doch auch mit der weichgespülten Formulierung manövrierten sich die Grünen in neue Probleme mit dem Koalitionspartner - und mit ihrem Außenminister. Sichtlich genervt kommentierte er am Dienstag das Statement der neuen Parteivorsitzenden Angelika Beer, wonach die Grünen nur im Falle eines Uno-Mandats Überflugrechte für die USA zustimmen würden. Eine "Debatte von gestern", sei das, schimpfte der Außenminister in Brüssel. "Alles, was in Zukunft geschieht, wird von der Uno-Resolution 1441 ausgehen Müssen." Diesen Standpunkt habe er bereits in der Grünen-Fraktion klargemacht.
In der Uno-Resolution 1441 wird die Offenlegung des irakischen Waffenpotenzials und der ungehinderte Zutritt von Inspekteuren festgelegt. Bei Verstößen wird Bagdad mit "ernsthaften Konsequenzen" gedroht. Ob es jedoch einen weiteren Uno-Beschluss vor einem Angriff bedarf, ist unklar. Fischer meinte dazu in Brüssel, hier sei die Resolution "unentschieden".
Die Frage der Überflugrechte allerdings ist ein heikles Feld - und hat das Potenzial, die Koalition zu sprengen. Der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler sagte nach Angaben von Radio Eins, Überflugrechte "werden auf jeden Fall gewährt. Das ist schon zugesagt". Eine Verweigerung von Überflugrechten bei einem US-Angriff ohne Uno-Mandat, wie es der Grünen-Parteitag am Wochenende gefordert habe, "unterscheidet sich von dem, was die Grünen-Regierungsmitglieder mitgetragen haben", sagte Erler.
Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte im Deutschlandradio Berlin, die USA seien Freunde. So sei es eine Selbstverständlichkeit, dass sie ihre Basen in Deutschland nutzen könnten. Die Frage nach deutscher Unterstützung mit Awacs- Aufklärungsflügen könne erst beantwortet werden, wenn klar sei, wo sie eingesetzt würden, welchen Auftrag sie hätten und ob es ein Uno-Mandat gebe.
Rätselraten um die Kanzler-Position
Dass Schröders Linie selbst seiner engeren Umgebung nicht vollends klar scheint, dieser Eindruck entstand auch am Montag in der Bundespressekonferenz: Befragt, ob die Bundesregierung in jedem Falle den Amerikanern die Überflugrechte gewähren würde, hatte Regierungssprecher Bela Anda erklärt: "So ist es." Wenig später allerdings schränkte der Sprecher des Auswärtigem Amtes, Walter Lindner, in derselben Sitzung die Feststellung Andas ein: Die Resolution 1441 sei für die Regierung "Grundlage allen Handelns". Anda wiederum versicherte dann, es geben keinen Grund anzunehmen, dass sich die USA nicht an den Beschluss des Uno-Sicherheitsrates halten wollten.
Schnell war in der Opposition von einer "passiven Beteiligung" die Rede. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Schmidt, verlangte am Dienstag vom Kanzler, in der Resolutionsfrage "endlich Klarheit" zu schaffen. Der CSU-Politiker hatte auf Seiten der Union zusammen mit Schäuble vor zwei Wochen bei der Unterrichtung durch den Kanzler teilgenommen. Schröder habe seitdem, so Schmidt, "bewusst oder unbewusst" offen gelassen, ob seine Zusage für die Überflugsrechte nur bei Vorliegen einer weiteren Uno-Resolution oder schon bei einer "festgestellten Verletzung" der Uno-Resolution 1441 und einem darauf folgenden Einsatz der USA und ihrer Bündnispartner gelte.
Das Hin und Her mit den Begrifflichkeiten ist keinesfalls Interpretationsspielerei für Völkerrechtler. Für die rot-grüne Regierung dürfte es schwierig werden, ihre strikte Haltung zu einem Nein gegen den Irak-Krieg zu begründen, wenn die USA im Sicherheitsrat den bestehenden Beschluss 1441 zu einem Angriff gegen den Irak heranziehen und die restlichen vier ständigen Mitglieder Frankreich, Großbritannien, Russland und China ihr darin folgen.
Ob sich bei einer neuen Beratung des Uno-Sicherheitsrats eine Begründung für ein Vorgehen gegen den Irak ableiten lässt, ist umstritten. Kommt sie nicht zustande, bedürfte es möglicherweise einer neuen Uno-Resolution. In diesem Falle besteht jedoch für die US-Regierung die Gefahr, dass sich am Ende die restlichen Mitglieder im Uno-Sicherheitsrat gegen ein Mandat für einen Krieg gegen Bagdad sperren.
Dann aber bliebe der US-Regierung nur ein Ausweg: der Angriff ohne Uno-Mandat. Eine solche Perspektive wird innerhalb der rot-grünen Koalition für unwahrscheinlich gehalten - brächte es doch die Weltordnung in gefährliche und unabsehbare Turbulenzen. Die Hoffnung, die US-Regierung möge sich im Falle des Irak an das Völkerecht halten, ist nur allzu verständlich. Täte sie es nicht und würde die Bundesregierung die Nutzung der US-Stützpunkte trotzdem gewährt, spätestens dann wäre wohl die rot-grüne Koalition am Ende.
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