1. Was die Opferrolle betrifft, ist es echt interessant, dass du die nicht annehmen möchtest. Weil genau diesen Eindruck habe ich immer bei Leuten wie dir. Ihr tut so als wäret ihr trotz eurer finanziellen Privilegien ein Opfer hiesiger Politik. Für mich völlig absurd. Deutschland wird seit Jahrzehnten immer neoliberaler, von Privatisierungen diverser Branchen geprägt. Die Vermögenssteuer angeschafft, Steuerschlupflöcher für Reiche ohne Ende. In den letzten 25 Jahren wurden 30% der Stellen in der öffentlichen Verwaltung reduziert, zugunsten von Privatisierungen. Und trotzdem regt ihr euch so sehr auf, dass ihr auswandern wollt. Für mich ist das der Prototyp von selbst gewählter Opferrolle.
2. Ja, ich zahle gerne Steuern, insbesondere seitdem ich in den letzten Jahren ganz gut verdiene. Ich hatte als Student und die 10 Jahre danach ungern Steuern gezahlt, weil ich eben jeder Euro umdrehen musste, um meine Miete oder meine Lebensmittel zu finanzieren. Seit ein paar Jahren zahle ich tatsächlich sehr gerne Steuern, weil ich gut verdiene und mich der solidarischen sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühle. Dazu gehört auch, dass ich sehr gerne Flüchtlingen und anderen armen Menschen helfe, entweder direkt oder eben auch durch meine Steuern. ... Dass der Staat auch oft Steuern verschwendet (Berliner Flughafen, Maut-Debakel, Steuergeschenke für Leute, die das Geld nicht brauchen, etc.), sehe ich genauso. Nur sind Steuergelder für Flüchtlingshilfe oder für soziale Belange aller Deutschen keine Verschwendung. Was nicht heißt, dass ich zufrieden mit der Politik in Deutschland bin. Nur dass ich eben dafür bin, dass wir eine gerechtere Gesellschaft werden, wo nicht wir Finanzheinis das Geld abschöpfen und vermehren. Es sei denn wir investieren es in eigene kleine Geschäftsideen, aber sind wir doch mal ehrlich. Die meisten versuchen einfach nur ihr Vermögen zu vermehren. Das ganze Geld im System wandert in den Finanzmarkt. Und dann wollen die auch noch Steuererleichterungen? Ich glaub, es hakt. Finanztransaktionssteuer, aber schnell! Allerdings nicht so wie von Scholz bisher vorgeschlagen, da auch da nicht der Heavytrader und Reiche besteuert wird, sondern der Kleinsparer verhältnismäßig hoch belastet wird. Daher Finanztransaktionssteuer Ja, aber mit Freibeträgen auf Aktien und dafür höherer Besteuerung für Vieltrader und Derivate.
3. Deutschland hatte auch Kolonien, wobei sich meine Aussagen klar auf Frankreich bezogen, da du ja die dortigen Zustände angesprochen hattest. Dass die Deutschen nicht in Nordafrika waren, ist nichts Neues. Ich bin Historiker. ... Im Übrigen hat Deutschland zwei Weltkriege zu verantworten, die auch Auswirkungen auf die Nachkriegszeit hatten, inklusive Grenzziehung im Mittleren Osten (wobei dafür natürlich auch andere Nationen hauptverantwortlich waren). Ebenso profitieren deutsche Konzerne auch heute von den weltweiten Kriegen. Also kommt mir bitte nicht mit dem Thema Flüchtlinge und Migranten, sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch! Niemand von euch wird ja hoffentlich denken, dass Migranten faul und kriminell sind. Gerade die hier lang lebende Migranten haben sich etwas aufgebaut, obwohl sie nie wirklich willkommen waren, und auch die heutigen Syrer geben sich nach meinen Erfahrungen viel Mühe zu Integration, obwohl es weder behördlich einfach ist, noch was den Umgang mit oft ablehnenden Deutschen betrifft. ... Und was die Ausbeutung der 3.Welt betrifft, braucht man dafür keine Kolonien. Das haben wir in auch so gut in der Nachkriegszeit hinbekommen. Da gehts nicht nur um den Rohstoffhandel, sondern um grundsätzlich fairen Handel. Niemand wird bestreiten, dass ein Unternehmer insbesondere von Großkonzernen immer versuchen wird, sich Konkurrenz vom Hals zu halten und möglichst billig einzukaufen, und dafür entsprechende Lobbyarbeit betreiben. Das ging eben Jahrzehnte auf Kosten der 3.Welt, auch wenn sich das mittlerweile verbessert hat. ----------- the harder we fight the higher the wall |