Selbst der finsterste Bär sollte sich stets mit der Gegenposition auseinandersetzen, wie sie z. B. Fricke (FTD) im Artikel in # 4859 liefert. Es ist dieselbe Vorsicht, mit der Bullen stets die Argumente der Bären studieren sollten.
Denn praktisch jeder Börsen-Index-Absturz ist temporär, langfristig will die Welt wachsen, Milliarden fleißige Hände haben ihren Anteil daran (insofern sehen Perma-Bären die Dinge in der Tat unrealistisch schwarz). Die allfällige Erholung kann freilich sehr lange auf sich warten lassen: In Japan dauerte es 13 Jahre, bis der Nikkei-225 - von 40.000 in 1990 kommend - , endlich einen Boden bildete: Um 7000 im Frühjahr 2003.
Abstürze kommen meist, nachdem irrationaler Überschwang Blasen aufgepumpt hat, die - vor allem an der Börse - weit mehr versprechen, als die Realwirtschaft hergeben kann. Das war in Japan 1990 nicht anders als um 2000 in USA/Europa und jetzt in China. Ein Absturz ist meist "nur" der Abbau übermäßiger Spekulation, bei dem die Börse am Ende freilich auch nach unten übertreibt. Nur die wenigsten Börsen-Abstürze gehen mit handfesten Wirtschafts-Krisen einher (etwa in den 1970-er Jahren), zu denen Rezessionen mMn nicht gehören, da diese Teil des "normalen" Wirtschaftszyklus sind.
Realistisch kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass nach der jetzigen Börsen-Krise (die womöglich zu den seltenen gehört, die mit einer Wirtschaftskrise einhergehen...) wieder ein Aufschwung kommen wir - fragt sich eben nur, wann und ab welchem Level.
Reichlich deplatziert erscheint mir allerdings das aktuelle Bullen-Geschwätz, wir hätten ja gar keine Krise: Viele Leute, auch Fricke, verkennen mMn die Lage, wenn sie die gegenwärtigen Rückgänge nur als gesunde Korrrektur im (intakten) Uptrend werten, da die Wirtschaft ja im Grunde kerngesund sei. Dafür gibt es zu viele Milliarden an faulen Krediten, zu viele faule Derivate, zu große globale Ungleichgewichte und zu wenig "Baumaterial" für Folgeblasen. Der jetzt ausklingende Aufschwung basierte ja vor allem auf billigem Geld - und diese Ära ging vor einigen Wochen schlagartig - und vorerst definitiv - zu Ende. Dass bis Anfang des Jahres noch Alles glatt lief, ist jetzt Historie, ebenso die damaligen Bewertungen und Ausblicke, die sich eben NICHT in die Zukunft fortschreiben lassen, wenn die fundamentale Triebfeder (billiges Geld) wegbricht. Außerdem ist die Housing-Krise mMn noch längst nicht an ihrem Höhepunkt angelangt, der wohl erst 2008 kommt.
Man muss daher in Ruhe (z. B. im Seitenaus) beobachten, ob die jetzige Börsen-Krise nicht mehr ist als eine der üblichen Korrekturen. Ist sie Vorbotin einer globalen, länger anhaltenden Wirtschafts- und Kredit-Krise? Um dies beurteilen zu können, ist es notwendig, das Ausmaß der faulen Schulden zu kennen. Dies wiederum ist unmöglich, da die faulen Assets größtenteils illiquide sind und nur mit "Mark-to-market" bewertet werden könnten. Außerdem hüllen sich Betroffene (deutsche Versicherungen?) demonstrativ in Schweigen. Denn wo kein Kläger ist, ist auch kein Beklagter: Subprime-Mist fängt erst an zu stinken, wenn man Andere mit der Nase reinstößt (was über Mark-to-market zur Entwertung führt). Dies passiert nicht, wenn man niemandem was davon erzählt. Die gegenwärtige Unsicherheit dürfte daher noch ein Weilchen erhalten bleiben, weil niemand sich um Kopf und Kragen reden will.
FAZIT: Wir stochern im Nebel. Jeder der behauptet, die Zukunft vorhersehen zu können, ist im Grunde ein besserwisserischer Aufschneider.
Wie geht man mit der jetzigen Lage am besten um?
1. Langfristinvestoren sitzen das aus - auf die "langfristig steigenden" Börsen vertrauend. Das kann allerdings, wie die Japan-Baisse ab 1990 und die Jahr-2000-Baisse in USA/Europa zeigen, ziemlich lange dauern, was evtl. die Performance stark drückt.
2. Defensive Market-Timer (z. B. Malko) haben ihre Aktien verkauft, das Geld in Anleihen geparkt und warten, bis die Korrektur an den Börsen die Bewertungen so weit nach unten gebracht hat, dass das Chance-Risiko-Verhältnis wieder für Long-Investments akzeptabel wird.
3. Aggressive Market-Timer haben ihre Aktien verkauft und sind/gehen short, um auch an der (vermuteten/erhofften) Abwärtsbewegung zu verdienen. Bei erkennbarer Bodenbildung stellen sie ihre Shorts glatt. Beim Panik-Ausverkauf am Ende (fast) jeden Abschwungs gehen sie massiv long (auch mit Hebelprodukten und Derivaten). Dies ist jedoch im Gegensatz zu 1. und 2. ein aktiver Ansatz, der wiederum damit zu kämpfen hat, dass zurzeit niemand in die Zukunft sehen kann. Short zu gehen hat daher teils Glücksspiel-Charakter - vor allem wenn Fricke Recht behalten sollte.
Die Leute hier im Thread zählen überwiegend zur 3. Kategorie. Und wir sehen ja selber an unseren Postings, dass die Meinungsbildung, gelinde gesagt, schwierig ist. Was wiederum nicht an uns liegt, sondern an der "nebligen Gesamtlage" samt "aggressivem Schweigen" der Hauptbetroffenen.
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