Dschihad in Amsterdam Nach dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh schlagen in den Niederlanden die Wellen der Empörung hoch. Nun wurde auch die islamische Minderheit zum Ziel von Anschlägen - Das Experiment des multikulturellen Miteinanders bricht zusammen
von Jan Kanter
Vier Jungen nutzen in einer Seitenstraße in Amsterdam-Ost den Herbstnachmittag und spielen gemeinsam Fußball. Wie Jungen so sind, haben sie eine Garageneinfahrt besetzt und spielen die Partie ihre Idole nach: Ajax gegen ManU. Einer der Kinder ist niederländischer, einer türkischer und zwei schwarzafrikanischer Herkunft. Sie zelebrieren das perfekte Bild der multikulturellen Harmonie.
Das Bild täuscht. Keine 150 Meter von der Garageneinfahrt entfernt wurde Anfang vergangener Woche der Filmemacher und Autor Theo van Gogh erschossen. Der Täter, ein 26jähriger mit niederländischem und marokkanischem Paß. Ein fanatisierter Moslem, nach allem was man bisher über Mohammed B. weiß. Ein Moslem, der sich durch Theo van Gogh derart provoziert sah, daß er zu Messer und Pistole griff und den 47jährigen regelrecht abschlachtete.
Dieser politische Mord empört die Niederlande nicht nur, weil ein beliebter, wenn auch querköpfiger Mitbürger getötet wurde. Er regt auch auf, weil nach der Ermordung des Politikers Pim Fortuyn bereits der zweite politische Mord innerhalb von zwei Jahren stattfand. Wellen der Empörung, zugleich der Konfrontation schlagen bis in den letzten Winkel des Privatlebens durch. Und dann kommt die Nachricht eines Aktionskünstlers, der an seine Hauswand in Rotterdam den Satz schrieb: "Du sollst nicht töten", geziert von einer Friedenstaube, als Protest gegen den Mord. Das Haus liegt gegenüber einer Moschee, der Imam legte Protest ein; die Polizei entfernte den Schriftzug umgehend.
Die Bürger Amsterdams und alle Niederländer sind entsetzt, wegen des Briefes, den der Täter seinem Opfer um ein Messer gewickelt in den Bauch rammte. Mit seinem Traktat ruft der Täter zu weiteren Morden auf. Ein zweiter Brief, den er als Abschiedsbrief bei sich hatte, zeigt, wie fanatisiert der 26jährige im Land gelebt hatte. Außerdem wurde die Polizei in der Woche nach dem Mord aktiv und verhaftete zahlreiche Marokkaner, die zum Umfeld des Mohammed B. gehörten. Ein Zeichen für ein Netzwerk im Land. Der Fraktionschef der Liberalkonservativen, Jurcius van Aartsen, faßte das unter dem Eindruck der Ereignisse mit dem markanten Satz zusammen: "Wir haben den "Dschihad im Land"."
Noch energischer reagierte VVD-Chef und Finanzminister Gerrit Zalm: "Wir müssen den Krieg gegen den Terrorismus beginnen", sagte Zalm nach einer Kabinettssitzung. Damit brachte er beinahe alle politischen Parteien der harmoniesüchtigen Niederlande gegen sich auf. Grünen-Chefin Femke Halsema warnte reflexartig: "Man darf auch in solchen Situationen den rechtsstaatlichen Boden nicht verlassen." Islamisten stellten unterdessen eine Morddrohung gegen einen Abgeordneten ins Internet. Immer deutlicher tritt zutage, was viele Niederländer, Regierung wie Medien in den vergangenen Jahren unter dem Deckmantel politischer Korrektheit versuchten unter einer aus Toleranz und Liberalität dichtgewebten Decke zu verbergen. Neben der freundlichen, weltoffenen Gesellschaft bestehen mindestens eine, eigentlich sogar mehrere Parallelgesellschaften der Immigranten. Es gibt große chinesische, surinamsche und indonesische Bevölkerungsgruppen im Land, die unter sich bleiben, genau wie die islamische Gemeinde. Probleme bereiten offenbar in erster Linie die Einwanderer aus Marokko. Dazu gehört Mohammed B. Aus dieser Gruppe entstammen aber, so der Eindruck der Bürger, auch all jene Kleinkriminellen, die den Menschen das Sicherheitsgefühl geraubt haben. Der Postjesweg in Westamsterdam beispielsweise ist fest in marokkanischer Hand. In dieser Straße, dominiert durch in den sechziger Jahren im Eiltempo erbauten Betonwohnblöcke, befindet sich die Al-Oumma-Moschee, in der Mohammed B. radikalisiert wurde. Auf den Straßen dominiert bei den Frauen das Kopftuch. Und es gibt ein weiteres untrügliches Zeichen, das den Amsterdamern zeigt, daß in einem Haus Menschen aus Marokko wohnen. In gewagten Positionen angebrachte Satellitenschüsseln, mit denen das wahre, für einen rechten Moslem das einzig anschaubare Fernsehen zu empfangen ist. Auch wenn am Morgen im Postjesweg alles ruhig, die Moschee abgesperrt und verlassen ist, müssen sich dort in den Tagen zuvor regelrechte Jagdszenen auf Niederländer beziehungsweise Weiße abgespielt haben. Marokkanische Jugendliche müssen, so die Erzählung, alle, die europäisch aussahen, mit Steinen beworfen und aus dem Viertel vertrieben haben. Die bisherigen Versuche der Stadt, das Problemviertel in den Griff zu bekommen, wirken angesichts der aufgeheizten Atmosphäre beinahe kläglich. Zuerst wurde versucht, die Häuser zu renovieren, um "bessere Mieter" anzulocken. Vergeblich. Zuletzt wurden Überwachungskameras installiert, aber auch das hat nicht viel geändert. Die Kameras auf öffentlichen Plätzen sind ein gutes weiteres Indiz für den Klimawandel im Land. Bisher galten die Niederländer als besonders liberal. Seit dem Mord an Fortuyn, der als erster das Unbehagen in Teilen der Bevölkerung entdeckte, und extrem seit dem Mord an van Gogh sind die Niederländer bereit, viele ihrer bisher heilig gehaltenen Grundwerte und -rechte über Bord zu werfen. Dazu gehört auch die Kontrolle öffentlicher Plätze. Mittlerweile patrouillieren sogar mehr Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste als Polizisten durch die Stadt.
§ schihad in Amsterdam (2)
Welche Probleme auf die Niederlande zukommen, thematisiert der Unternehmer Adjiedj Bakas, einst aus Surinam eingewandert: "Wir verlieren in den großen Städten die gesamte Mittelschicht. Hier leben bald nur noch die Eliten und die Unterschicht." Es gebe eine schleichende Abwanderung der Eliten, die das Land verließen. Sowohl Kapital und kluge Köpfe würden wegen der "marokkanischen Bedrohung" regelrecht ins Ausland fliehen. Die Regierung wäre gut beraten, sich mit Bakas Thesen auseinanderzusetzen. Der Mann ist einer der führenden Trendforscher des Landes, hat seinen Finger am Puls der Gesellschaft. Und der Puls der Niederländer geht derzeit extrem schnell: Nach dem Mord an Theo van Gogh mehrten sich die Zeichen, daß das Klima rauher wird. Zunächst berichteten die Zeitungen beinahe beiläufig, daß es in mehreren Moscheen Brände gegeben habe. Doch dann explodierte in der Nacht zum Montag ein Sprengsatz in einer Moslemschule in Eindhoven, und die Niederländer waren alarmiert. Alexander Sakkas, Bürgermeister von Eindhoven, versuchte nach der Tat, vermutlich begangen von selbsternannten, rechtsextremen Rächern van Goghs, die Wogen zu glätten und sprach von Wirrköpfen.
Daß sein Versuch, das multikulturelle Miteinander zu retten, nicht mehr als eine hilflose Geste war, schien dem Politiker wohl auch bewußt, denn er forderte bereits im nächsten Satz eine landesweite Debatte darüber, wie das Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen grundsätzlich geregelt werden kann. In den Niederlanden, die wegen ihrer gesellschaftlichen Experimentierfreude (Drogen, Sterbehilfe) als Labor für Trends bezeichnet werden, wird so manifest, was der Publizist Paul Scheffer im Jahr 2000 in einem heftig umstrittenen Artikel für die Zeitung "NRC Handelsblad" schrieb: Die Toleranz breche angesichts der schlechten Lage irgendwann zusammen. "Das multikulturelle Drama, das sich bei uns dann abspielt, könnte die größte Bedrohung für den gesellschaftlichen Frieden werden." Nach dem Mord an Theo van Gogh scheint es, als sei das multikulturelle Drama da.
Artikel erschienen am Di, 9. November 2004
gottesstrafe für ausufernde gottlosisgkeit. back to the roots, die wandlung vom "toleranten" gutmenschen zum rassisten geht schnell.
servus
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