Aus der Berliner Zeitung Archiv » 2007 » 11. April » Wissenschaft
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Wohlige Wärme aus dem Kanal Abwasser ist warm und eignet sich als Energiequelle. In einer Kreuzberger Sporthalle spart man auf diese Weise Gas
Wenn Rainer Kurz die Heizung der Sporthalle Baerwaldstraße überprüfen will, muss er vier Meter tief unter die Erde steigen. Denn dort verläuft der Abwasserkanal - und aus ihm stammt die Wärme für die Duschen und Heizkörper des Gebäudes. Die Sporthalle in Berlin-Kreuzberg ist das erste öffentliche Gebäude in Deutschland, das Abwasser als Wärmequelle nutzt. "Im vergangenen Winter haben wir rund achtzig Prozent der benötigten Wärmeenergie aus dem Kanal gewonnen", berichtet Kurz. Er ist Ingenieur beim Energieversorger Vattenfall, der die neuartige Anlage seit November betreibt. Wärme aus Abwasser - das klingt zunächst abwegig, ist aber eine sinnvolle Sache. In Deutschland werden pro Kopf und Tag rund 120 Liter Wasser verbraucht, das meiste davon zum Duschen, Baden, Waschen und Putzen. Dadurch ist das Abwasser im Kanal - je nach Jahreszeit - 12 bis 25 Grad Celsius warm. Diese Wärme würde rein rechnerisch ausreichen, um zwei bis drei Millionen Wohnungen in Deutschland zu heizen.
"Bei Abwasserheizungen fließt natürlich nicht das Schmutzwasser durch die Heizkörper", sagt René Schuchardt von der Energieconsultingfirma Eco.S, die die Anlage in der Baerwaldstraße geplant hat. Die Ingenieure des Berliner Büros ließen im Kanal unter der Sporthalle Wärmetauscher einbauen, um die Energie zu nutzen. Bei einem Wärmetauscher werden zwei getrennte Wasserkreisläufe unterschiedlicher Temperatur gekoppelt. Das wärmere Wasser heizt das kältere auf, ohne dass sich die beiden Kreisläufe vermischen.
In der Baerwaldstraße wurden 33 Meter Wärmetauscher aus Edelstahl in die Kanalsohle verlegt. Das warme Schmutzwasser strömt durch V-förmige Rinnen und gibt einen Teil seiner Wärme an kühles Wasser ab, das die doppelwandigen Rinnen durchströmt. "Dabei kühlt sich das Abwasser um rund ein Grad Celsius ab, das Wasser in den Rinnen erwärmt sich entsprechend", sagt Schuchardt. Eine Pumpe transportiert das Wasser aus den Wärmetauschern in die Heizzentrale der Sporthalle. Mit Temperaturen zwischen 8 und 16 Grad Celsius ist es allerdings bei weitem nicht warm genug, um damit die Halle zu heizen oder die Duschen zu versorgen. Daher brauchen Abwasserheizungen stets eine Wärmepumpe. Diese Maschinen enthalten einen geschlossenen Kreislauf, in dem ein Kältemittel zirkuliert. Das Kältemittel entzieht dem Wasser Wärme und wird in einem Kompressor verdichtet. Auf diese Weise erhitzt das Kältemittel sich auf bis zu 65 Grad Celsius und erwärmt das Wasser in einem Warmwasserspeicher, der die Heizkörper und die Duschen der Sporthalle versorgt.
An den meisten Tagen kommen die Sportler mit der Abwasserwärme aus. Wenn an besonders kalten Wintertagen mehr Wärme als normal gebraucht wird, schaltet sich automatisch eine Gasheizung dazu. Vattenfall-Ingenieur Rainer Kurz sieht die Berliner Sporthalle als Vorbild. Er ist überzeugt, dass sich mit Abwasser viele Schulen, Krankenhäuser, Schwimmbäder und Gewerbebetriebe in Deutschland heizen ließen. Daran glaubt auch Michael Kruse vom Bremer Ingenieurbüro Prosys. Am Beispiel einer Schule, eines Museums und einer Schwimmhalle in Bremerhaven berechneten die Prosys-Ingenieure Kosten und Nutzen einer Abwasserheizung und verglichen die Daten mit denen eines modernen Gasbrennwertkessels. Das Resultat: Würden die drei Gebäude allein mit Abwasser beheizt, könnte die Stadt jeweils 15 bis 20 Prozent der heute fälligen Betriebskosten sparen. Außerdem würden rund 25 Prozent der Kohlendioxidemissionen vermieden, da eine Abwasserheizung nur für die Wärmepumpe Strom braucht. Doch Abwasser lässt sich nicht immer als Wärmequelle nutzen. Das Verfahren kommt nur dann in Frage, wenn ein großer Kanal, der genug Abwasser führt, in unmittelbarer Nähe eines Gebäudes liegt. Das Gebäude muss zudem das ganze Jahr über ausreichend viel Wärme verbrauchen. Einfamilienhäuser und kleine Wohnblocks eignen sich nicht, weil sie nur im Winterhalbjahr geheizt werden. Die Wärmetauscher lassen sich problemlos einbauen, wenn der Kanal entweder gerade neu gebaut wird oder sanierungsbedürftig ist. Allerdings sind die Investitionskosten relativ hoch: Weil nahezu jeder Kanal eigene Abmessungen hat, müssen die Wärmetauscher maßgeschneidert werden.
In der Baerwaldstraße scheint man mit der Abwasserheizung zufrieden zu sein. Anderenorts kommt das System weniger gut an - zum Beispiel im Gesundheitshaus in Leverkusen. Das große Büro- und Geschäftsgebäude wird seit 2003 mit Abwasser geheizt. In den neu gebauten Kanal wurden 120 Meter Wärmetauscher verlegt. 500 000 Euro kostete das Projekt, 200 000 davon übernahm das Land Nordrhein-Westfalen. Doch die Abwasserheizung macht Ärger. "Die Wärmepumpe arbeitet nicht effizient, weil der Kanal nur halb so viel Abwasser führt wie man zuvor berechnet hatte", sagt Werner Gerwert von der Dortmunder Firma Harpen Energie Contracting. Für Kruse ist der Leverkusener Fall eine unrühmliche Ausnahme. Er ist überzeugt, dass in den kommenden Jahren mehr Kanalheizungen gebaut werden: "Abwasser ist ein regenerativer Energieträger, der als Wärmequelle gerade erst entdeckt wird." Der Münchener Stadtrat habe zum Beispiel kürzlich beschlossen, bei der Sanierung öffentlicher Gebäude stets zu prüfen, ob Abwasserheizungen möglich seien. Eine ähnliche Regelung plant, wie Kruse berichtet, auch die Stadt Nürnberg.
Darüber hinaus wird die Verbreitung der ökologischen Heizung dadurch gefördert, dass immer mehr Städte ihre Abwassernetze an private Firmen verkaufen, weil ihnen für die notwendige Sanierung der Kanäle das Geld fehlt. "Private Betreiber", sagt Kruse, "sind immer auf der Suche nach neuen Einnahmequellen." Je stärker die Öl- und Gaspreise stiegen, umso lukrativer werde der Verkauf der Wärmeenergie aus dem Abwasser. In Berlin könnte es bald mehr Abwasserheizungen geben. Im Laufe des Jahres will Vattenfall die Hauptstadt nach geeigneten Objekten durchforsten. "Wir suchen wir nach Standorten mit Gebäuden, die zehnmal mehr Wärme brauchen als die Sporthalle", sagt Rainer Kurz. Denn je mehr Kilowattstunden Wärme gewonnen und verkauft werden können, umso eher macht sich die neue Technik für das Unternehmen bezahlt. |