paris03:
Vorweg: Ja, 50 Euro war ein Irrtum. Offensichtlich war das nicht der Tiefpunkt. Andererseits, ob sich 50 Euro nicht auf längere Sicht als passabler Einstieg erweisen wird, ist noch garnicht raus. Auch wenn wir meinetwegen erst nächstes Jahr wieder bei 60 Euro stehen, hat sich das Investment dann in jedem Fall mit fast 20 Prozent Gewinn (plus ggfs. gezahlter Dividende) gelohnt. Selbst wenn sie erst in zwei Jahren bei 60 Euro steht, sinds immer noch fast 10 Prozent p.a. und damit weit über jeder anderen seriösen Anlageform (jetzt mal von anderen, besser performenden Aktien abgesehen).
Und selbst wenn jemand, der im Februar 2014 auf nem ähnlichen Level wie heute eingestiegen ist, quasi nominal auf null ist - er hat immerhin kein Geld verloren. Noch dazu hat er über die jährlich von Osram gezahlte Dividende eine Verzinsung seiner Anlage bekommen, die deutlich über dem Marktzins für sichere Anlagen lag. Außerdem: Warum ausgerechnet Februar 2014? Warum nicht Mitte 2013 betrachten, nur ein paar Monate früher, von wo aus die Aktie heute immer noch 60 Prozent im Plus ist? Ebenfalls noch im plus ist jemand, der Ende 2015 nach dem letzten großen Rückgang der Aktie beherzt zugegriffen hat.
Und ob du in den nächsten ein oder zwei Jahren mit deinem Trading ebenfalls 20 Prozent Nettogewinn gehabt haben wirst weil du dein Geld wieder aus Osram abgezogen hast, das kann dir niemand garantieren. Wie du weisst, machst du trotz allem hin und wieder doch Verlust, weil du ausgestoppt wirst. Und diesem Verlust musst du deutlich höhere realisierte Kursgewinne entgegen setzen, die du woanders - vielleicht, vielleicht auch nicht - haben wirst.
Für den Moment ist mein Investment schlecht gelaufen. Einverstanden. Aber da Aktien im großen und ganzen langfristig halt immer eher steigen als fallen, kann ich einfach die Wahrscheinlichkeiten für mich arbeiten lassen, dass ich irgendwann mit einem angenehmen Plus wieder aus der Aktie rauskomme. Im kurzfristigen Zeitfenster aber, in dem Trader unterwegs sind, lassen sich Wahrscheinlichkeiten so gut wie nicht beziffern. Besonders heute nicht mehr, in Zeiten von Trading-Algorithmen und Hochfrequenzhandel.
Deine Anlagestrategie, die offenbar auf sehr aktives Positionsmanagement ausgelegt ist, ist auf lange Sicht erwiesenermaßen für die meisten Kleinanleger nicht erfolgreich. Das sagen empirische Erhebungen, das sagt die Finanz-Fachliteratur, das sagen Investment-Berater, das geben ernstzunehmende Trading-Blogger zähneknirschend zu. Wie heißt es so schön: Hin und her macht Taschen leer. Und komm mir nicht wieder damit, dass es ja quasi Spielgeld sein muss, das im Notfall auch weg sein kann. Als guter Kaufmann musst du ganz klassisch die langfristige Profitabilität deines Tradings vergleichen mit anderen Anlagealternativen für dieses Geld. Und da ist noch garnicht mal der ganze zusätzliche (Zeit-)Aufwand eingerechnet (Stichwort Opportunitätskosten), den du mit so einer aktiven Anlagestrategie gezwungenermassen hast.
Du kannst zehnmal sagen, dass Osram oder welche Aktie auch immer im letzten Jahr eine reine Trading-Aktie war. Am Ende bleibt es eine Illusion. Was viele vergessen ist, dass eine von Tradern so gepriesene hohe Volatilität nicht unbedingt hohe Trading-Gewinne bedeutet, sondern in erster Linie hohes Fehlentscheidungsrisiko. Was auch bedeutet, dass die theoretisch möglichen hohen Gewinne in Phasen höherer Volatilität leider gleichzeitig auch ziemlich unwahrscheinlich sind. Also ist es eine gefährliche Illusion, die du hier Leuten erzählst, die vielleicht noch nicht so viel Erfahrung mit Börse haben. Wer Osram im letzten Jahr wirklich als Kleinanleger getradet hat, der wird in der Realität das eine ums andere Mal auf dem falschen Fuß erwischt worden sein. Denn wenn in Seitwärtsphasen der klare Trend fehlt, weißt du auch ganz einfach nicht, in welche Richtung die Aktie als nächstes rennt. Und meistens, so sind die Märkte halt, geht sie in die andere als die von dir gewünschte Richtung. Na klar kannst du dich dann mit stop loss absichern. Aber wenn du dann fünfmal unter deiner Gewinnschwelle ausgestoppt wirst, weil dein Trading-Setup eben wegen der hohen Volatilität nicht aufging, hast du auch nen realisierten Verlust, während die Aktie möglicherweise am Ende auf dem gleichen Stand ist wie vorher.
Wer nicht die Geduld hat, um eine schlecht laufende Aktie auch mal eine ganze Weile zu halten bis sie endlich in die Gewinnzone läuft, und wer Aktienkäufe nicht vor allem als Investment und Zukunftsoption sieht, der wird - von ganz großen Ausnahmen abgesehen - an der Börse auf Dauer schlicht und einfach nicht überleben. Es spricht nichts dagegen, ein wenig aufzupassen, dass man die Aktie nicht zu teuer kauft. Und es wäre nicht klug gewesen, bei 78 Euro in Osram neu einzusteigen. Das war aber auch damals schon kein Geheimnis.
Und ich weiß immer noch nicht genau, wen du mit "die Finanzbranche" meinst - anzumerken ist aber, dass dort ein Großteil der professionellen Trader mit fremdem Geld zockt und nicht mit dem eigenen. Es ist immer leicht, Geld hin- und herzuschieben, wenns nicht das eigene ist. Solche Trader sind - anders als der Kleinanleger zuhause - nie damit konfrontiert, dass das Geld das sie einsetzen eine endliche Ressource ist, die eben nicht so schnell nachwächst, wenn dieses Geld verspielt wurde. |