Was für eine Woche! Es waren die wohl turbulentesten fünf Handelstage der vergangenen sechs oder acht Jahre: Erst Tagesverluste von sieben, acht und mehr Prozent bei einigen Indizes, dann die überraschend deutliche Zinssenkung der US-Notenbank, die sich mit einem Zinsschritt von 75 Basispunkten zum ersten Mal seit dem 11. September 2001 zu einer derart drastischen Notfallmaßnahme genötigt sah.
Mit gutem Grund: Der DAX hatte innerhalb weniger Tage den kompletten Jahresgewinn aus 2007 wieder abgegeben, die seit dem Frühjahr 2003 aufgelaufenen Gewinne sind zu einem Drittel wieder futsch. Seit Anfang Januar haben die deutschen Standardwerte in der Spitze rund 21 Prozent verloren…
Recht unübersichtlich gestaltet sich die Nachrichtenlage am Freitagabend: Mehrere Banker in Paris und London sind der Meinung, ein Händler von der Société Générale habe mit seinen betrügerischen Milliardenspekulationen zu dem Kursbeben an den Börsen weltweit beigetragen. Die plötzlichen Milliardenverluste, die der französischen Traditionsbank entstanden waren, hätten erheblich zur Verunsicherung der Märkte und zu den Turbulenzen an den Börsen mit geführt.
Im Klartext: Weil die US-Börsen am Montag geschlossen waren, fanden die in Schieflage geratenen Derivate der Großbank nur wenige Käufer. Die pessimistische Stimmung am Markt verschärfte die Situation. Die Kurse fielen, und es kam zu Panikverkäufen. Diese veranlassten letztlich die US-Notenbank zu ihrem Zinsschritt. Es bleibt die Frage, ob hier einfach nur Dinge beschleunigt wurden, die ohnehin passiert wären…
Und jetzt? Was bleibt, sind total zusammen gefaltete Depots, zumindest wird das bei vielen Anlegern so sein. Und es war so wie immer an der Börse: Der Crash kam zu einem Zeitpunkt, da so gut wie niemand damit gerechnet hatte. Januar, ein traditionell starker Börsenmonat, und dann noch ein Wahljahr in den USA, was sollte da schief gehen?! Nun ja, an der Börse kann so einiges daneben gehen, diese Lektion zumindest dürfte mancher in diesen Tagen schmerzhaft gelernt haben…
Doch blicken wir nach vorne:
Eine der Grundregeln antizyklischen Investierens lautet, dass man genau dann euphorisch werden sollte, wenn allen anderen der Angstschweiß auf der Stirn steht. So gesehen müssten wir Kontra-Anleger jetzt wahre Freudentänze aufführen. Das tun wir jedoch nicht, jedenfalls im Moment. Die Kunst besteht letztlich darin, den durch antizyklisches Vorgehen geprägten Optimismus der allgemeinen Stimmungslage anzupassen. Das ist das Eine. Dabei darf man aber nicht übers Ziel hinausschießen, muss die Fakten einordnen und ins rechte Licht rücken. Keine ganz einfache Übung…
Sehen wir uns einmal an, was derzeit passiert: In den Medien scheint weitgehend Einigkeit darin zu bestehen, dass die Hausse zu Ende ist. So vergleicht etwa „Die Zeit“ die gegenwärtigen Verwerfungen im Finanzsystem mit einer schweren Bankenkrise in den USA, die im Jahr 1857 zur ersten Weltwirtschaftskrise geführt hatte. Zahllose weitere Beispiele in wichtigen Medien deuten in eine ähnliche Richtung.
Und auch viele Experten sind erkennbar nervös. So warnte kürzlich etwa ein Kollege, der in der Vergangenheit schon mehrfach durch lausiges Timing aufgefallen war, vor einem DAX-Stand von 3.000 Punkten. Auch solche Aussagen werten wir als Kontra-Indikation: Sehr häufig ist das vorläufige Ende einer Abwärtsbewegung genau dann erreicht, wenn Experten derart haarsträubende Kursziele ausrufen.
Erstaunlich einig sind sich auch die Charttechniker, was aber nachvollziehbare Gründe hat: Nach dem Bruch wichtiger Trendlinien wird die Hausse seit 2003 aus technischer Sicht erst einmal offiziell begraben. Da überrascht es nicht, dass die aktuelle Umfrage der American Association of Individual Investors (www.aaii.com) mit einem Anteil der pessimistisch eingestellten Anleger von fast 60 Prozent auf ein wichtiges Stimmungstief hindeutet.
Es ist typisch Börse, dass sich exakt in diesem Umfeld völlig unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit erste Stabilisierungstendenzen zeigen: Klammheimlich hat etwa in dieser Woche der US-Transport-Index ein Kaufsignal geliefert und dabei am Mittwoch eine derart starke Vorstellung abgegeben, sodass das vorangehende Baisse-Signal wieder aufgehoben wurde:

Auch am Freitag setzte der Transport-Index seine Kletterpartie gegen den schwachen Trend bei S&P 500 und Dow Jones fort. Diese Stärke der Transport-Unternehmen darf man nicht unterschätzen: Es war eben jener Transport-Index, der bereits im Herbst vergangenen Jahres durch einen markanten Rückschlag, der vom Dow Jones zunächst nicht bestätigt wurde, nahendes Unheil angekündigt hatte. Wir hatten die Leser des Antizyklischen Börsenbriefs seinerzeit darauf aufmerksam gemacht.
Warum die Entwicklung bei den Transport-Unternehmen so bedeutsam ist, wird deutlich, wenn man sich die Zusammenhänge vor Augen führt: Die Kurse dort können nur dann nachhaltig zulegen, wenn die produzierenden Unternehmen aus dem Dow Jones steigende Gewinne melden, also mehr Waren hergestellt haben.
Wenn mehr produziert wurde, müssen diese Güter zu den Kunden transportiert werden. Steigende Kurse bei den Industriewerten müssen demnach von den Transportwerten bestätigt werden. Folglich sollte ein Investor sowohl den Industrieindex als auch den Transportindex beobachten. In der Regel muss ein Hoch oder auch ein Tief beim Dow Jones vom Transport-Index bestätigt werden – und umgekehrt.
Nun hat der Transport-Index in dieser Woche erstmals seit längerer Zeit wieder deutlich besser abgeschnitten als der Dow, die folgende Abbildung zeigt es: Anders als der Weltleitindex (rote Linie) konnte der Transport-Index (blau) die jüngste Abwärtsbewegung beenden. Auch die Umsätze waren dabei recht ansehnlich (grüne Markierung):

Noch ist es allerdings viel zu früh, um hieraus eine Entwarnung abzuleiten. Und bitte keine übereilten Aktionen: Sollte beim Transport-Index mehr als nur ein Strohfeuer abbrennen, wird es in den kommenden Wochen ausreichend Kaufgelegenheiten geben. Die Anleger sind jetzt hochgradig nervös, Kursschwankungen in beide Richtungen sind garantiert.
Doch man muss die Sache mit dem Transport-Index sehr genau beobachten – denn auch der Trendbruch bei einigen Indizes, der jetzt von vielen Charttechnikern beklagt wird, könnte sich am Ende als Fehlsignal entpuppen. Nehmen wir beispielsweise den TecDAX. Dort, wie auch bei den Nebenwerten aus SDAX oder MDAX hat der jüngste Ausverkauf ganz besonders gewütet. Der Kursverlauf bei den deutschen Technologieaktien zeigt jedoch, dass der seit Frühjahr 2003 bestehende Aufwärtstrend zwar unterschritten, anschließend aber sofort wieder zurückerobert wurde. Auch hier sind die Umsätze bemerkenswert (rote Markierung):
 Das ist allerdings auch keine Überraschung: Derart markante und lang andauernde Trends werden nur äußerst selten im ersten Anlauf nach unten durchbrochen. Im Zusammenhang mit der jüngsten Zinsentwicklung macht die auffallend starke Gegenreaktion der Technologiewerte allerdings auch Sinn: Wegen der traditionell hohen Verschuldung vieler Technologieunternehmen ist die Zinsentwicklung hier von besonderer Bedeutung.
Wäre es also möglich, dass in einer grandiosen Veranstaltung sämtliche Experten und Analysten an der Nase herumgeführt werden und die Kurse in den kommenden Wochen zu einer Aufholjagd ansetzen, bei der im Laufe des Jahres die alten Hochs wieder angegangen werden? Unvorstellbar, nicht wahr?. Gerade jene Gedanken, die völlig utopisch erscheinen haben an der Börse allergrößte Aussichten, Realität zu werden. Das Dumme ist nur: Einen DAX von 3.000 oder 4.000 Punkten, den hat eben auch so gut wie niemand auf der Rechnung.
Warum wir im Moment unseren Optimismus zügeln und vorerst nur mit einer technischen Reaktion auf das jüngste Debakel rechnen, hat deshalb auch gute Gründe:
Die Rating-Agentur Standard & Poor´s hat in dieser Woche ihre Gewinnerwartungen für die US-Unternehmen deutlich zurück genommen. Für 2007 rechnen die Analysten mit einem Gewinnrückgang bei den Firmen aus dem S&P 500 von 3,8 Prozent. Hauptursache hierfür ist eine Gewinnrevision für das vierte Quartal in Höhe von stattlichen 19 Prozent. Für 2008 sind die Auguren derzeit noch recht optimistisch: Das laufende Jahr steht im Moment mit geplanten Zuwächsen in Höhe von fast 13 Prozent in den Büchern der Rating-Agentur.
Angesichts der jüngsten Entwicklungen scheint das sehr optimistisch. Dass die Verfallszeit solcher Prognosen recht kurz sein kann, das zeigen ja gerade die aktuellen Neueinschätzungen von Standard & Poor´s.
Geht man davon aus, dass die Rezession in den USA wegen der Hypothekenkrise und des damit verbundenen Rückgangs der US-Konsumausgaben erst an ihrem Anfang steht, dann dürfte auch das Ende der Abwärtsbewegung bei den Aktienkursen noch nicht erreicht sein. Zwar muss man dabei berücksichtigen, dass die Kurse bereits wieder ansteigen werden, wenn die Lage am schlechtesten aussieht, doch bis dorthin kann es noch eine ganze Weile dauern:
In der Vergangenheit haben Phasen einer konjunkturellen Flaute an den US-Börsen im Durchschnitt zu Kursverlusten zwischen 20 und 30 Prozent geführt. Nimmt man an, dass es sich im vorliegenden Fall „nur“ um eine durchschnittliche Rezession handelt, bliebe beim S&P 500 im schlechtesten Fall noch Platz bis in den Bereich von 1.100 Zählern. Was das bedeuten könnte, zeigt die folgende Abbildung: Bis zur grünen Linie ist noch reichlich Platz für so manch verzweifelten Börsenkommentar:

Und meist enden derart dramatische Kursbewegungen, wie wir sie zuletzt gesehen haben, leider nicht im ersten Anlauf. Doch zur Beruhigung sei gesagt: 20 Prozent Kursverlust sind bei den wichtigsten Indizes bereits erreicht, es könnte also auch schon überstanden sein.
Es ist jedenfalls sehr wahrscheinlich, und wäre zudem typisch Börse, wenn jetzt inmitten der Verzweiflung erst einmal eine Phase der Beruhigung einsetzte. Ein gefundenes Fressen für kurzfristig agierende Spekulanten zwar, längerfristig sind dagegen weitere Turbulenzen wahrscheinlich.
Im gegenwärtigen Umfeld sollten daher nur erfahrene Börsianern einsteigen, die gegebenenfalls schnell wieder die Reißleine ziehen. Für längerfristige Engagements ist jetzt nicht die richtige Zeit, wie auch unser Trading-Tool auf Basis der Nasdaq-Notierungen zeigt: Im Dezember hatte der Indikator gleich zweimal ein Kaufsignal angekündigt, dann aber wieder auf „verkaufen“ gedreht (rote Markierung).
Als überzeugte Kontra-Anleger sehen wir die Sache im Moment naturgemäß sehr gelassen und freuen uns schon auf die Schnäppchenjagd der kommenden Monate. Doch im Moment halten wir uns lieber noch etwas zurück:
So könnte sich etwa das häufig vorgebrachte Argument, die Gründe für die dramatische Kursschwäche seien allesamt bekannt, und könnten daher keine weiteren Kursverluste auslösen, am Ende als Bumerang erweisen: Es könnte ja auch sein, dass Entwicklungen zwar bekannt sind, irgendwann das Fass aber trotzdem überläuft. Abwarten ist hier unsere Devise.
Und dass fallende Zinsen zu steigenden Aktienkursen führen, ist ebenfalls keineswegs sicher: Schon während der Baisse 2001 bis 2003 war es genau anders herum: Die Aktienkurse stiegen nach der ersten Zinssenkung Mitte 2001 zunächst zwar einige Monate an, tauchten dann aber umso dramatischer ab. Der Boden wurde erst im Frühjahr 2003 erreicht.
Man sollte aber auch nicht zu schwarz sehen, denn natürlich kann es auch ganz anders kommen: Zuversichtlich stimmt etwa die Beobachtung, dass der Dow Jones Index aktuell an einer Unterstützungszone angekommen ist, die bis in das Jahr 1999 zurückreicht:

Solche „Beton-Marken“ können einiges aushalten. Man erinnere sich nur an den Kampf um die 11.500 Zähler beim Dow Jones, die den Anlegern jahrelang Kopfzerbrechen bereitet hat.
Und wenn Flaggschiffe wie Microsoft (US-Kürzel MSFT) oder Nokia (US-Kürzel NOK) derart überzeugende Zahlen vorlegen, wie in der vergangenen Woche geschehen, dann kann es um den Zustand in weiten Teilen der Wirtschaft nicht so schlecht bestellt sein, wie das in zahlreichen Kommentaren jetzt zu lesen ist.
Das dürfte etwa auch für die aufstrebenden Regionen gelten, die sich weiterhin viel robuster zeigen als in früheren konjunkturellen Schwächephasen. So gab der US-Mischkonzern General Electric (US-Kürzel GE) kürzlich bekannt, man sehe derzeit keinen Nachfragerückgang in den aufstrebenden Märkten. Insbesondere Anlagen und Maschinen aus dem Infrastrukturbereich seien stark nachgefragt, ebenso der gesamte Energiesektor. Auch die Finanzierung sei gesichert. Ähnlich hatten sich kürzlich auch IBM (US-Kürzel IBM) und Philips (WKN 940602) geäußert.
Fazit und Empfehlung:
Wir gehen davon aus, dass sich die Märkte zunächst stabilisieren werden. Mehr als eine technische Gegenreaktion auf das vorangegangene Debakel ist unserer Ansicht nach im Moment aber unwahrscheinlich. Eine erste Beruhigung kann sich durchaus einige Wochen hinziehen.
Wer die jüngste Ausverkaufsstimmung antizyklisch genutzt hat, der sollte beizeiten daran denken, Gewinne mitzunehmen. Beim S&P 500 gilt vorerst der Bereich um 1.370 bis 1.400 Punkte als obere Begrenzung. Allgemein gilt: Bleiben Sie vorsichtig, das Börsenfahrwasser wird noch ein ganze Weile unruhig bleiben.
Längerfristig angelegte Engagements haben vorerst keine Eile. Vergessen Sie eines nicht: An den Märkten wurde zuletzt sehr viel Porzellan zerschlagen. Nach Kursverlusten wie wir sie zuletzt gesehen haben, ist die psychologische Verfassung der meisten Börsianer derart angeschlagen, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis sich ein neuer Aufwärtstrend etablieren kann.
Doch jede Medaille hat zwei Seiten - das Gute an dem dramatischen Jahresauftakt: Es gibt jetzt haufenweise Schnäppchen, mit denen geduldige Langfrist-Anleger nach einer Beruhigung der Lage stattliche Gewinne einfahren werden. Doch leider wird das alles nicht über Nacht gehen: Die gegenwärtige Situation ist daher für langfristig agierende Anleger eine willkommene Gelegenheit, zwei der wichtigsten Börsianer-Tugenden zu üben: Nerven behalten und geduldig abwarten.
Ein erholsames Wochenende wünscht
Ihr Andreas Hoose
Zum Autor:
Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs und Geschäftsführer des Antizyklischen Aktienclubs. Börsenbrief und Aktienclub, das komplette Servicepaket für die Freunde antizyklischer Anlagestrategien! Informationen finden Sie unter www.antizyklischer-börsenbrief.de und http://www.antizyklischer-aktienclub.de |