Bundesbankpräsident Jens Weidmann lässt sich von den Märkten nicht treiben. Warum die Krise politisch zu lösen ist, Anleihekäufe verboten und Eurobonds möglich sind, erklärt er im Interview mit unserer Zeitung.
Die Euro-Krise hat die Kernländer der Währungszone erreicht. Nach Monaten erfolglosen Krisenmanagements fordern immer mehr Ökonomen und Politiker nun eine große Lösung: Eurobonds, also gemeinschaftliche Anleihen aller Euro-Staaten, oder eine Garantie der Europäischen Zentralbank (EZB), über Käufe von Krisenländer-Anleihen die Finanzmärkte zu beruhigen. Eine Institution aber weigert sich standhaft – die Deutsche Bundesbank. Warum und welche Lösung ihm vorschwebt, erklärt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann.
Herr Weidmann, was verbinden Sie mit dem Namen Schlesinger?
Helmut Schlesinger ist ein Amtsvorgänger von mir, mit dem ich ab und an diskutiere und den ich sehr schätze. Warum fragen Sie?
Die Bundesbank steht heute wie 1992 international am Pranger. Genau wie damals Schlesinger gegen alle guten Ratschläge die Zinsen so lange erhöht hat, bis das damalige Europäische Währungssystem zerbarst, bleiben Sie bei ihrem strikten Nein zu allem, was die Krise mildern könnte: Anleihekäufe durch die Notenbank, Eurobonds, den Rückgriff auf Reserven, um den Euro-Rettungsschirm zu vergrößern.
Ihre Darstellung teile ich nicht. Ungleichgewichte in der Wirtschaftsentwicklung waren Auslöser der Ereignisse damals. Im Übrigen unterstellen Sie mit Ihrer Frage, dass allein die Notenbank die heutige Krise beenden kann. Dies ist falsch und gefährlich. Es ist die Aufgabe der Politik, der gewählten Regierungen und Parlamente, die Krise zu bewältigen. Nur die Politik kann dies glaubwürdig tun. Die Notenbank hat das klare Mandat, Geldwertstabilität zu sichern. Wir können dieses Mandat nicht ignorieren und unsere Unabhängigkeit dazu nutzen, politische Entscheidungsgremien auszuhebeln. In Erfüllung unseres Mandats haben wir in dieser Krise auch zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Kreditvergabe der Banken zu stabilisieren. Zur Person
Jüngster Bundesbankpräsident aller Zeiten, den Titel trägt Jens Weidmann bereits, seit er am 1. Mai diesen Jahres 43-jährig die Nachfolge von Axel Weber antrat hat.
Ein Schwergewicht der Eurozone ist der studierte Volkswirt trotz aller Jugendlichkeit im Auftreten. Ohne das Plazet des Chefs der mächtigsten Notenbank geht im Eurosystem der Zentralbanken kaum etwas.
Der Ex-Wirtschaftsberater von Kanzlerin Merkel (2006 bis Anfang 2011) hat in Frankreich und Bonn studiert. Nach der Promotion arbeitete er beim IWF, beim Sachverständigenrat und bei der Bundesbank.
Dennoch scheinen Anleihekäufe derzeit das einzige Mittel, um die Märkte zu beruhigen und die Euro-Zone vor dem Zusammenbruch zu retten. Welche Alternative haben Sie?
Wir haben zwei Wege aufgezeigt, wie die Währungsunion funktionieren kann: Entweder das ursprünglich vorhandene Rahmenwerk stärken oder eine engere fiskalpolitische Integration der Euro-Länder. Seit Sommer fordern wir eine politische Richtungsentscheidung. Die Bundesregierung stellt sich ihr nun und will eine Fiskalunion. Das bedeutet gemeinschaftliche Kontrolle über die Haushalte der Mitgliedsländer, inklusive Durchgriffsrechten, sollten einzelne Länder die vereinbarten Regeln verletzen. Konkret könnte das heißen: Einem Land, das zu hohe Defizite hat, wird automatisch zum Beispiel eine Steuererhöhung auferlegt. Seine finanzpolitische Souveränität wäre eingeschränkt. Das wäre ein großer Schritt hin zur politischen Union und würde die Architektur der Währungsunion erheblich verbessern.
Die EU-Kommission hat Vorschläge für Eurobonds vorgelegt, also für Anleihen, mit denen sich alle Euro-Staaten gemeinsam verschulden und darüber die Zinsen senken. Was haben Sie gegen Eurobonds?
Ob hierdurch die Zinsen sinken würden, ist doch überhaupt nicht ausgemacht. Zunächst würden durch Eurobonds die Risiken ohne Kontrolle vergemeinschaftet. Einzelne Länder verschulden sich, und alle haften dafür gemeinsam. Damit könnten Staaten die Folgen ihrer Entscheidungen auf andere abwälzen. Haftung ohne Kontrolle kann nicht funktionieren. Deshalb kann eine verstärkte Gemeinschaftshaftung, wenn überhaupt, nur am Ende des gerade skizzierten Integrationsprozesses stehen.
Sie plädieren für eine engere finanzpolitische Integration. Die Umsetzung bräuchte jedoch Jahre, weil zum Teil die Verfassungen geändert werden müssten, Volksabstimmungen zu organisieren wären. Die Krise aber ist aktuell und frisst sich unaufhaltsam in den Kern der Euro-Zone. Es braucht eine schnelle Lösung.
Nur eine in sich schlüssige Lösung führt auch zum Ziel. Ich glaube nicht, dass ein solcher Prozess Jahre benötigen würde. Entscheidend ist, dass zügig ein glaubwürdiges Paket geschnürt wird. Ich bin der Überzeugung, dass dies an den Märkten und in der Bevölkerung wieder Vertrauen schaffen kann.
Es gibt also keine Irrationalität an den Märkten, kein Herdenverhalten und kein Marktversagen?
Es ist klar, dass die Finanzmärkte die Risiken von Staatsanleihen in der Vergangenheit unterschätzt haben und sie jetzt vielleicht überschätzen. Allerdings sehen wir derzeit auch, dass es gerade die steigenden Zinsen sind, die zu Veränderungen und Reformen führen – und nicht so sehr die politische Einsicht.
Die Zinsen steigen, weil die Zentralbank nicht interveniert. Daher sind die Regierungen zu Reformen gezwungen, die der Notenbank gefällt.
Diese Logik ist doch verquer. Die Zinsen steigen nicht wegen der Untätigkeit der Zentralbank, sondern weil die Tragfähigkeit der Staatsschulden in Frage gestellt wird.
Die staatlichen Defizite in Europa sinken doch rascher als in anderen Ländern, dennoch steigen die Zinsen stärker.
Vieles ist versprochen, aber noch nicht umgesetzt. Regierungen und Parlamente müssen liefern, das hilft. Es gibt auch positive Beispiele, wie Irland.
Aber die Investoren geben den Ländern keine Zeit.
Es ist leider auch viel Zeit ungenutzt verstrichen. Es fehlt die Perspektive auf einen tragfähigen Ordnungsrahmen. Stattdessen wurden Summen zur Stützung hoch verschuldeter Staaten beschlossen. Und bevor diese Beschlüsse umgesetzt wurden, hat man diese Summen bereits erhöht. So eine Politik schafft kein Vertrauen, da kann die Zentralbank tun, was sie will.
Dass die Politik die Rettungssummen immer weiter erhöht hat, war doch wiederum eine Reaktion darauf, dass die Märkte sich durch die Beschlüsse nicht beruhigten?
Die permanente Erhöhung der Summen stößt irgendwann an die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz. Und dies sehen auch die Investoren.
Nach Italien wackeln nun auch Österreich und Frankreich. Wie lange dauert es, bis auch deutsche Anleihen von dem Run ergriffen werden? Am Mittwoch hat es die Bundesrepublik schon nicht mehr geschafft, ihre Anleihen loszuwerden.
Weder wackelt Frankreich noch Österreich, die Zinsniveaus sind im historischen Vergleich nicht außergewöhnlich hoch. Es gibt auch keinen Run. Ich würde mir Ihre Wortwahl nicht zu eigen machen. Bundesanleihen werden an den Märkten nach wie vor bevorzugt, weil die Stabilitätsorientierung Deutschlands überzeugt. Daher werbe ich dafür, diese Stabilitätsorientierung in ganz Europa stärker zu verankern. Eine Auktion, in der nicht alle Anleihen zu Niedrigstzinsen verkauft worden sind, darf man nicht überbewerten.
Würden Sie Anleihekäufe der EZB unterstützen, wenn die Rendite deutscher Bundesanleihen über sechs Prozent stiege?
Nein, und ich möchte mich an solchen Zahlenspielen auch nicht beteiligen.
Bei einer stärkeren politischen Integration hätten Sie gar nichts mehr gegen Anleihekäufe der Zentralbank und Eurobonds?
Eine Staatsfinanzierung durch Gelddrucken passt auf keinen Fall zu einer Geldpolitik, die Preisstabilität gewährleistet. Was Eurobonds betrifft, müssen die Regierungen entscheiden. Sie wären allerdings gut beraten, erst am Ende eines Integrationsprozesses darüber nachzudenken. Eigentlich braucht man Eurobonds dann gar nicht mehr, weil die bessere Architektur der Währungsunion überzeugen wird.
Bis es soweit ist, vergehen noch Jahre. Dann gibt es den Euro nicht mehr.
Das sehe ich ganz anders. Wenn die Politik heute glaubwürdig ankündigt, in Richtung der Fiskalunion zu gehen oder den Stabilitätspakt stärkt, und gleichzeitig die Regierungen glaubhafte Konsolidierungs- und Reformprogramme vorlegen und auch umsetzen, kann dies die Märkte rasch beruhigen.
Aber die hohen Zinsen können einen Staat auch in den Ruin treiben.
Man muss ja nicht so tun, als sei ein Land wie Italien schon so gut wie pleite. Die Diskussion ist extrem kurzatmig und hektisch geworden. Kaum steigt irgendwo die Rendite zehnjähriger Anleihen, schon wird der Weltuntergang verkündet. Das steht in keinem Verhältnis zu einer fundierten wirtschaftlichen Analyse. Die Schuldentragfähigkeit hängt schließlich nicht nur an der Entwicklung des Zinses, sondern auch am Wachstum und vor allem am Staatsdefizit. Ich bin zuversichtlich, dass Italien auch mit einem Zins, der eine Weile über sieben Prozent liegt, umgehen kann. Es liegt vor allem an Italien selbst, für Vertrauen zu sorgen.
Apropos Wirtschaftswachstum. Wenn alle Staaten gleichzeitig sparen, bricht die Konjunktur ein. Die Frühindikatoren deuten auf Rezession 2012. Kommt sie?
Das ist nicht unser Konjunkturszenario. Das Wachstum wird sich im Euro-Raum weiter abschwächen, aber eine anhaltende Rezession erwarten wir nicht. Vorausgesetzt die Staatsschuldenkrise weitet sich nicht aus.
In der Rezession ist es Staaten noch nie gelungen, seinen Schuldenstand zu reduzieren. Bräuchte es nicht auch eine Wachstumsstrategie?
Richtig: Wachstum durch Strukturreformen, das heißt tragfähige Sozialsysteme, flexible Arbeitsmärkte, Freiraum für private wirtschaftliche Initiative. Auch das ist Teil der Anpassungsprogramme.
Was kann die Geldpolitik tun, um das Wachstum zu stimulieren?
Die Geldpolitik unterstützt das Wirtschaftswachstum schon eine ganze Weile. Die Notenbankzinsen sind sehr niedrig. Wir haben weitere außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen, wie die Vollzuteilung bei Refinanzierungsgeschäften. Der EZB-Rat wird sich auf der nächsten Sitzung die Situation anschauen und seine Entscheidung treffen.
Bundesbankpräsident Schlesinger gilt als der Mann, der die Briten aus der gemeinsamen Währung getrieben hat, der das EWS zerstört hat. Wer werden Sie in den Geschichtsbüchern sein? Der Mann, der mit seinem Beharren auf deutsche Ordnungspolitik den Euro zerstört hat?
Es wird uns zuweilen unterstellt, wir wollten die D-Mark zurück. Das ist absurd. Deutschland profitiert in vielerlei Hinsicht vom Euro, wirtschaftlich und politisch. Die Bundesbank hat einen klaren Auftrag und tritt unzweideutig für den Euro ein. Ich glaube nicht, dass der Euro langfristig stabilisiert wird, wenn Verfassungen und Verträge ignoriert oder beiseite gewischt werden. Diejenigen, die uns kritisieren, fordern eine Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken im großen Stil. Dies ist der Notenbank verboten! Der Bundestag hat sich für Deutschland die Entscheidung hierüber zu Recht vorbehalten und das Verfassungsgericht hat Grenzen gesetzt. Wenn ich darauf beharre, entspricht dies meinem Grundverständnis von Demokratie und Legitimation. Und im Übrigen: Sie zeichnen ein völlig falsches Bild von Herrn Schlesinger. Er hat auf die gestiegenen Inflationsgefahren im Zuge der Wiedervereinigung reagiert und die D-Mark als stabile Währung verteidigt. Dies war die Grundlage für die Schaffung der Europäischen Währungsunion einige Jahre später. Das Ausscheiden der Briten hatte andere Gründe.
Und Ihr Platz in der Geschichte?
Darüber mache ich mir im Moment die wenigsten Sorgen.
Das Gespräch führten Robert von Heusinger und Stephan Kaufmann. |