mal was zu europa Nach 70 Jahren ist der Kater vorbei
Wie kann es sein, dass sich Länder wie Polen oder Ungarn Schritt für Schritt von eben jener Demokratie entfernen, die doch die Vorteile ermöglicht, wegen denen sie in die EU eingetreten sind? Wie kann es sein, dass in Österreich die Präsidentschaft nur hauchdünn von einem Rechtsradikalen verfehlt wird, der kein Geheimnis daraus macht, dass er das letztlich doch brauchbar arbeitende Land ganz nach seinen Wünschen umzugestalten gedenkt? Wie kann es sein, dass ein Großteil Europas das Flüchtlingsproblem lösen will, indem man die Leichen zum Nachbarn weiterleitet, wohl wissend, dass sie so irgendwann wieder vor der eigenen Tür liegen? Dass sie alle miteinander Zäune bauen, obwohl man an drei Fingern abzählen kann, dass der Druck jenseits dieser Zäune nicht verschwindet, sondern sich schlicht bis zur Unbeherrschbarkeit aufstaut?
Es gibt einen Blickwinkel, aus dem all das beunruhigend nachvollziehbar erscheint: Er besagt, dass Menschen nicht plötzlich verrückt werden. Sondern dass sie nur vorübergehend leidlich vernünftig waren. Als Folge der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs.
Denn tatsächlich leben wir in Europa derzeit in einer historisch absolut ungewöhnlichen, komfortablen Welt: Seit 70 Jahren herrscht weitgehend Friede. Wir leben zudem in einem Staatenverbund, in dem die wohlhabenderen Staaten ärmere Länder wie Polen oder Ungarn Jahr für Jahr mit mehreren Milliarden Euro unterstützen. Ein Prinzip, das über Jahrzehnte hinweg von der Bevölkerung abgesegnet oder doch wenigstens toleriert wurde. Weil den Allermeisten klar war: Das alles ist besser und brauchbarer und sinnvoller oder wenigstens preiswerter als 50-70 Millionen Tote, ein ruinierter Kontinent, Atombombe und Holocaust. Diese Erkenntnis war Konsens, sie musste nicht diskutiert werden. Und exakt diese Erkenntnis schwindet wie "Nie wieder Alkohol"-Schwüre am Tag drei nach dem Vollrausch. Nach 70 Jahren ist der Kater vorbei, und es sieht stark danach aus, als hätten die Europäer schlichtweg Lust aufs nächste Besäufnis. Kann man es verhindern? |