Aus der Tonne in den Tank
( Mitarbeiter HB ) Andreas Schulte Köln
Noch ist es nur ein matschiger Baugrund, zu dem gerade erst die Zufahrtsstraße gebaut wird. Aber wenn es nach David Ryan geht, wird auf dem "Protos" getauften Industriegelände in der Nähe von Manchester in England schon bald ein zukunftsweisender Beitrag für die Energie- und Klimawende geleistet. Noch seien einige rechtliche Fragen zu klären, aber in der nahen Zukunft rechne man mit dem Baubeginn, kündigte der Geschäftsführer von Powerhouse Energy Ende März an.
Ryans Plan ist kühn: Er will Müll in Wasserstoff zum Beispiel für den Antrieb von Autos umwandeln. Die neue Anlage nutzt dazu verschiedene Plastikabfälle als Ausgangsstoff. Powerhouse Energy schreddert sie zunächst, dann werden sie in einem selbst entwickelten thermischen Verfahren in einem Reaktor unter Zugabe von Dampf und ohne Sauerstoff in Sekundenschnelle erhitzt und geschmolzen. Als Rest bleibt nur ein wenig Schlacke.
Als Hauptprodukt aber entsteht ein Synthesegas, aus dem der Wasserstoff abgeschieden wird. Nach Unternehmensangaben können so täglich bis zu 40 Tonnen Plastik in bis zu zwei Tonnen Wasserstoff umgewandelt werden. Im Frühjahr 2022 peilt Powerhouse Energy an, die Produktion aufzunehmen. Und das ist nur der Anfang: Der Umwelttechnik-Spezialist hat nach eigenen Angaben mehr als 70 weitere Standorte für Anlagen ausgemacht.
Immenses Potenzial
Mit dem Vorhaben ist Powerhouse Energy ein Vorreiter für einen neuen Weg der Wasserstoff-Erzeugung. Auch in den USA und in Deutschland entstehen derzeit ähnliche Anlagen, die freilich ihre Wirtschaftlichkeit noch unter Beweis stellen müssen. Das Potenzial ist jedenfalls immens. Allein in Deutschland fallen laut dem Umweltverband Nabu jährlich mehr als sechs Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. "Die Umwandlung von grünem Wasserstoff aus Abfällen kann einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Müllverbrennung darstellen", sagt Martin Gräbner, Direktor des Instituts für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (IEC) an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg - und so einen umweltschonenden Energieträger liefern.
Auch in Freiberg steht eine Anlage, die Plastikmüll in Wasserstoff umwandelt. Dazu wird der Abfall zunächst in einen Druckbehälter gegeben und anschließend in einem Reaktor bei bis zu 2000 Grad Celsius vergast. Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff werden über Rohrsysteme abgeleitet. Am Boden sammelt sich Schlacke, die im Straßenbau verwendet werden kann.
Nun will die Hochschule die Einsatzfähigkeit der Technologie in der Praxis nachweisen. Doch es fehlt das Geld. Für die Aufrüstung der Anlage und den Forschungsbetrieb rechnet Institutsdirektor Gräbner mit einem Millionenbetrag. "Partner aus der Wirtschaft zögern. Ihnen fehlt der Dauerbetriebsnachweis. Aber genau für den brauchen wir die Investoren - ein Henne-Ei-Problem", sagt er. Auch bei öffentlichen Geldern hat er wenig Hoffnung: "In Deutschland ist nur mechanisches Recycling zur Erfüllung der Recyclingquote gesetzlich anerkannt. Chemisches Recycling leider noch nicht", so der Forscher. Eine Förderung für die Herstellung von Wasserstoff sei ebenso wenig in Sicht. "Auf nationaler Ebene wird das übliche Herstellungsverfahren der Elektrolyse bevorzugt."
Die Verfechter der Wasserstoffgewinnung aus Müll führen jedoch an, dass ihre Methode günstiger ist. So verspricht der Anlagenbauer Plagazi die Herstellung aus Abfall für nur ein Viertel der Kosten des Elektrolyseverfahrens, bei dem Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Die Schweden wenden ein sogenanntes Plasmavergasungsverfahren an. "Als Futter für unsere Anlage dienen so ziemlich alle Abfälle, die eine Kantenlänge von fünf Zentimetern nicht überschreiten", sagt Robert Bock, Plagazi-Handelsvertreter in Deutschland. Derzeit sucht er unter anderem einen Dienstleister, der Flügel von Windrädern auf diese Größe schreddert.
Sind die Abfälle eingefüllt, wird in der Anlage eine elektrisch leitfähige Gaswolke, eine Plasmawolke, erzeugt. In einem Reaktor zersetzt diese bei einer Temperatur von mehreren Tausend Grad Celsius die geschredderten Abfälle in ihre atomaren Bestandteile. Der Wasserstoff, der so entsteht, dient dann als Energieträger. "Für das anfallende CO2 war zunächst eine Speicherung geplant, doch es zeigt sich, dass es auch dafür Abnehmer gibt", sagt Bock. Interesse zeige etwa eine Farm für medizinisches Cannabis, auch Schlachthöfe bräuchten Gas zur Betäubung von Tieren - oder es wird zur Produktion neuer Kunststoffe genutzt.
In Zusammenarbeit mit einem Kooperationspartner in den USA hat Plagazi das Plasmaverfahren bereits erfolgreich angewendet. In zwei Jahren sollen in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Recycler in Premnitz im Havelland die ersten beiden Anlagen hierzulande entstehen. Aus 40.000 Tonnen Abfall könnten dann jährlich - je nach Beschaffenheit - bis zu 6000 Tonnen Wasserstoff entstehen. Das Projekt stellt eine hohe Rendite in Aussicht. "Zum einen verdienen wir an der Übernahme der Abfälle etwa aus der Autoproduktion, zum anderen verkaufen wir als Endprodukt Wasserstoff", sagt Bock.
Eine Anlage ähnlicher Größenordnung soll 2023 auch in Lancaster im US-Bundesstaat Kalifornien an den Start gehen. Hier ist geplant, ebenfalls mit dem Plasmavergasungsverfahren jährlich 40.000 Tonnen Abfall in 3800 Tonnen Wasserstoff umzuwandeln. Die Kooperation der Stadt mit dem Unternehmen SG H2 Energy zeigt, dass auch die öffentliche Hand massiv profitieren kann. In Lancaster rechnet man damit, dass die Entsorgung des Mülls pro Tonne zwischen 50 und 75 Dollar günstiger wird. Durch die Anlage würde die Stadt jährlich also bis zu drei Millionen Dollar einsparen, hat SG H2 Energy errechnet. Die Produktionskosten pro Kilo Wasserstoff gibt das Unternehmen mit zwei Dollar an. Laut dem Hydrogen Council, einem Zusammenschluss von internationalen Unternehmen der Wasserstofftechnik, fallen bei der Herstellung per Elektrolyse derzeit gut fünf Euro an.
Mikrowellen im Einsatz
Einen weiteren Ansatz verfolgen Chemiker an der University of Oxford in England. Sie haben einen Weg gefunden, Wasserstoff über Mikrowellen aus Plastikabfällen zu gewinnen. Die elektromagnetischen Wellen erhitzen das Plastik dabei. Unterstützt von einer neuen Form von metallenen Katalysatoren zerfällt der Abfall in seine Bestandteile. Neben dem Wasserstoff wird dabei aber kein CO2 frei, sondern es entsteht fester Kohlenstoff in Form von Nanoröhrchen. Diese lassen sich nach Angaben der Wissenschaftler industriell nutzen. Ob mit dieser Methode die Umwelt allerdings nachhaltig entlastet werden kann, ist noch nicht geklärt. Die erfolgreichen Laborversuche der Forscher müssen sich noch auf industriellem Niveau beweisen.
Die Chancen dafür stehen gut: Experte Gräbner erwartet, dass die meisten der derzeit erforschten Verfahren zur Umwandlung von Plastik in Wasserstoff am Markt "eine Nische" finden werden. Hemmschuh ist allerdings noch die fehlende Infrastruktur für Wasserstoff. Damit sich der Betrieb lohne, müssten die Anlagen unmittelbar in der Nähe eines Werks stehen, das ihnen das Gas abnimmt.
6
Millionen Tonnen Kunststoffabfall fallen jährlich in Deutschland an.
Quelle: Nabu
DENKNACH:
Meine Meinung dazu:
Man sieht, wie stark die Konkurrenz unterwegs ist. Deshalb ist mE Zügigkeit angesagt. Wenn ich höre, dass es noch rechtliche Fragen gibt, gibt mir das zu denken. Hoffen wir, dass es bald los geht. Da ist viel Dynamik im Markt!! |