HANDELSBLATT, Sonntag, 8. Juni 2008, 17:05 Uhr „Herausforderung statt Krise“ Ölbosse sehen Preissprünge gelassen Die Rekordjagd der Ölpreise hat am Wochenende unter Politikern, Verbrauchern und Börsenhändlern weltweit Schock und Besorgnis ausgelöst. Bei den im 8 000 Kilometer entfernten russischen St. Petersburg versammelten Ölbossen kam der am Freitag in New York entfachte Sturm auf dem weltweiten Erdölmarkt dagegen nur als laues Lüftchen an. Die Aufregung über den blitzartigen Anstieg von elf Dollar auf den neuen Rekordpreis von 139 Dollar je Barrel ließ die Chefs der großen Energiekonzerne Exxon-Mobil, Shell, BP, Chevron, Conoco-Phillips und Total auf einem Internationalen Wirtschaftsforum am Wochenende eher unberührt. Von einem weltweiten Ölschock sei keine Rede, man könne auch weiterhin die gewünschten Mengen liefern, verkündeten die Top- Manager. "Das ist keine Ölkrise wie 1973, sondern vielmehr eine Herausforderung", erklärte Chevron-Chef David O'Reilly. Das größte Problem seien in den USA wie auch sonst vielerorts auf der Welt staatliche Restriktionen bei der Erschließung neuer Vorkommen.
Die Energieminister der G8-Staaten standen auf ihrem Gipfel im japanischen Aomori dem rasant gestiegenen Ölpreis derweil hilflos gegenüber. Die Bundesregierung zeigte sich alarmiert. Australiens Ministerpräsident Kevin Rudd forderte größeren Druck auf die Opec zur Förderung von mehr Rohöl. Das Kartell zeigte sich jedoch unbeeindruckt. In Indonesien ließen sich Studenten aus Protest gegen hohe Benzinpreise die Lippen zunähen. Die Finanzmärkte - so auch in Frankfurt - machten sich auf eine turbulente Woche gefasst.
Der Ölpreis war am Freitag um knapp neun Prozent auf einen neuen Rekord von mehr als 139 Dollar je Barrel geklettert. Es handelte sich um den größten je verzeichneten Anstieg in Dollar innerhalb eines Tages. "Es ist überwältigend, absolut verblüffend", sagte Chris Feltin, Analyst bei Tristone Capital. Einige Experten rechneten damit, dass ein Barrel Anfang Juli mit Beginn der Ferienzeit in den USA über 150 Dollar kosten könnte, was sich an den Zapfsäulen bemerkbar machen dürfte.
Exxon-Mobil-Boss Rex Tillerson machte derweil in St. Petersburg den Griff vieler Staaten weltweit auf die eigenen Energieressourcen als Gefahr aus. Ein solcher "Energie-Nationalismus" sei ein gefährlicher Isolationismus. Bekenntnisse zur Liberalisierung der eigenen Märkte wären wichtige Signale für eine Entspannung auf dem Ölmärkten. "Die Ölindustrie braucht freien Handel, Rechtssicherheit und offene Märkte", sagte Tillerson. Nur so ließen sich die Förderkapazitäten sichern.
Dennoch: Die aktuelle Preisspirale bleibt auch für die Ölkonzerne nicht folgenlos. Denn mit den Preisen setzten auch die eigenen Produktionskosten zum Höhenflug an. "Ein junger Ölingenieur ist mittlerweile teurer als ein Wall-Street-Banker", berichtete der US-Wissenschaftler und Branchenkenner Daniel Yergin in St. Petersburg. Schenkt man den Ankündigungen der Energiebosse Glauben, dürfte die Aufregung über die rasant steigenden Ölpreise bald Schnee von gestern sein. Mehrheitlich vertraten die Diskussionsteilnehmer die Überzeugung, dass die Preise in den kommenden Jahren wieder deutlich sinken werden. In einer anonymen Umfrage tippten die Großen der Branche auf einen Preis von 70 bis 100 Dollar je Barrel Öl im Jahr 2010.
Doch das hilft aktuell wenig. Den wachsenden Ärger über den steilen Preisanstieg bekommt Australiens Regierungschef Rudd schon jetzt zu spüren. Es sei Zeit für die G8, bei der Opec wirklich Druck zu machen, sagte er deshalb am Sonntag dem Fernsehsender Channel Ten. Doch die Opec sieht die jüngste Rekordjagd Kreisen des Kartells zufolge nicht als Anlass für eine Sondersitzung.
Wie in Australien fällt auch in Spanien der Ärger der Menschen auf die Regierung zurück. Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero warf seinerseits der Europäischen Zentralbank (EZB) vor, für den jüngsten Rekord verantwortlich zu sein. EZB-Chef Jean-Claude Trichet habe mit seiner ungewöhnlich deutlichen Äußerungen über eine baldige Zinserhöhung den Dollar in den Keller geschickt und so die Rekordjagd ausgelöst.
"Der Anstieg des Ölpreises wird zur realen Gefahr für die Weltwirtschaft", sagte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) am Sonntag der Nachrichtenagentur Reuters. Glos forderte gemeinsame Anstrengungen von Verbraucher- und Erzeugerländern, um die Entwicklung beim Ölpreis zu stoppen. In Deutschland müssen sich die Verbraucher zudem noch in diesem Jahr auf weitaus stärkere Sprünge bei dem an den Ölpreis gekoppelten Gaspreis einstellen als bisher erwartet. Über die bekannten 25 Prozent hinaus könne es noch einmal eine Erhöhung um bis zu 40 Prozent geben, sagte der parlamentarische Staatssekretär Michael Müller der "Welt am Sonntag". Grund seien Spekulationsgewinne und der hohe Ölpreis.
"Das ist ein Schock", sagte US-Energieminister Sam Bodman zum neuen Preisrekord. Er forderte deshalb ein Ende staatlicher Treibstoff-Subventionen. Südkorea kündigte praktisch zeitgleich an, angesichts des Rekord-Ölpreises ärmere Bürger mit Milliarden-Hilfen beim Benzin-Kauf entlasten zu wollen. Für die kommenden zwölf Monate würden umgerechnet 6,5 Mrd. Euro bereitgestellt. In Indonesien hatte die Regierung dagegen jüngst die Hilfen gekürzt und den Benzinpreis um 30 Prozent angehoben.
Russland kündigte unterdessen Steuererleichterungen für Ölkonzerne in Höhe von bis zu 8,4 Mrd. Dollar an. So solle die Produktion angekurbelt werden, da die bereits angebotenen Steuerkürzungen dafür nicht ausgereicht hätten, sagten Regierungsvertreter am Rande des Wirtschaftsforums in St. Petersburg. Russlands neuer Präsident Dmitri Medwedew feierte sein Land dort als neue Wirtschaftsmacht. Russland ist nach Saudi-Arabien weltweit der zweitgrößte Erdölexporteur, aber nicht Mitglied der Opec. http://www.handelsblatt.com/News/Unternehmen/...pruenge-gelassen.html |