Mal ein Blick auf den Kassenhersteller bzw. Kassensystemanbieter Vectron aus Münster ( https://www.vectron-systems.com sowie https://www.ariva.de/vectron_systems_ag-aktie)
Das ist ein Paradebeispiel dafür, wie man disrupted wird. Die verkaufen seit x-Jahren Kassen und haben sich, wie 99% aller anderen Mittelständler nicht mit Digitalisierung befasst, obwohl es z.B. Paypal auch schon seit 20 Jahren gibt und Kartenzahlungen sowieso. Hinzu kam das klassische 3-Säulen-Vertriebsmodell: Herstellen, an Fachhändler verkaufen, und die dann an den Endkunden, hier Gastronomiebetriebe und Bäckereien. Sie waren also viel eher und näher an den Kunden dran, als Wirecard; doch Wirecard war näher an der Technologie dran und somit an der Wertschöpfungskette. Vectron hat vermutlich immer nur abgewartet und war zufrieden, so wie es war; aber Wirecard wollte verändern und zwar im Grundsätzlichen. D.h. nicht ein Produkt verändern, wie es viele Startups wie Sumup versuchten, sprich die Kasse zu einer App machen, sondern Wirecard setzte in der Wertschöpfungskette im Geschäftsmodell an, wie es alle erfolgreichen Startups tun. Schaut man sich Google, Amazon, Apple, Skype und viele mehr an, haben die alle das "Wie", also die Funktionsweise einer Branche verändert, statt einfach nur ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. IKEA, Southwest Airline oder Youtube sind ebenfalls zu nennen.
Und während Vectron auf Bestandskunden setzen konnte, musste Wirecard von vorne anfangen und verdammt viele Klinkenputzen, damit sich überhaupt Händler fanden, die Wirecard ausprobierten. Und während sinngemäß Vectron stehen blieb, ging es bei Wirecard erst mühsam voran, aber dann ab einer kritischen Masse wird es zum Selbstläufer. Vectron wusste nicht wie ihm geschah, sah sich urplötzlich vielen neuen Startups und Möglichkeiten ausgesetzt (Tischreservierungen online, Loyalitätsprogramme, Apps), war inhaltlich völlig überfordert und musste sich mit diesem Thema erstmal auseinandersetzen und begreifen, wohingegen es Braun und Co. völlig verinnerlicht haben und leben. Und sie musste Altes mit Neuem verbinden, was ungleich schwieriger ist, weil ja nicht nur die Denkweise sondern auch die Finanzierung und das Erlösmodell auf das "Alte" hin angepasst ist. Vectron kooperiert nun zwar mit bzw. übernahm diverse Firmen und entwickelte ihre Kassen weiter und haben nach wie vor eine Daseinsberechtigung. Aber im Grunde ist das alles ein Zusammengehen von Schwachen, in der Hoffnung gemeinsam stark zu werden. Wer hat bitteschön die Deutschlandkarte? Und Reservierungssysteme gibt es nach wie vor viel zu viele. Kartenzahlungen gehen an der Kasse ebenfalls weitestgehend vorbei, da die Terminals z.B. von Ingenico betrieben werden.
Lese ich mir die Geschäftsberichte von Vectron durch, geben die für "F&E" noch nicht mal eine Million Euro aus. Ihr ganzes Umsatz- und Gewinnpotential ruht auf der Umstellung der Kassensysteme ab 2020 wegen dringend gebotenen Änderungen in der Regulierung. Und selbst wenn sie jetzt auch vermehrt Datenanalytics anbieten, an die Datenbreite und -tiefe von Wirecard kommen sie niemals mehr heran und werden sicherlich eher durch die Trägheit ihrer Gastronomie- und Bäckerkunden gestützt, als durch neue Zusatzerlöse durch ein Digitalgeschäft. Wohingegen es bei Wirecard immer mehr und immer mehr Umsätze, Gewinne und neuen Anwendungen mit neuen Umsätzen und Gewinnen gibt.
Überhaupt muss man sich das mal vorstellen: Deutschland war mal führend in Bankautomaten (Nixdorf), hatte Kassenhersteller wie eben Vectron und auch die ganzen Handelsketten und Banken kamen nie auf die Idee, sich der Bezahlwelt anzunehmen. Außer Wirecard.
Dass sich nun ein IT-Systemhaus wie Cancom bzw. dessen Beteiligungsgesellschaft Primepulse an Vectron beteiligt, passt in das Bild der zahlreichen Übernahme, Fusionen und Geschäftsaufgaben aus den letzten 18 Monaten.
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