Eine private Anekdote vorweg:
Als Börsenneuling habe ich im Mai 1998 als meine erste deutsche Aktie die Commerzbank gekauft - zum Wahnsinnskurs von 36 Euro. Ich folgte damit einer Anlageempfehlung der Zeitschrift "Börse Online" (BÖ). Zu dem Kauf wurde ich auch animiert, weil ich damals zufriedener Kunde der Commerzbank war und die Bank mit ihren Mamorfassaden recht gediegen fand. Von der Börse und ihren Spielregeln hatte ich nicht die geringste Ahnung. Ich wusste auch nicht, dass Dummschwatz-Blätter wie BÖ Aktien immer erst dann empfehlen, wenn sie "bereits gelaufen" sind. (Grund dafür ist, dass sich Aktienkäufer dann paradoxerweise sicher fühlen. Würde BÖ Aktien AM TIEF als Kauf empfehlen, würden die Leute sich empört abwenden und die Gazette nicht mehr kaufen...)
Die Commerzbank stieg dann im Juli 1998 noch ein oder zwei Euro, dann kam die Russland/LTCM-Krise und alle Aktien-Indizes brachen weltweit drastisch ein. Ich konnte praktisch an einem Tag mit ansehen, wie der Kurs unter meinen EK fiel. Egal, dachte ich, die Commerzbank finde ich toll, ein grundsolides Unternehmen - man muss sowas langfristig sehen. An der Börse zahlt sich nur Geduld aus.
Die Commerzbank fiel dann bis Herbst auf ca. 20 Euro - ich war fast 50 % im Minus. Ab da erholte sich die Aktie wieder und stieg bis Ende 1999 auf 36 Euro - den Kurs, für die ich sie gekauft hatte. Aus Schaden klug geworden, verkaufte ich sie ohne Gewinn, auch weil ich mir Sorgen um den "Jahr-2000-Crash" machte (der de facto nie kam).
Ich hatte aber durch Zufall doch das Richtige gemacht. Drei Jahre später, im März 2003, stand die Commerzbank bei 5,40 Euro.
Was hat das alles mit Dir und TUI zu tun? Viel, glaube ich. Als alter Seemann hängst Du in der Schifffahrts-Sparte vermutlich auch emotional drin, das bedeutet Dir persönlich was. Das Feeling ist vielleicht ähnlich wie meins, als ich die fallende Commerzbank hielt, weil das doch ne tolle Bank ist.
An der Börse sind solche Emotionen aber leider fehl am Platz. Da geht es eigentlich nur darum, ob Gewinnerwartungen erfüllt werden oder nicht - egal ob es ein Touristikunternehmen, ein Reeder, ein Müllabfuhrunternehmen oder ein Sarg-Discounter ist.
Was wir zurzeit sehen, ist, dass selbst Aktien mit hervorragenden Zahlen (z. B. UPS) hart abgestraft werden, weil die Zahlen nicht noch besser waren. Noch stärker sind die Abverkäufe bei Gewinnverfehlungen (TUI, Dt. Telekom). Das ist ein typisches Phänomen an Börsen-Tops.
Umgekehrt gibt es an Börsen-Tiefs - wie im März 2003, als der letzte Irakkrieg begann, die Uno sich zerstritt und die Nato auseinanderzubrechen drohte - einen seltsame Ruhe: Da fielen die Kurse selbst dann nicht mehr, als mega-schlechte Nachrichten reinkommen. Das ist typisch für Börsen-Tiefs.
Dies zeigt, wie stark es an der Börse auf Psychologie und Timing ankommt - fast noch mehr als auf individuelles Stock-Picking. Und momentan ist das Timing (bzw. "die Stimmung") für einen Long-Einstieg - nach drei Jahren Non-Stop-Anstieg mit nur 10 % Korrektur seit Mai - einfach schlecht, weil, im Börsenjargon gesprochen, "das Chance-Risiko-Verhältnis ungünstig" ist (zumal sich jetzt in USA eine neue Rezession andeutet). Das gilt auch für TUI, trotz der niedrigen Bewertung.
Im Seemanns-Jargon gesprochen: Bei Ebbe fallen im Hafen alle Schiffe auf Grund. |