Paris schiebt Areva-Privatisierung auf
Atomkonzern soll Alstom unter die Arme greifen / Szenarien für neue deutsch-französische Großkonzerne
Frankreichs Regierung prüft derzeit eine Fusion des angeschlagenen Energie- und Transportkonzerns Alstom mit dem Atom-Marktführer Areva. Dies würde eine weit reichende industriepolitische Ketten- reaktion bis nach Deutschland auslösen.
VON STEFAN BRÄNDLE
Areva-Chefin Anne Lauvergeon (ap) Paris · 11. April · Der weltgrößte Atomkonzern Areva hätte an sich diesen Sommer privatisiert werden sollen - jedenfalls nach offizieller Ankündigung des Wirtschaftsministeriums in Paris vor einem Vierteljahr. Dies entsprach dem Wunsch von Anne Lauvergeon, welche die französischen Nuklearsparten Framatome (AKW-Bau) und Cogema (Kernenergie-Produktion,Wiederaufbereitung in La Hague) erfolgreich zusammengeführt hatte. Die 45-jährige Ingenieurin erklärt schon seit langem, Areva müsse an die Börse, um Aktien als Zahlungsmittel für Übernahmen einsetzen zu können.
Vor einigen Wochen hat die französische Regierung aber plötzlich den Rückwärtsgang eingelegt: Der neue Wirtschaftsminister Thierry Breton sieht eine Teilprivatisierung Arevas "frühestens 2006". Der seit Ende Februar amtierende Ressortchef hat das Ruder völlig herumgeworfen. Anstatt an die Börse zu gehen, soll der Atomkonzern offenbar dem ramponierten Energie- und Transportkonzern Alstom unter die Arme greifen. Wie die Pariser Wirtschaftszeitung La Tribune berichtete, lässt Breton entsprechende Fusionsszenarien prüfen. In Bercy, dem in die Seine ragenden Pariser Wirtschaftsministerium, wurde nur halbherzig dementiert, und Lauvergeons Leute drohen nun offen mit dem Rücktritt der Areva-Präsidentin, falls die Regierung an einer Fusion mit Alstom festhalte.
Alles außer Siemens
"Der Kraftakt hat begonnen", kommentierte der Figaro am Wochenende. Der Ausgang ist offen. Lauvergeon, die Ex-Beraterin von Präsident Mitterrand, hat mächtige Gegner im gesamten Pariser Establishment und der konservativen Regierung. Breton steht jenen altgaullistischen Atomkreisen nahe, die vehement gegen jede Transparenz in der nationalen Nuklearwirtschaft sind. Sein Vater leitete einst Frankreichs allmächtiges Atomenergie-Kommissariat CEA und legte Wert auf die Verbindung zwischen ziviler Kernenergie und militärischer "Force de Frappe".
Gegen Lauvergeon lobbyiert auch der Alstom-Konzern, der sich trotz mehrerer Rettungspläne in einer ungemütlichen Situation befindet bis heute nicht weiß, wie er im nächsten Jahr einige teure Kredite zurückzahlen soll. Es ist wohl kein Zufall, dass die Privatisierung Arevas zumindest bis dahin blockiert bleibt.
Die Alternative zu Areva heißt für Alstom-Chef Patrick Kron vor allem Siemens. Der Münchner Konzern zeigt seit langem Interesse an Alstom Bahn- und Energiesparte - oder an mehr. Doch für französische Ingenieure und Politiker kommt es nicht in Frage, den TGV-Bauer in deutsche Hände abzugeben. In den Chefetagen von Alstom lautet die Devise gemäß einer Pariser Zeitung "TSS", was so viel heißt wie "Tout sauf Siemens" ("alles außer Siemens").
In Bercy weiß man aber auch, dass Areva höchstens die Energie- und vielleicht noch die Bahnsparte schlucken würde, aber auf keinen Fall den Schiffsbau, einen der Bleifüße Alstoms. Diesbezüglich kursiert in Paris eine nicht ganz neue Idee: Warum nicht die deutschen und französischen Werften wie HDW, Thyssen Krupp, Thales-Naval, DCN und Alstom-Marine unter einen Hut bringen, um sie gegen die asiatische Konkurrenz zu stärken? Aus französischer Sicht hätte dies den Vorteil, Ladenhüter wie DCN oder Alstom-Marine mit solideren Unternehmen zu vereinen. Entsprechend gering ist das Interesse Berlins.
Bercy und die einflussreichen Gläubigerbanken von Alstom denken allerdings noch weiter. Würde nämlich Thales-Naval in ein großes Schiffsbau-Konglomerat ausgegliedert, ließe sich das Kerngeschäft von Thales, die Rüstungselektronik, anderweitig verwenden. Paris hat den Plan keineswegs aufgegeben, Thales in den europäischen Luft- und Raumfahrtskonzern EADS einzubringen, was den französischen Aktionären die Mehrheit vor den Deutschen und Spaniern geben würde.
EADS-Thales würde etwas mehr Sinn machen als Areva-Alstom. Die gemeinsame Idee dahinter ist die Bildung europäischer Großkonzerne unter französischer Führung. Areva-Alstom wie auch EADS-Thales folgen dem gleichen Schema wie die Fusion der Pharmagruppen Sanofi und Aventis oder der Zusammenschluss von Snecma (Flugzeugmotoren) mit Sagem (Hochtechnologie). Bloß schauen die beteiligten deutschen Firmen heute nicht mehr tatenlos zu, wenn die französischen Freunde ihre komplexen Szenarien spinnen. Bei EADS blockten sie die hochfliegenden Pläne bisher mit spanischer Schützenhilfe ab. Im Schlüsseldossier Alstom hat Siemens ebenfalls eine Verbündete: Anne Lauvergeon.
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