24. Aug 2007: Der Ruf nach dem Staat
Der jüngste Investment-Outlook von Bill, Gross, dem bekannten Fondsmanager von Pimco, ist bemerkenswert. Pimco, die größte Kapitalanlagegesellschaft der Welt und im Mehrheitsbesitz der Allianz AG, wird sei kurzem von Alan Greenspan, dem früheren Chef der Fed, beraten. Firmenslogan: „The Authority on Bonds“.
Gross bezeichnet die Ereignisse der zurückliegenden vier Wochen an den Finanzmärkten als gigantischen Riss, geschaffen durch jugendliche Überflieger und von den Zentralbanken als positive Diversifizierung gebilligt. Die modernen Derivate könnten zwar einzelnes, abgegrenztes Risiko absichern helfen, durch die eingebauten Hebel aber entstehen allgemeine, übergreifende Instabilitäten. Das momentane Liquiditäts-Risiko könne innerhalb der Finanzmärkte nicht abgesichert werden. Hier müssen die Zentralbanken einspringen durch Liquiditäts-Spritzen und womöglich auch eine Reihe von Zinssenkungen.
Hinzu kommt ein Vertrauensproblem. Niemand könne sich offenbar mehr darauf verlassen, dass zeitnah alle Informationen über das Risiko einer bestimmten Anlageform verfügbar sind. So entsteht Unsicherheit und daraus Misstrauen. Die Finanzinstitutionen bleiben lieber auf Cash sitzen, als es (auch nur über Nacht) auszuleihen. Durch Sorge und Ungewissheit kommt es zu steigender Volatilität, was wiederum weitere Risikoaversion begünstigt.
Marktbeobachter gehen mittlerweile davon aus, dass in der nächsten Zeit bis zu zwei Millionen Ausfälle von Hypothekendarlehen zu erwarten sind. Erst dann dürfte die Situation im amerikanischen Häusermarkt bereinigt sein. Gross schätzt, dass dies die Häuserpreise um bis zu zehn Prozent drücken könnte, eine Vermögenspreis-Deflation, die die USA seit der Großen Depression der 1930er Jahre nicht mehr gesehen hat. Zwar seien die Kursverluste etwa bei Aktien schon häufig größer gewesen, aber dies tangierte nie so direkt die Lebensgrundlagen der Amerikaner wie die gegenwärtige Krise im Häusermarkt.
Angesichts des Krisenpotenzials kein Wunder, dass die Fed sehr wachsam ist. Allerdings drückt selbst eine Reduktion der kurzfristigen Zinsen um 2 bis 3 Prozent nicht zwangsläufig auf die langfristigen Renditen und Hypothekenzinsen, wenn nämlich die Angst vor weiterem Hauspreis-Verfall bleibt. Hinzu kommt, dass eine solche Zinssenkung eine Einladung für die Spekulation in Gestalt von Hedge Fonds und anderem gehebelten „Teufelszeug“ darstellt. Genau das aber habe sich als Achillesferse der Finanzmärkte herausgestellt, schreibt Gross. Außerdem dürfte dadurch der Dollar so stark unter Druck kommen, dass seine Vorherrschaft in der Welt gefährdet ist.
Diese Argumentationskette führt Gross zu dem Schluss, dass der Schlüssel zur Lösung des Problems nicht bei der Fed liegt, sondern bei der US-Regierung, im steuerpolitischen, nicht im finanzpolitischen Bereich. Wenn es möglich war, in der „savings and loan crisis“ maroden Finanz-Institutionen und 1998 im Zuge der LTCM-Krise Investmentbankern zu helfen, warum wirft man dann im Jahre 2007 bis zu zwei Millionen Haushalte den Wölfen vor? Das sei sogar eine große Chance für die Republikaner, die nächste Wahl für sich zu entscheiden und Millionen Hausbesitzer auf Generationen für sich einzunehmen:
„Write some checks, bail ‘em out, prevent a destructive housing deflation that Ben Bernanke is unable to do.“
Der angenehme Nebeneffekt einer solchen Lösung ist, dass die Fed dann nicht als Put, als Nothelfer der Finanzmärkte gesehen wird - einen Eindruck, den Bernanke mit der eher symbolischen Senkung des Diskontzinssatzes bisher erfolgreich vermieden hat.
Der Gedankengang von Gross hat etwas Zwingendes. Der kleine Schönheitsfehler ist nur, dass hierdurch die Staatsverschuldung weiter vorangetrieben wird. Wenn aber jemand die neuen Schuldscheine des Schatzamtes kaufen soll, dann nur zu deutlich höheren Zinsen. Dadurch jedoch dürfte eine Erleichterung durch niedrigere Zinsen für Hypothekendarlehen in weite Ferne rücken, wodurch der Staat noch stärker einspringen müsste:
„Write some more checks!“
Für den Dollar dürfte es so oder eine schlechte Botschaft sein. Egal ob der Leitzins deutlich gesenkt oder die Staatverschuldung kräftig ausgeweitet wird, er dürfte in der Perspektive unter Druck kommen. Jedenfalls dann, wenn man diese Kräfte isoliert betrachtet. Bezieht man jedoch mit ein, dass im Rahmen einer sich zuspitzenden Krise an den Finanz- und Gütermarkten dieser Erde amerikanische Direktinvestitionen heim geholt werden, ist die Richtung keineswegs so klar. Wenn dann ausländische Notenbanken in diese Stärke hinein US-Staatsanleihen verkaufen, die sie zur Wechselkurspflege über Jahre angehäuft haben, kommt neben dem (gegengerichteten) Währungseffekt ein Auftriebsimpuls bei die langfristigen Zinsen hinzu. Und der bleibt wiederum nicht ohne (tendenziell positive) Wirkung auf den Außenwert des Greenback.
Man kann es drehen und wenden: Die schönste aller (Finanzmarkt)-Welten ist doch, wenn der Dollar geordnet abwertet und das Ausland wieder ordentlich TBonds kauft. CDOs und ABS dürften ja zunächst als Transportmittel für die Probleme der amerikanischen Wirtschaft aus der Mode gekommen sein.
Der sich gegen Dollar nach oben schleichende Euro dürfte für diese Hoffnung sprechen. Während der gesamten Zeit seit März 2003 waren deutlich steigende Aktienmärkte mit steigender Wechselkursparität Euro/Dollar gut synchronisiert. Nehmen wir das als generelles Entspannungssignal, so könnten die Aktienmärkte demnächst noch etwas weiter nach oben laufen. Die „Carry-Trade-Indikatoren“ Dollar/Yen und /Euro/Yen zeigen schon an, dass die Risikobereitschaft zurückkehrt, in Euro sogar proportional stärker als im Dollar. Und auch der Zinssatz für amerikanische Dreimonatsgeld zeigt an, dass die Liquiditätsausstattung abnimmt - im aktuellen Kontext ein Hinweis auf abnehmende Liquiditätspräferenz.
Was kurzfristig gelten mag, ist das eine. Übergeordnet dürften die besten Zeiten für Aktien vorbei sein. Die Stimmen mehren sich, die davon reden, dass die Probleme im US-Häusermarkt nicht ohne Folgen für den privaten Konsum und damit für die konjunkturelle Entwicklung bleibt. Eine harte Landung ist die wahrscheinlichste Option.
http://www.timepatternanalysis.de/ |