Folgender artikel stammt aus dem Handelsblatt vom 1.12.08
Ölsandindustrie kappt Investitionen Fallende Preise stellen die teure Gewinnung aus Teersand infrage
GERD BRAUNE | OTTAWA Wegen des drastischen Verfalls der Ölpreise und der globalen Finanzkrise kürzt oder verschiebt die Ölsandindustrie Milliarden-Investitionen. Im Sommer litt die kanadische Provinz Alberta unter Arbeitskräftemangel. Jetzt könnten Tausende Jobs verloren gehen.
Die Ölindustrie war bisher ein Antriebsmotor für Albertas und Kanadas Wirtschaft. Nun schrumpft Albertas Haushaltsüberschuss, das Wirtschaftswachstum wird im kommenden Jahr nur noch bei 0,3 Prozent liegen, der niedrigste Zuwachs seit 1986. „Der Kollaps der Energiepreise hat in kurzer Zeit den Dampf aus Albertas Energiesektor genommen“, urteilt Robert Kavcic von BMO Capital Markets in Toronto. „Zusammen mit den engeren Kreditbedingungen und immer noch hohen Kosten hat dies die Geschwindigkeit bei der Entwicklung neuer Projekte verlangsamt.“
Öl- oder Teersand ist ein Gemisch aus Sand, Ton und teerartigem Bitumen. Die abbaubaren Ölreserven in Alberta werden auf 173 Mrd. Barrel (je 159 Liter) geschätzt. Damit verfügt Kanada nach Saudi-Arabien (260 Mrd. Barrel) über die zweitgrößten Reserven. Das zähflüssige Bitumen wird in teuren und energieintensiven Prozessen aus dem Sand gelöst. Ölsand wird entweder im Tagebau abgebaut, um danach das Bitumen mit heißem Wasser vom Sand zu trennen, oder Bitumen wird „in situ“ gewonnen: Dabei wird heißer Dampf in den Boden gepumpt und flüssiges Bitumen abgesaugt.
Ölsandminen im Tagebau setzen einen Ölpreis von etwa 100 Dollar voraus, um Gewinne erwirtschaften zu können. Die auf Dampfinjektion basierenden Verfahren erfordern einen Preis von 70 bis 80 Dollar, meint Andrew Potter von UBS Securities Canada. „Angesichts der Kombination von hohen Kosten und niedrigen Rohölpreisen erwarten wir, dass sich noch einige Projekte verzögern werden“, urteilt Potter. Das von Premierminister Stephen Harper zur künftigen „Energie-Supermacht“ ernannte Kanada wird seine Wachstumsprognosen bei der Ölförderung zurückschrauben müssen. Das Land erzeugt täglich 2,75 Mio. Barrel Rohöl, davon 1,2 Mio. aus Ölsand, der Rest aus konventionellen Quellen. Kanada setzt vor allem auf den Ausbau der Ölsandförderung. 2020 sollten es nach einem im Sommer vorgelegten Modell 4,5 Mio. Barrel sein, davon 3,5 Mio. aus Ölsand. „Wir werden dieses Ziel nicht erreichen“, meint Richard Wyman, Vizepräsident von Canaccord Adams in Calgary. Angesichts der bisher verkündeten Verzögerungen bei Ölsandprojekten werde es nicht möglich sein, binnen zehn Jahren eine Verdreifachung der Förderung zu erreichen. „Wir können froh sein, wenn wir auf zwei bis 2,5 Mio. Barrel kommen“, meint er.
Bereits im Sommer deutete sich an, dass die Ölsandindustrie langsamer ausgebaut wird. Zwar stellte der hohe Ölpreis einen Investitionsanreiz dar, andererseits liefen den Konzern die Kosten davon. Sie begannen damit, Projekte zu strecken. Hinzu kam eine nach Ansicht Wymans verfehlte Politik der Regierung von Alberta, die die Förderabgaben angehoben hat. Damit sei die Provinz nicht wettbewerbsfähig. Nun hat der Einbruch des Ölpreises den Trend beschleunigt.
Das jüngste Beispiel ist Petro Canada, das mit UTS Energy und Teck Cominco das Fort-Hills-Projekt geplant hat. Im Sommer gab das Konsortium bekannt, dass die ursprünglich auf 18,8 Mrd. kanadische Dollar geschätzten Kosten etwa um 50 Prozent höher liegen werden. Als jetzt die Ölpreise in den Keller gingen, wurde die Notbremse gezogen. Die endgültige Entscheidung über den Bau der Ölsandmine wurde aufs nächste Jahr verschoben.
Bis vor wenigen Monaten hatten die Ölkonzerne noch Investitionen in Höhe von 125 Mrd. kanadischer Dollar bis 2015 geplant. Bereits jetzt seien Investitionen in Höhe von 40 Mrd. Dollar verschoben worden, errechnete die kanadische „Financial Post“. |