Mehmet" darf zurück München. Der als jugendlicher Serienstraftäter bundesweit als "Mehmet" bekannt gewordene Jugendliche Muhlis A. darf in seine Geburtsstadt München zurückkehren. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) erklärte am 15. November 2001, es könne "nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass 'Mehmet' sein früheres Verhalten nach Rückkehr in das Bundesgebiet fortsetzen" werde. Ein gerichtspsychiatrisches Gutachten hatte ihm eine positive Persönlichkeitsentwicklung bescheinigt. Die Stadt München muß dem 17jährigen nun eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Der Junge war vor drei Jahren in die Türkei abgeschoben worden, nachdem er für eine Aufsehen erregende Serie von Gewaltdelikten verurteilt worden war. Die Stadt München verweigerte ihm darauf die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung - zu Unrecht, wie der Verwaltungsgerichtshof jetzt entschied. Seine Eltern blieben in München. Als Sohn eines türkischen Arbeitnehmers habe "Mehmet" nach dem europäisch-türkischen Assoziationsvertrag ein Aufenthaltsrecht. Die Stadt und der Freistaat kündigten eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht an. Eine Revision ließ der VGH nicht zu. (Az.: 10 B 00.1873) (esf)
BVerwG: "Mehmet" darf nach Deutschland zurückkehren Das Bundesverwaltungsgericht hat heute die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Fall "Mehmet" bestätigt. Danach darf der Ende 1998 im Alter von 14 Jahren in die Türkei abgeschobene und inzwischen volljährige "Mehmet" nach Deutschland zurückkehren. Er hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländergesetz (AuslG).
"Mehmet" ist 1984 in Deutschland geboren und in München aufgewachsen. Seine Eltern, die ebenso wie er selbst türkische Staatsangehörige sind, leben seit über 30 Jahren in Deutschland und sind im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Seit seinem 11. Lebensjahr hat "Mehmet" zahlreiche Straftaten begangen, für die er aber als strafunmündiges Kind strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Im Juli 1997 erhielt er nach zunächst genehmigungsfreiem Aufenthalt erstmals eine Aufenthaltserlaubnis. Sie wurde auf ein Jahr befristet und mit dem Hinweis erteilt, bei weiteren Straftaten werde sein Aufenthalt beendet. Nach neuen mit Gewaltanwendung verbundenen Straftaten wurde er im Mai 1998 ausgewiesen und ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht. Diese Ausweisung wurde später von der Widerspruchsbehörde aufgehoben. Als er nach Vollendung des 14. Lebensjahres im Juli 1998 erneut straffällig wurde, kam er in Untersuchungshaft. Daraufhin lehnte die Ausländerbehörde der Stadt München seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Im Oktober 1998 verurteilte ihn das Amtsgericht München zu einem Jahr Jugendstrafe wegen schweren Raubes und Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung; dagegen legten sowohl "Mehmet" als auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel ein. Nach erfolglosen Eilanträgen gegen die drohende Abschiebung wurde er im November 1998 aus der Haft in die Türkei abgeschoben.
Seine Klage gegen die Landeshauptstadt München wegen Versagung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis blieb in erster Instanz ohne Erfolg. Im Berufungsverfahren gab der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im November 2001 der Klage statt und verpflichtete die Landeshauptstadt München, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern. Der Verwaltungsgerichtshof vertrat die Ansicht, dass dem Kläger als Kind türkischer Arbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht in Deutschland auf Grund des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei zustehe. Nach dem im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten gehe derzeit angesichts der seitherigen Persönlichkeitsentwicklung und des straffreien Lebens in der Türkei keine erhebliche Gefahr erneuter Straftaten vom Kläger mehr aus; er bedürfe allerdings noch therapeutischer Hilfe und pädagogischer Betreuung. Gegen diese Entscheidung haben die Landeshauptstadt München und die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreterin des öffentlichen Interesses Revision zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Ergebnis bestätigt. Nach seiner Auffassung kann dabei offen bleiben, ob der Kläger nach Assoziationsrecht ein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat. Denn ihm steht bereits nach deutschem Ausländerrecht der geltend gemachte Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu. Als in Deutschland geborenem Kind türkischer Eltern, die über ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland verfügen, hätte ihm der weitere Aufenthalt nach § 21 Abs. 1 AuslG ermessensfehlerfrei nur unter ähnlich strengen Voraussetzungen versagt werden dürfen, wie sie für die Ausweisung von Minderjährigen aus dem Bundesgebiet vorgesehen sind. Nach der Bestimmung über den besonderen Ausweisungsschutz für Minderjährige (§ 48 Abs. 2 Satz 1 AuslG) darf eine Ausweisung nur verfügt werden, wenn der Ausländer – wie es im Gesetz heißt – "wegen serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden" ist. Diese vom Bundesgesetzgeber für die Aufenthaltsbeendigung durch Ausweisung getroffene Wertung konkretisiert den verfassungsrechtlichen Auftrag zum Schutz der Familie, insbesondere der zwischen Eltern und minderjährigen Kindern bestehenden Lebensgemeinschaft (Art. 6 Grundgesetz, ebenso Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention). Sie ist bei sog. faktischen Inländern wie dem Kläger auch bei einer Aufenthaltsbeendigung durch Nichtverlängerung der bisherigen Aufenthaltserlaubnis zu beachten. Die besonders hohen Anforderungen an die Aufenthaltsbeendigung für Minderjährige in derartigen Fällen waren und sind bei dem Kläger trotz seines schwer wiegenden Fehlverhaltens seit Erteilung der letzten Aufenthaltserlaubnis im Juli 1997 aber nicht erfüllt. Insbesondere weist die einzige im strafmündigen Alter begangene Straftat nicht die erforderliche besondere Schwere auf. Dies hat die Ausländerbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die Beendigung des Aufenthalts des Klägers nicht berücksichtigt.
Der Kläger "Mehmet" darf, da das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit der heutigen Entscheidung rechtskräftig wird, wieder nach Deutschland zurückkehren. BVerwG 1 C 8.02 – Urteil vom 16. Juli 2002
Zu den Fakten:
- Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) erklärte am 15. November 2001, es könne "nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass 'Mehmet' sein früheres Verhalten nach Rückkehr in das Bundesgebiet fortsetzen" werde. Ein gerichtspsychiatrisches Gutachten hatte ihm eine positive Persönlichkeitsentwicklung bescheinigt.
Hier hatten sich sowohl der "VGH" als auch das "gerichtspsychiatrische Gutachten" geirrt, ein Irrtum, der allerdings zum damaligen Zeitpunkt nicht erkennbar war und der sich erst im Nachhinein als Irrtum herausstellte. Man kann also davon ausgehen, dass Gerichte und Gutachter nicht unfehlbar sind, das wäre aber auch zu viel verlangt.
- Seit seinem 11. Lebensjahr hat "Mehmet" zahlreiche Straftaten begangen, für die er aber als strafunmündiges Kind strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.
§ 19 StGB / Jugendstrafrecht
Bei Straftaten, die Minderjährige begehen, müssen besondere strafrechtliche Regelungen in Betracht gezogen werden. Wichtigste gesetzliche Bestimmung ist zunächst der § 19 des Strafgesetzbuches (StGB), womit grundsätzlich von der Schuldunfähigkeit des Kindes ausgegangen wird. In seinem Wortlaut heißt es: "Schuldunfähig ist, wer bei der Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist." Aus der Strafunmündigkeit von Kindern unter 14 Jahren ergibt sich somit das Ausbleiben jeglicher strafrechtlicher Folgen. Pädagogische Maßnahmen sind dadurch jedoch nicht ausgeschlossen und können bei häufiger Strafauffälligkeit als Hilfen zur Erziehung nach dem KJHG ausgelegt werden.
- Nach der Bestimmung über den besonderen Ausweisungsschutz für Minderjährige (§ 48 Abs. 2 Satz 1 AuslG) darf eine Ausweisung nur verfügt werden, wenn der Ausländer – wie es im Gesetz heißt – "wegen serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden" ist. [...] Insbesondere weist die einzige im strafmündigen Alter begangene Straftat nicht die erforderliche besondere Schwere auf. Dies hat die Ausländerbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die Beendigung des Aufenthalts des Klägers nicht berücksichtigt.
Dass dieser "Mehmet" seine Eltern zusammengeschlagen haben soll/hat, seit Januar nahezu täglich mit Gewalt Geld von seinen Eltern erpresst haben soll/hat und seinen Eltern drohte: "Euer Tod wird aus meiner Hand kommen, ich bringe euch um, ich werde euch abstechen" - darüber hinaus diese niederschlug und auf seine hilflosen Eltern eintrat, das ist wirklich das Allerletzte und deshalb hat er mit Sicherheit eine Freiheitsstrafe verdient, die in der angemessenen Höhe von den Gerichten bestimmt werden sollte.
Weitere gerichtspsychiatrische Gutachten, die ihm eine positive Persönlichkeitsentwicklung bescheinigen werden, wird es hoffentlich nicht geben. Ob in vorliegendem Fall therapeutische Hilfe und pädagogische Betreuung als Maßnahmen zu einer Resozialisierung überhaupt noch sinnvoll erscheinen, das bezweifle ich, kann es allerdings nicht beurteilen, da ich nicht vom Fach bin (wie es manche hier zu sein scheinen).
Zu den gesetzlichen Aufgaben der Justiz gehört es, Personen, die eine Freiheitsstrafe verbüßen, die Chance zur Resozialisierung bieten. Das heißt, dass der Strafvollzug denjenigen Gefangenen, die sich mit ihrer kriminellen Vergangenheit kritisch auseinandersetzen und bereit sind, mitzuarbeiten, die größtmögliche Förderung und Betreuung gibt. Wer nicht bereit ist, dieses Angebot zu nutzen, der kann auch nicht auf besondere Förderung und Maßnahmen zur Resozialisierung setzen. Dazu gehören Hafterleichterungen und der Übergang in den offenen Vollzug, um die Gefangenen auf eine straffreie Zeit danach vorbereiten zu können. Trotz der damit verbundenen Risiken, dass nicht alle Gefangenen das in sie gesetzte Vertrauen erfüllen, schafft der Auftrag des Strafvollzugsgesetzes zur Resozialisierung nicht weniger sondern mehr Sicherheit (siehe JM-Broschüre "Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen").
Lange Schreibe kurzer Sinn: Wir haben Gerichte, die nicht unfehlbar sind, gerichtspsychiatrische Gutachten können sich im Nachhinein als falsch erweisen und manche Straftäter sind nicht bereit, sich mit ihrer kriminellen Vergangenheit kritisch auseinandersetzen. Möglicherweise hätte bei "Mehmet" nach den ersten Straftaten eine ordentliche Tracht Prügel Wirkung gezeigt, dazu ist es jedoch mittlerweile zu spät (und ob es tatsächlich geholfen hätte, das lässt sich schwer beurteilen). Dennoch sollte es hier nicht um "Hängt ihn höher" gehen oder "Law & Order-Manier", sondern darum, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und für die Zukunft die richtigen Entscheidungen zu treffen - ob die ARIVA-User dafür geeignet sind, das lassen wir einmal dahingestellt.
Dafür gibt es in Deutschland Gerichte und einen Justizapparat und keine "Erst schießen und dann fragen"-Mentalität - zum Glück! Jeder kann logischerweise seine Meinung zu diesem Fall äußern, mehr ist es allerdings nicht: Eine subjektive Meinung, die weder auf juristischem Sachverstand beruht noch umfassende Kenntnisse des maßgeblichen Zivil- und des Verfahrensrechts vorweisen kann - zum größten Teil jedenfalls (anwesende Juristen einmal ausgenommen).
Ciao!
PS Ich glaube nicht, dass ich an "Sozialromantik" leide oder einer "Kuschelpädagogik" das Wort rede, übertriebener Aktionismus kann es dagegen auch nicht sein.
PPS @bauwi, nein, ich spende nicht! ;-) |