Aggression im "Nahen Osten"(meine Worte in #50;-)): Der Wahnsinn an der Macht Israel kämpft gegen neue Gegner. Die Radikalislamisten von heute verfolgen keine rationalen Ziele. Dagegen hilft nur ein altes Rezept: Eindämmung. Von Josef Joffe Dieser Krieg ist anders als die Nahost-»Klassiker« von Suez bis Jom Kippur. Er führt zurück an den mörderischen Anfang, der überwunden schien – zum Mai 1948, als fünf arabische Armeen in Israel einfielen, um die »Juden ins Meer zu treiben« und die Beute unter sich aufzuteilen. Seitdem haben sich die meisten Araber-Staaten mit Israel arrangiert, sogar per Friedensschluss. Und jetzt? Lassen wir Hassan Nasrallah sprechen, den Führer der Hisbollah, der diesen Krieg am 9. Juli im Auftrag von Iran angezettelt hat. »Israel ist ein Krebsgeschwür in dieser Region«, dozierte er schon 2000, kurz bevor die Israelis den Südlibanon räumten, und »wenn ein Karzinom entdeckt wird, muss es ausgemerzt werden«. Das »besetzte Palästina«, ließ er gerade wissen, sei nicht das Westjordanland, sondern Israel. Gleichlautend der Oberste Führer Irans, Ali Chamenei: »Die Zionisten sind ein satanisches Krebsgeschwür und Israel ein infektiöser Fötus für alle Muslime der Welt.« In den Köpfen dieser »Chirurgen« von Gottes Gnaden geht es nicht um die Palästinenser, schon gar nicht um einen Deal, der ihnen einen Staat verschafft. In Wahrheit geht es gegen Palästina – gegen Abzug und Kompromiss. Das Kalkül von Hamas, Hisbollah und Teheran funktioniert blendend. Wer in Israel soll nach den Raketen auf Haifa für Verhandlungen plädieren, welcher Palästinenser nach dem Bombardement ihrer Brücken und E-Werke für Verständigung? Worum geht es dann? Fragen wir Hossein Schariatmadari, den Chef der Chamenei-treuen Kayhan. »Der Angriff der Hisbollah«, antwortet er in der Ausgabe vom 16. Juli, »eröffnet ein neues Kapitel im Kampf gegen Israel, der das regionale Kräftegleichgewicht zugunsten der islamischen Welt verändern wird. Weitere Attacken werden sehr bald zu (Israels) Vernichtung führen.« Auslöschungs- und Großmachtsfantasien quellen aus solchen Sprüchen hervor, und doch hat der Wahnsinn Methode. Um die zu erkennen, möge man den Blick hinter die heutige Schreckenskulisse werfen, auf die Anfänge dieses Hundertjährigen Krieges, zum Beispiel auf die Pogrome von 1929, die 133 Juden in Hebron das Leben kostete. Den »kleinen« Massakern folgten die großen Schlachten – 1948/49 der Unabhängigkeitskrieg, 1956 Suez, 1967 der Sechstagekrieg, 1973 Jom Kippur, 1982 Libanon. Waffenlärm und Gemetzel schienen das ewige Schicksal von Nahost zu sein – und dann das schier Unglaubliche: Aus der Todfeindschaft zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten beginnt sich ein Frieden herauszuschälen, wenn auch ein kalter, bewaffneter. Ägypten sagt den Krieg ab, selbst die PLO gewöhnt sich an lsrael Als Erstes sagt Ägypten, die arabische Führungsmacht, 1977 den Krieg mit dem legendären Wort des Anwar al-Sadat ab: »No more war!« Menachem Begin, der »Groß-Israel«-Träumer, gelobt 1978 in Camp David, den ganzen Sinai zu räumen – so geschehen vier Jahre später. Der Frieden mit Jordanien kommt 1994; der ratifiziert bloß, was schon ein Vierteljahrhundert lang der Fall ist: die heimliche Allianz zwischen Amman und Jerusalem, die den Haschemiten-Staat vor Syrien und die Arafat-Palästinenser schützt. Selbst die PLO gewöhnt sich nach einer langen Terror-Karriere, die vor der Besetzung des Westjordanlands beginnt, langsam an den Gedanken zweier Staaten zwischen »Meer und Fluss«, statt ihre Auslöschungsfantasien zu pflegen. Wir kennen die Stationen: die Direktgespräche im Osloer Wald, den Rabin-Arafat-handshake, die Gründung eines Quasi-Staates in Gaza und in Teilen des Westufers unter dem Rubrum »Palestinian Authority«. Es kommt zu mörderischen Rückschlägen.Schon einen Monat nach dem Handschlag im Weißen Haus entfacht Jassir Arafat den Terror, derweil die Israelis Siedlungen ausbauen. Camp David 2000 scheitert; nach seiner Rückkehr setzt Arafat auf die »Zweite Intifada«, um einen besseren Deal herbeizuzwingen. Trotzdem: Die Israelis ringen sich zur Erkenntnis durch, dass sie die Palästinenser nicht unterwerfen können, diese, dass sie den Judenstaat, die kleine Supermacht, nicht von der Landkarte tilgen können. Derweil proben die »Gulfies« wie Qatar und Oman gar den Wirtschaftsaustausch mit dem »Kleinen Satan«. Nach Hunderten von Gefallenen räumen die ernüchterten Israelis 2000 ihre Sicherheitszone im Libanon, fünf Jahre später Gaza. Verbittert bereiten sie hinter dem Zaun den Abzug aus dem Westjordanland vor – längst verwelkt ist der Traum von »Judäa und Samaria«. Nein, Frieden scheint hier nicht auf, höchstens die Trennung, die beide Völker aus der gegenseitigen Umklammerung befreit, die den Hass befeuert. Gewiss enthält diese Geschichte tausend blutige Fußnoten, aber wer die 77 Jahre seit dem Hebron-Massaker ins Auge fasst, erkennt, dass sich der Realismus zumindest in homöopathischen Dosen durchgesetzt hat. »Ihr könnt einander nicht bezwingen«, flüstert diese Geschichte – bis zum 25. Juni, als die Hamas nach wochenlangem Tunnelbau und monatelangem Raketenbeschuss einen israelischen Posten jenseits der Gaza-Grenze angreift und einen Soldaten entführt. Vergangene Woche legt Hisbollah nach, indem sie acht israelische Soldaten tötet und zwei weitere entführte. Erwartungsgemäß schlägt Israel zurück – massiv, dauerhaft und brutal. Doch irrt, wer glaubt, dass es sich hier nur um eine weitere Drehung in der »Spirale der Gewalt« handle, wie eine beliebte Floskel lautet – als wären die Akteure blind und blöd, gefangen eben in jener »Spirale«, die sie zu willenlosen Marionetten des Schicksals macht. Im Juni beginnt ein gänzlich neues Drama auf viel größerer Bühne, die bis nach Teheran reicht. Nennen wir es »Vorherrschaft und Vernichtung«. Regie führt das Regime Achmadineschad. Ausführende sind Hisbollah im Libanon und Hamas in Gaza. Halb im Schatten der Kulisse steht Baschar al-Assad, der syrische Diktator von Vater Hafis’ Gnaden. Man kann das Neue auch so beschreiben. Im »klassischen« Nahost-Konflikt wurde die Bühne beherrscht von Potentaten wie Nasser, al-Sadat, al-Assad senior und König Hussein; die haben zwar gegenüber Israel häufig fehlkalkuliert, aber doch halbwegs rationale Interessen verfolgt, die irgendwann zum Ausgleich führten. Die Verweigerer und Terroristen – Fatah, Muslimbrüder, Hamas, Hisbollah – blieben draußen, wo sie das Foyer unsicher machten oder gnadenlos von den Regimen verfolgt wurden. Heute aber hält Hisbollah (»Partei Gottes«) 25 von 128 Sitzen im Beiruter Parlament, stellt Hamas die Regierung in Gaza. Die Extremisten stehen also plötzlich in der Mitte der Bühne – wie seit 1979 die Chomeinisten in Teheran. Und dort sind Revolutionäre, nicht bloß Revisionisten am Werk. Der Unterschied ist kritisch. Revisionisten gab’s zuhauf in der Weltpolitik, zum Beispiel Weimar, das die verlorenen Gebiete im Osten wiederhaben wollte, oder Frankreich, das den Verlust von Elsaß-Lothringen nicht akzeptieren konnte. Revisionisten wollen einen größeren Teil des Kuchens, Revolutionäre aber die ganze Backstube zertrümmern, um sie hernach im Namen einer allein selig machenden Ideologie wieder aufzubauen – siehe Napoleon, den frühen Stalin oder Hitler. Solche Besessenen können sehr wohl taktische Kompromisse eingehen, doch nur im Dienste des apokalyptischen »Endsiegs« über die jeweiligen »Kinder der Finsternis« (Aristokraten, Kapitalisten, Juden). Wenn auch viel kleiner dimensioniert, gehören die Achmadineschads und Nasrallahs in dieselbe Reihe. Die Dschihadisten des 21. Jahrhunderts kümmern sich nicht um »Road Maps« und »Nahost-Quartette« – auch nicht um die eigene Bevölkerung. Denn deren Leiden – Bomben und Blockaden – ist ihr Gewinn, schweißt doch der Druck von außen Herrscher und Beherrschte zusammen. Pragmatismus, gar Verständigung ist Verrat, wenn auf dem Programm die historische Neuordnung des Nahen Ostens unter der grünen Flagge des Propheten steht. Und die gehört in die Hand der iranischen Vormacht. Hamas und Hisbollah sagen: Israel muss von der Landkarte getilgt werden In diesem Drama sind sich Sunniten (Hamas) und Schiiten (Hisbollah und Iran) absolut einig: Israel muss von der Landkarte getilgt werden. Das war die Botschaft des monatelangen Raketenbeschusses im Norden und Süden Israels: Ihr habt zwar Gaza und Südlibanon geräumt, wollt euch auch aus dem Westjordanland zurückziehen, aber wir wollen das »besetzte Palästina« von Galiläa bis zum Negev. Wir akzeptieren nicht, was Sadat, König Hussein und auch Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas dem »zionistischen Krebsgeschwür« gewährt haben – das Existenzrecht, gar die Anerkennung. Aber die Sache geht weit über den klassischen Konflikt hinaus, und das macht sie so gefährlich. Unter iranischer Regie sind verschiedene Handlungsfäden in einer einzigen Krise vereint worden. Beginnen wir mit Teheran, das sich neuerdings wegen seiner Atomrüstung, die seine regionale Vorherrschaft befördern soll, dem gemeinsamen Druck Amerikas und Europas ausgesetzt sieht, sich aber nicht mehr auf Russland und China verlassen kann. Was lag da näher, als Hamas und Hisbollah zu mobilisieren, um Israel in die Falle eines Krieges zu locken. Fazit: Der Druck auf das Atomprogramm schwindet, die Nachgiebigkeit wächst, auf dass Iran seine Helfer wieder an die Leine lege. Das Signal: »Ihr braucht uns? Was wollt ihr zahlen?« In der Kulisse hat Damaskus ebenfalls seine Chance ergriffen. Washington, Paris und die UN sitzen al-Assad junior im Nacken wegen des Mordes an dem libanesischen Premier Hariri. Al-Assad fehlt das Öl, um Gegendruck aufzubauen, also spielt er die Hamas-Hisbollah-Karte aus. Der Sohn folgt dem Lehrbuch des Vaters: Erhöhe dein Störpotenzial, und fordere einen Preis für dein Wohlverhalten. Hamas? Die will verhindern, dass Präsident Abbas sein Referendum über die Zweistaatlichkeit abhält und mit den Israelis ins Geschäft kommt. Ihr Geschäft ist die totale Machtübernahme in Gaza; da sind israelische Bomben wie Manna vom Himmel. Gut ins Konzept des Terrors (»Je schlimmer, desto besser«) würde auch das Ende aller Abzugspläne vom Westufer passen. Krieg ist auch gut für den Machtanspruch der Hisbollah – im Regen der Bomben und Raketen kann sie sich zum wahren Beschützer des Libanons aufblähen und gleichzeitig reichlich Kriegsgerät von Iran kassieren. Revolutionäre Außenpolitik tendiert zum Überziehen Eine revolutionäre Außenpolitik, die Gott, Geschichte oder Vorsehung hinter sich wähnt, tendiert zum Überziehen. Aus dem Munde des Hassan Nasrallah, der sich wohlweislich im Bunker versteckt, klingt das per Telefon so: »Ich werde kein einziges Wort an die internationale Gemeinschaft richten, weil ich noch nie an eine solche geglaubt habe.« Also sprach auch Lew Trotzkij, als er Außenkomissar wurde: »Ich gebe ein paar revolutionäre Proklamationen heraus, dann mach ich die Bude zu.« Bloß lässt sich die »internationale Gemeinschaft« nicht wegschließen. Die hat sehr wohl erkannt, dass Iran eine »feindliche Übernahme« des Nahost-Konflikts inszeniert hat. Jenseits der Ministerin Wieczorek-Zeul, die reflexhaft den Israelis »völkerrechtlich inakzeptables« Verhalten vorwirft, vergießt der Rest der Welt kaum Tränen über die israelischen Gegenschläge. Noch interessanter ist die Reaktion der islamischen Brüder in Arabien. Die Saudis waren die Ersten, die gegen Hisbollah, indirekt also gegen Teheran, Position bezogen. Ein anonym bleibender Offizieller dozierte, dass unterschieden werden müsse zwischen »legitimem Widerstand« und »gefährlichem Abenteuertum«. Das hat Nasrallah überhaupt nicht gefallen: »Ihr sagt also, dass wir Abenteurer sind und Verrückte. Wir aber haben bewiesen, dass wir die Vernünftigen sind.« Libanons Premier Siniora sagte dem iranischen Außenminister ins Gesicht, dass er die »iranische Einmischung« in die Innenpolitik nicht schätze, auch nicht glaube, dass Iran »atomare Fähigkeiten« besitzen sollte. Der Kommentator Aschraf Adschami resümiert in der Palästinenser-Zeitung Ayyam: »Die arabischen Länder, insbesondere Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien glauben nicht, dass irgendjemand das Recht habe, die ganze Region in eine gewaltsame Konfrontation mit Israel zu treiben.« In diesem Krieg der Stellvertreter gegen Israel könnte ein »Zwischenhändler«, nämlich der Syrer al-Assad, zum ersten strategischen Opfer werden – nachdem Hisbollah schwer zu fassen und Iran, weil weitab vom Schlachtfeld, schwer zu treffen ist. Syrien ist das entscheidende, zugleich verwundbarste Glied in der Kette der iranischen Waffenlieferungen an Hisbollah, die am Damaszener Flughafen endet. Inzwischen haben die Israelis auch Raketen mit syrischer Aufschrift gefunden. Die israelische Luftwaffe hat bereis die Landebahnen des Beiruter Ausweichflughafens durchlöchert und die Straßen nach Syrien gekappt, um den Nachschub abzuschneiden. Nächstes Ziel könnte der Airport von Damaskus sein, mitsamt der syrischen Luftwaffe – Ende aller al-Assadschen Träume vom Wiedereinstieg in die große Nahost-Politik. Wie wird die Partie ausgehen? Nur eines ist sicher: Auch die Gotteskrieger zwischen Gaza und Teheran werden an Israel scheitern – wie ihre arabischen Brüder in den Kriegen seit 1948/49. Genauso sicher aber ist auch das Ende des Friedensprozesses, solange die Revolutionäre in Teheran an der Macht sind. Und die Bombe wird auch niemand verhindern, weil die Iraner gerade bewiesen haben, wie einfach sie westliche Druck-und-Zug-Pläne durchkreuzen können. Vergangene Woche traf sich Chefunterhändler Larijani in Brüssel mit Vertretern Deutschlands, Englands, Frankreichs und Russlands. Ergebnis: null. Dann flogen die Iraner nach Damaskus. Tags darauf entfesselte Hisbollah den Krieg gegen Israel. Gegen revolutionäre Regime hilft nur eine entschlossene, geduldige Eindämmungspolitik mit langem Atem. Die hat gegenüber den Sowjets schließlich Früchte getragen. Aber als George F. Kennan die containment policy 1946 erfand, lag der Ölpreis (inflationsbereinigt) bei etwa zehn Dollar. Heute kostet das Fass knapp achtzig.
Krieg im Libanon: Nachrichten, Analysen, Hintergründe » Eine kleine Geschichte des Nahost-Konfliktes » DIE ZEIT, 20.07.2006 |