Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen im Iran Interview mit dem Schriftsteller Navid Kermani Moderation: Jürgen Liminski
Der iranisch-stämmige Schriftsteller Navid Kermani ist der Auffassung, es gebe "sehr viele Indizien", die auf Regelverstöße bei den Präsidentschaftswahlen im Iran hindeuten. Die Reformkandidaten sprächen offen von Wahlbetrug. Sogar der konservative Wahlsieger Rafsandschani räume Unregelmäßigkeiten ein, so Kermani.
Jürgen Liminski: Wandel durch Annäherung, so hieß lange Zeit die Losung für die Diplomatie im Umgang mit Diktaturen, insbesondere der kommunistischen, aber auch der islamischen. Im Falle Iran ist das anders: Man gibt sich freundlich, mal bedrohlich. Jetzt, da das Land im dritten Jahrzehnt der Mullahchie steht und sich anschickt, die Bombe zu basteln, gibt man sich ratlos. Offenbar gilt das auch in punkto Wahlen. Zur Zeit wird im Iran ein neuer Staatspräsident gewählt und die Wahl liefert Überraschungen. Der Vorwurf des Betrugs liegt in der Luft. Dazu begrüße ich Navid Kermani, er ist Islamwissenschaftler, stammt selber aus dem Iran und lebt in Deutschland. Guten Morgen, Herr Kermani.
Navid Kermani: Guten Morgen.
Liminski: Herr Kermani, das Ergebnis der Wahlen, nämlich 21,2 Prozent für den Favoriten Rafsandschani und 19,3 Prozent für den totalen Außenseiter Ahmadinedschad widerspricht allen Einschätzungen und Erwartungen. Gibt es Indizien für einen Wahlbetrug?
Kermani: Ja, die gibt es. Es gibt inzwischen sogar sehr viele Indizien und Hinweise, auch Beobachtungen von Wählern. Die Reformkandidaten sprechen offen und ganz laut von Wahlbetrug. Sie sagen, sie haben Beweise, die sie vorlegen werden, Videobänder, abgehörte Tonbänder. Sogar der doch eher konservative Wahlsieger Rafsandschani spricht in seiner neuesten Erklärung von Unregelmäßigkeiten und von Betrügereien, von Einfluss der freiwilligen Milizen, der radikalen Milzen. Hier sieht es offenbar nach Betrug aus, nicht in dem Maße, dass man jetzt einfach den Ahmadinedschad von Null auf 100 gebracht hat, aber doch so, dass es für ihn gerade noch gereicht hat für den zweiten Platz und für die Stichwahl.
Liminski: Aber das Regime hätte einen Wahlbetrug doch gar nicht nötig. Es sitzt fest im Sattel und die geistlichen Parallelstrukturen garantieren die letzte Entscheidung für die Mullahs. Warum sollte man einen Hardliner begünstigen wollen? Mit einem Reformer könnte man doch viel besser nach außen Pluralismus demonstrieren?
Kermani: Da sind zwei Gründe zu nennen. Zum Einen war speziell einer der Reformer, Mustafa Moin, der in den ersten Hochrechnungen noch auf dem ersten Platz lag, der dann abgeschlagen in dem offiziellen Wahlergebnis auf dem fünften Platz landete, der hatte doch ein Reformprogramm vorgelegt, das über den jetzigen Präsidenten hinausgeht. Der hatte versprochen, ein Kabinett zu bilden mit Dissidenten, mit Leuten, die eigentlich zum Teil auch im Gefängnis waren. Vor dem hatte man sich schon ein bisschen gefürchtet. Man war auch diesen ganzen Machtkampf mit Khatami leid, man wollte endlich wieder alleine regieren. Zum Zweiten, und das ist vielleicht viel wichtiger, auch innerhalb der Konservativen ist man zutiefst zerstritten, das Verhältnis von Khamenei und Rafsandschani, dem möglichen Nachfolger von Khatami, ist nicht sehr gut. Rafsandschani ist selbst sehr ehrgeizig und Ahmadinedschad ist unter all den konservativen Kandidaten der einzige gewesen, der wirklich noch an diese Lehre der Herrschaft des Rechtsgelehrten, also an die absolute Autorität des geistigen Revolutionsführers, der an diese Lehre noch wirklich im religiösen Sinne glaubt, der sich selbst versteht als mehr oder weniger Büroleiter des Revolutionsführers. Er ist der Einzige, der sich wirklich absolut in die Abhängigkeit vom Revolutionsführer begeben würde. Die anderen konservativen Kandidaten, die sind zwar konservativ, die wollen das System erhalten, aber die wollen vor allem selbst auch Macht haben, die wollen Einfluss haben. Dann wäre der Machtkampf unter veränderten Vorzeichen im Iran weitergegangen.
Liminski: Es gab keine ausländischen Wahlbeobachter. Wer kann das Ergebnis eigentlich überprüfen?
Kermani: Naja, es gibt ja innerhalb des Systems sehr viel Opposition. Das Innenministerium ist nicht identisch mit dem Wächterrat, es ist gespalten. Wenn jetzt zum Beispiel der Karrubi, der unterlegene Reformkandidat davon spricht, es gibt abgehörte Tonbänder, dann kommen die wahrscheinlich aus dem iranischen Geheimdienst, aus jenen Kreisen, die eher für Reformen sind. Zum Zweiten gibt es im Iran mittlerweile eine starke Gegenöffentlichkeit, allein das Internet, es gibt mittlerweile 100.000 Webblogger, die selbst das Geschehen verfolgen. Es gibt Zeitungen, die zum Teil erscheinen, zum Teil erscheinen sie im Internet, es gibt die persischsprachigen Dienste der Auslandssender. Das wird alles nicht reichen zu einem offiziellen Beweis, aber die Beobachtungen und Hinweise sind mittlerweile so stark, dass zumindest im Iran kaum noch jemand an diesem Betrug zweifelt. Der moralische Sieg der Konservativen mit dieser angeblich hohen Wahlbeteiligung und der Niederlage der Reformen, der hat sich jetzt schon verwandelt in ein zumindest sehr zweischneidiges Schwert.
Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/387620/
Ciao!
PS Zitat: "Sollten die dann nicht eher den gemäßigten Kanditaten wählen?" Bisher dachte ich immer, es gäbe keine dummen Fragen - na ja, da habe ich mich anscheinend geirrt. Wahlbetrug und Wahlfälschung "gibt es natürlich nicht" im Iran, denn der scheidende Präsident Chatami als auch das Innenministerium hätten dies bestätigt. Der ultrakonservative Wächterrat bewertete die Wahl als "ordnungsgemäß" und hat "keinen Betrug" festgestellt. *lol*
PPS Ein Zitat aus http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=a&id=489461: "Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi sagte indes Sonntag, sie werde die Stichwahl boykottieren. So lange der Wächterrat im Vorfeld einer Wahl deren Kandidaten aussuche und so den Menschen vorschreibe, unter wem sie zu wählen hätten, könne man nicht von einer wirklichen Wahl sprechen."
PPPS Abflug: 18:05 am Sonntag, 26. Juni 2005 von Frankfurt/Main, Deutschland, Ankunft: 01:25 am Montag, 27. Juni 2005 in Teheran, Iran (Terminal 2) - wahrscheinlich jeden Sonntag. Viel Spaß Pate100, im "Land der Freiheit und Demokratie", in dem jeder das Recht hat, zu glauben, was der ultrakonservative Wächterrat vorschreibt! Hahaha...
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