USA entdecken riesige Gasvorkommen
Innovative Erschließungstechniken machen in den USA unerwartete Mengen an Energie zugänglich. Dank günstiger Verflüssigungsmethoden ist das Erdgas leicht transportierbar und drängt auf den Weltmarkt - das drückt die Preise, auch in Europa.
von Michael Gassmann (Düsseldorf) Für Rusty Ward, Finanzchef der University of Texas in Arlington, ist die unerwartet hohe Ergiebigkeit des Gasfelds Barnett Shale ein Glücksfall. Gut 100.000 Kubikmeter Erdgas dringen täglich aus den sechs Bohrlöchern, die neuerdings mitten auf dem Campus der Uni prangen. Mitte Januar nahm Ward für die Bohr- und Förderrechte den ersten Scheck der Explorationsfirma Carrizo Oil & Gas entgegen: 526.495 $. Weitere werden folgen. Barnett Shale ist nur ein Beispiel für eine Serie von neuen, riesigen Erdgasvorkommen in den USA, deren Förderung kürzlich aufgenommen wurde. "Unsere neue Erhebung der Gasvorräte zeigt ein außergewöhnlich starkes und optimistisches Bild der Gasversorgung unseres Landes", jubelte die US-Expertengruppe Potential Gas Committee vorige Woche. Höhepunkt überschritten Die Euphorie kommt nicht von ungefähr: Die Kommission verzeichnete 2008 den höchsten Anstieg der US-Gasvorräte in ihrer 44-jährigen Geschichte. Die nachgewiesenen Gasreserven lagen Ende des Jahres mit 58.800 Milliarden Kubikmetern immerhin 35 Prozent über der letzten Schätzung von 2006. "Neue Bohr- und Gewinnungstechniken erlauben uns einen immer besseren Zugang zu heimischen Gasreserven, die noch vor nicht allzu langer als unzugänglich galten", konstatiert die Kommission. Eine Handvoll Spezialfirmen wie Carrizo haben mit neuen Verfahren wie Horizontalbohren und dem Aufbrechen von gashaltigen harten Gesteinen durch Wasserdruck Vorkommen zugänglich gemacht, die früher niemanden interessierten - sogenannte unkonventionelle Reserven wie Barnett, Haynesville oder Marcellus Shale. Ein Drittel der US-Gasreserven entfällt bereits auf solche Schiefer- oder Kohleformationen. Technische Verbesserungen haben die Produktionskosten um bis zu 40 Prozent reduziert. Das macht diese Vorkommen interessant für die kommerzielle Nutzung. Kalkulierten die Explorationsfirmen bei unkonventionellem Gas vor zwei, drei Jahren noch mit 7 $ Kosten je Million Britische Wärmeeinheiten (BTU) - das branchenübliche Vergleichsmaß -, so seien sie nun auf 4 $ bis 6 $ je Million BTU gesunken, sagt Jochen Weise, Beschaffungsvorstand bei Eon Ruhrgas. Gas vom Schiff Dass sich die Deutschen für die neuen US-Gasquellen interessieren, ist kein Zufall. Sie hoffen, indirekt davon zu profitieren. Da das unkonventionelle Gas in den USA Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) verdrängt, sind Nachfrage und Preise im weltweiten LNG-Markt gesunken - in einer Phase, in der deutsche Konzerne wie RWE und Eon auf dem Sprung sind, dieses Geschäft in Europa auszubauen. Ihnen kommt zupass, dass parallel die Kosten der LNG-Transportkette - von der Verflüssigung des Gases über den Seetransport bis zur Wiederverdampfung im Bestimmungshafen - langfristig sinken. Größere Schiffe und raffinierte Kühltechnik haben sie seit den 70er-Jahren um die Hälfte gedrückt. Immer mehr Erzeugerländer wie Nigeria, Katar oder Trinidad steigen in das Geschäft ein. Inzwischen gibt es weltweit in 16 Erzeugerländern Verflüssigungsanlagen. Da viele Anlagen im Bau sind, ist absehbar, dass bis 2010 mit 60 Millionen Tonnen jährlich nochmals 35 Prozent mehr verarbeitet werden können - ein "beispielloser Anstieg der Verflüssigungskapazität", so Eon-Vorstand Weise. Der LNG-Weltmarkt wachse voraussichtlich um sieben Prozent jährlich, während herkömmliches Pipelinegas nur noch um 1,8 Prozent zulege. Seinen Marktanteil in Europa werde Flüssiggas bis 2020 auf 24 Prozent steigern, gegenüber heute 17 Prozent. Spanien deckt seinen Gasbedarf bereits zu 78 Prozent mit LNG. Gas aus der Röhre Deutschland ist von dieser dynamischen Entwicklung abgekoppelt. Weil die großen Vorkommen in Russland und Norwegen relativ gut erreichbar sind, gilt der Transport per Pipeline als günstiger. Deutsche LNG-Häfen gibt es noch nicht. Doch der Vorsprung von Pipelinegas schrumpft, und LNG wird als Ergänzung auch hier interessant - zumal der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine den Wunsch nach neuen Lieferanten beflügelt. Die damit verbundene Hoffnung, Gas möge letztlich billiger werden, ist in den USA bereits Realität. Kosteten eine Million BTU vor einem Jahr am US-Handelspunkt Henry Hub mehr als 13 $, so waren es diese Woche unter 4 $. Nicht nur das größere Angebot aus den unkonventionellen US-Quellen drückt das Preisniveau, sondern auch die sinkende Nachfrage. 2009 wird das erste Jahr nach fünf Jahrzehnten sein, in dem der weltweite Gasabsatz zurückgeht, prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA). Bleibe der US-Preis dauerhaft unter 4 $ je Million BTU, so sei vorgezeichnet, dass die Erzeugung von unkonventionellem Gas in den USA wieder sinke, erwarten die IEA-Experten. Sobald die Nachfrage wieder anzieht, haben die neuen Reserven und Flüssiggas aber nach Einschätzung von Energiemanagern wieder gute Perspektiven. "Die Rolle von LNG in Europa wird wachsen", sagt Stefan Judisch voraus, Chef der RWE -Beschaffungstochter Supply & Trading. |